Nun scheint Polen fast verloren

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Die nationalkonservative Regierung Polens eckt in Europa an. Doch der Druck aus der Union scheint die Kaczynski-Partei kaum zu rühren.

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Die nationalkonservative Regierung Polens eckt in Europa an. Doch der Druck aus der Union scheint die Kaczynski-Partei kaum zu rühren.

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Es ist offenbar Teil einer diplomatischen Auslandsoffensive: Polens Präsident Andrzej Duda hat am Montag in Brüssel den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk zu einem Vier-Augen-Gespräch getroffen. Bei Tusk, in den Jahren 2007-2014 Polens Regierungschef, versucht die in Warschau regierende, nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS), einen patriotischen Schulterschluss zu erwirken. Zwar gehört Tusk dem gegnerischen Lager an, die von ihm jahrelang geführte liberalkonservative Bürgerplattform (PO) zählt zu den Kritikern der Warschauer Regierung. Doch aus Sicht der PiS, aus der auch Präsident Duda entstammt, ist eine parteiübergreifende polnische Front nötig -gegen die Schelte seitens der EU. Denn von einer "gelenkten Demokratie nach Putin-Art" in Warschau sprach jüngst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Von möglichen Sanktionen gegen Polen der Fraktionschef der deutschen CDU, Volker Kauder. Und von einer Überprüfung Polens durch die EU-Kommission der Kommissar für Digitales, Günther Oettinger. "Wir waren uns einig" sagte Tusk bei der Konferenz mit Präsident Duda, "dass wir die gleiche Meinung haben - wir müssen polnische und europäische Politiker vor übertriebenen Meinungen abhalten."

Das Land umkrempeln

Doch trotz dieser Bekundungen ist Polens Innenpolitik auf der internationalen Agenda. Denn die EU-Kommission hatte bereits am Mittwoch vergangener Woche entschieden, den Mechanismus der rechtsstaatlichen Prüfung gegen Polen einzuleiten. Dabei geht es um die Medienreform, nach der öffentlich-rechtliche Medien nun der direkten Kontrolle des Staatsschatzministers unterstehen. Zum anderen missfällt der Kommission eine Novelle, die den Verfassungsgerichtshof lähmen könnte.

Die PiS ist nun offensichtlich der Ansicht, dass die EU am Ende keineswegs die "politische Atombombe" - also Sanktionen oder Stimmrechtsentzug für Polen gemäß Artikel 7 der EU-Verträge - zünden werde. "Die EU-Kommission kann niemanden bestrafen, sie weist höchstens auf Maßnahmen hin", wenn sie Handlungen der betroffenen Regierung als "unzureichend erachtet", sagte Premierministerin Beata Szydło in einem TV-Interview. Am Dienstag reiste sie ihrerseits nach Straßburg, um bei einer Debatte das EU-Parlament zu überzeugen, dass "Polen ein fantastisches Land" sei.

Die 52-jährige Politikerin verkörpert bislang das sanftere, soziale Gesicht der PiS und spielt die Rolle der Verwalterin aller Kaczynski-Vorgaben. Auch scheinen die Möglichkeiten der EU beschränkt, Polen unter Druck zu setzen. Denn Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat nach einem Treffen mit Kaczynski vor knapp zwei Wochen erklärt, Ungarn werde "jegliche Art von Sanktionen gegen Polen niemals unterstützen". Damit wäre die für eine Abstrafung Polens notwendige Einstimmigkeit im EU-Rat dahin.

Jenseits von Brüssel beginnen jedoch inzwischen andere Mechanismen zu greifen, die der PiS womöglich stärker zusetzen könnten als die Rüffel der EU. So hat am Freitag vergangener Woche die US-Ratinggesellschaft Standard & Poor's (S&P) ihre Bewertung Polens von A- auf BBB+ herabgestuft und die weiteren Aussichten auf negativ gesetzt. Sie begründete dies nicht mit schlechten makroökonomischen Daten, sondern mit der Sorge, die neuen Gesetze könnten "Schlüsselinstitutionen" des Staates schwächen, darunter das Verfassungsgericht und künftig womöglich die Notenbank. Nach dieser Entscheidung büßte der in den letzten Monaten ohnehin schwächelnde Kurs der polnischen Währung (Złoty) gegenüber westlichen Hauptwährungen deutlich ein. Zwar folgten die anderen wichtigen Rating-Agenturen (Fitch und Moody's) nicht dem Votum von S&P, doch auch so könnte der Schaden für Polen groß sein: polnische Kreditnehmer, die in Fremdwährungen verschuldet sind, müssten bei einer anhaltenden Złoty-Schwäche tiefer ins Portemonnaie greifen.

Vor allem aber könnte die S&P-Abwertung Polens Staatschulden künftig verteuern - und damit die in Warschau geplanten Mehrausgaben für Sozialreformen gefährden. Mit sozialen Wahlversprechen aber hatte die PiS letztlich die Wahlen im Oktober 2015 gewonnen: sie gelobte, ein relativ hohes Kindergeld von umgerechnet ca. 110-120 Euro für jedes zweite Familienkind einzuführen, den Steuerfreibetrag kräftig zu erhöhen und die 2012 eingeführte, unbeliebte Rente mit 67 wieder abzuschaffen.

Unzufriedene gewonnen

Damit konnte sie vor allem unzufriedene Wechselwähler gewinnen - denn die sozialen Probleme sind trotz Polens ökonomischen Musterland-Image, das bislang im Westen vorherrschte, riesig. Sie reichen von stagnierenden Löhnen über die Zunahme unsicherer Arbeitsverhältnisse und einem kränkelnden Gesundheitssystem bis hin zur hohen Emigrationsquote meist junger Bürger.

Daher weiß die PiS, dass ihre sozialen und ökonomischen Reformen greifen müssen. Weil aber die ökonomische Situation Polens trotz der Probleme stabiler ist als jene Ungarns bei der Machtübernahme durch die rechtskonservative Fidesz im Jahr 2010, geht die PiS mit ihrem am Budapest-Vorbild fixierten Staatsumbau auf Risiko.

Denn der umstrittene Kurs mit der hastigen Kontrollübernahme aller Schlüsselinstitutionen ruft inzwischen Proteste von Bürgern und Opposition hervor. Der Verein Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) etwa brachte mit Unterstützung der Opposition und liberaler Medien bei mehreren Demonstrationen zehntausende Menschen auf die Straße - vor allem gegen die, wie es heißt, "Demontage" des Verfassungsgerichts.

PiS-Parteichef Kaczynski ficht all die Kritik im In- und Ausland nicht an. "Die Entscheidung der EU-Kommission steht in Verbindung mit dem politischen Interesse einiger Staaten", sagte der 66-Jährige in einem Interview mit der Tageszeitung Rzeczpospolita am Montag.

Neue Konflikte mit Deutschland

Welche Staaten er meinte, sagte Kaczynski nicht. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass er vor allem Deutschland vor Augen hat. Polen, so Kaczynski, halte sich an EU-Verträge, doch "es wird zu keinerlei Einlenken oder zu Zugeständnissen" seiner Regierung kommen. Vorwürfe, in Polen sei die Demokratie bedroht, seien nur "einen Lacher wert".

Doch trotz dieser Worte scheint die wachsende Kritik seitens der EU die Regierung zu beunruhigen - und das Ergebnis der diplomatischen Offensive in Brüssel und Strasbourg ist fraglich. Daher will die Partei inzwischen offenbar nicht nur mit Charme punkten, sondern auch an die Rechtmäßigkeit der EU-Prüfung anzweifeln, wie PiS-Politiker inoffiziell sagen.

Dadurch aber würde eine Lösung des Streits in weite Ferne rücken - und Parteichef Kaczynski, der bislang nicht Regierungsmitglied ist, stärken.

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