Schwächer als befürchtet, stärker als erhofft
Die Rechtskonservativen haben die Wahl in Polen gewonnen. Doch die Mehrheit ist knapp, die Opposition errang die zweite Parlamentskammer – und im Mai steht die Wahl des Staatspräsidenten an.
Die Rechtskonservativen haben die Wahl in Polen gewonnen. Doch die Mehrheit ist knapp, die Opposition errang die zweite Parlamentskammer – und im Mai steht die Wahl des Staatspräsidenten an.
Es konnte kein anderer sein. Als in der Warschauer Wahlkampfzentrale der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) am Sonntag die ersten Hochrechungen zur Parlamentswahl auf den Bildschirmen aufleuchteten, ergriff sodann Parteichef Jarosław Kaczyński das Wort. Der 70-Jährige hatte in den vergangenen vier Jahren kein Regierungsamt inne, als einfacher Abgeordneter steuerte er dennoch die Geschicke des Landes, konnte „mit der Geste des gesenkten Daumens Gesetze aufhalten, noch bevor es zur letzten Abstimmung kommt“, wie es der liberalkonservative Publizist Andrzej Stankiewicz treffend auf den Punkt brachte. Als Kaczyński nun am Sonntag am Rednerpult stand, sagte er: „Wir haben viel Zuspruch bekommen, doch wir verdienen noch mehr.“ Denn trotz des klaren Wahlsieges und 43,6 Prozent Zustimmung (2015: 37,5 Prozent) wirkte Kaczyński enttäuscht. Er und seine Getreuen hatten, laut einigen Umfragen nicht unberechtigt, bereits mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit geliebäugelt, mit der sie jedes Präsidenten-Veto verwerfen könnten. Auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der Verfassungsänderungen möglich sind, schien nicht gänzlich unrealistisch.
Ein Sieg mit Einschränkungen
Nun aber ist es, bei einer Rekordwahlbeteiligung von 61 Prozent, nur eine knappe Mehrheit im Sejm (Unterkammer) geworden. Zudem hat die PiS die Oberkammer (Senat) an den vereinten Oppositionsblock und Unabhängige verloren (48 zu 52 Sitze). Im Senat können Gesetze zwar nicht gestoppt, aber hinausgezögert und damit einer breiten Debatte unterzogen werden können. „Dies ist die größte Sorge des PiS-Chefs. Bislang konnte er über den Senat per Telefon verfügen, jetzt aber könnten Senatoren unsere Gesetze sogar für einige Wochen blockieren“, sagte ein wichtiger PiS-Politiker anonym gegenüber der Tageszeitung Gazeta Wyborcza.
Die Opposition kann angesichts des Ergebnisses und trotz des Erfolgs im Senat – in dem einige unabhängige Senatoren Ziel von PiS-Offerten sein könnten – freilich nicht jubeln. Das liberal-konservative Oppositionsbündnis Bürgerkoalition (PO-KO) von Parteichef Grzegorz Schetyna kam auf 27,4 Prozent der Stimmen, die vereinte Linke unter dem Schild der postkommunistischen SLD auf 12,7 Prozent und die konservative Koalition Polen unter Führung der Bauernpartei PSL auf 8,6 Prozent. Kumuliert haben die drei Bündnisse zwar rund neun Millionen Stimmen und damit etwa zehn Prozent mehr als die PiS erhalten, für die gut acht Millionen Polinnen und Polen votierten. Doch durch das polnische Wahlsystem (D’Hondt-Methode), das den Wahlsieger übervorteilt, stellt die PiS mit 235 Sitzen dennoch die knappe Mehrheit im 460 Abgeordnete zählenden Sejm – und ist nicht auf die nationalistische Koalition Konfederacja angewiesen, die bei der Wahl auf 6,8 Prozent kam. Doch auch wenn die Kaczyński-Formation nun alleine regieren kann, dürfte die Opposition den Umstand, faktisch mehr Wähler zu repräsentieren, in der nächsten Zeit hervorheben.
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