"Es geht nicht um die Realität, es geht um Emotionen"

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Der Gründer des Komitees zur Verteidigung der Demokratie, Mateusz Kijowski, über Polen und die Hintergründe der Regierungspolitik.

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Der Gründer des Komitees zur Verteidigung der Demokratie, Mateusz Kijowski, über Polen und die Hintergründe der Regierungspolitik.

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Unzufrieden mit der Regierungspolitik der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eröffnete der Informatiker Tadeusz Kijowski am 20. November auf Facebook eine Gruppe unter dem Namen "Komitet Obrony Demokracji" (Komitee zur Verteidigung der Demokratie, KOD), die nach nur drei Tagen rund 30.000 Mitglieder zählte und sich zu einer landesweiten Bewegung entwickelte. Am 2. Dezember fand in Warschau das konstituierende Treffen der Gründungsmitglieder des KOD statt. Es wurde die Satzung verabschiedet und ein Interimsverwaltungsrat berufen. Kijowski wurde zum Mitglied des Rates gewählt.

FURCHE: Wer steckt hinter Ihrer Bewegung?

Mateusz Kijowski: Menschen, die alle möglichen Parteien unterstützen. Viele haben sogar PiS (die aktuelle Regierungspartei, T.M.) gewählt, aber sie dachten nicht, dass sie täten, was sie nun tun. Und viele, die sagen, "wir haben nicht gewählt, es ist unsere Schuld, wir müssen jetzt reparieren, was wir zerstört haben". Wir wollen nicht nur demonstrieren, sondern auch eine Debatte anregen. In Polen gab es in den letzten 25 Jahren keine soziale Debatte mehr. Als wir 1989 die Freiheit erlangten, dachten wir, das wäre für immer. Wir bauen einen demokratischen Staat auf, später treten wir der EU bei aber es gab eine Leere, was Ideen und Richtungen betraf.

FURCHE: Warum wurde die PiS eigentlich gewählt? Lag das am ökonomischen Programm, Kindergeld, niedriges Rentenalter, oder am Nationalismus?

Kijowski: Es geht um eine Mischung von all dem. Die PiS addressiert die Emotionen der Menschen. Sie verbreitet das Bild, dass die vorherige Regierung liberal war, dass sie Diebe waren, nicht mit den Leuten redeten, und nun kommt ein guter Mann, der sich um uns kümmert. Es gibt Leute in Polen die gerne einen guten König hätten, der verantwortlich für alles wäre, der uns gibt, was wir brauchen. Die Leute fühlten sich nicht zu Hause, fühlten keine Gemeinschaft, nicht, dass sie ein Teil von etwas sind. Und PiS gab ihnen das Gefühl der Gemeinschaft, das Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören, Menschen, die auf die gleiche Weise denken. All diese Ideen, der Nationalismus, die ökonomischen oder sozialen Aspekte, das sind nur Mechanismen, um diese Emotionen zu ermächtigen.

FURCHE: Das klingt vor allem nach einem wertkonservativen Umschwung nach einer liberalen Periode.

Kijowski: Da bin ich mir nicht sicher. Ich würde sagen, es gab keine starke liberale Periode. Die letzte Regierung begann liberal, aber dann veränderten sie sich sehr, und am Ende waren sie auch sehr sozial. Seit etwa drei Jahren sahen die Menschen nicht mehr genau, was es war, sie waren eher manipuliert von Medien, der damaligen Opposition die nun natürlich die Regierung sind. Und es gab Leute die an die Idee des ruinierten Landes glaubten, daran, dass alles falsch läuft und dass alles verändert werden muss.

FURCHE: Woher kam denn das Bild des ruinierten Landes? Ein Fremder, der nach Warschau kommt, sieht zunächst mal, dass alles sehr modern ist.

Kijowski: Wissen Sie, es geht nicht um die Realität, sondern um Emotionen. Menschen wollen in einer besseren Welt leben, und wenn man ihnen sagt, ihr verdient mehr, glauben sie das. Aber ich bin auch sicher, dass dieses Bild von Putin unterstützt wurde. Für Putin ist das wichtigste Projekt nun, die EU zu zerstören. Er und seine Leute unterstützen verschiedene Ideen und Parteien in Polen. Sie unterstützen extreme Parteien, um Unordnung zu schaffen. Erst in Polen, denn Polen ist sehr klar in den Statements gegen Russland, und dann in Europa, denn auch im EU-Parlament gibt es Parteien die deutlich mit Putins Ideen verbunden sind.

FURCHE: Wie hat die Reaktion der EU auf die polnischen Entwicklungen die Situation beeinflusst?

Kijowski: Das ist wirklich eine sehr schwierige, sehr verrückte Situation! Diese Regierung wurde von 18 Prozent der Bevölkerung gewählt. Sie haben also ein demokratisches Mandat, weil es faire Wahlen waren, aber es ist nicht sehr stark. Auf der anderen Seite sind die Polen sehr europäisch. Beim Referendum zum EU-Beitritt stimmten 13 Millionen Menschen dafür, die PiS hatte nur fünf Millionen. Obwohl die Mehrheit der Polen Teil Europas sein wollen, will die Regierung nur das Geld Europas, ohne die Werte zu unterstützen. Das ist absolut verrückt und absolut dumm, und es macht die Situation sehr schwer, weil jede Maßnahme, die Europa nun gegen Polen ergreift, gegen die europäischen Sympathien der Polen ginge. Damit gäbe es eine Situation, in der die Regierung sagen könnte: "Sehr ihr, das schlechte Europa bestraft euch!"

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