"Es scheint, als gebe es ZWEI NATIONEN"

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Die politische Krise in Polen wächst, die Besorgnis in Europa auch. Was steckt hinter diesen Entwicklungen? Begegnungen in einem polarisierten Land.

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Die politische Krise in Polen wächst, die Besorgnis in Europa auch. Was steckt hinter diesen Entwicklungen? Begegnungen in einem polarisierten Land.

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Dies ist das Land der Verteidigungs-Komitees. Angefangen hat es in den 1970ern, mit demjenigen der Arbeiter (KOR). Natürlich nahm man darauf Bezug, als sich im letzten Herbst ein "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" gründete (KOD, siehe Interview), das seither gegen die totalitären Tendenzen der neuen, nationalkonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) protestiert. Seit Kurzem gibt es noch ein weiteres Komitee, das noch viel Größeres vorhat: das zur Verteidigung Polens (KOP).

An einem kalten Sonntagmittag Anfang Februar tritt KOP zum ersten Mal in die Öffentlichkeit. Während der Rest von Warschau über die breiten Trottoirs des Zentrums flaniert, haben sich um die 50 Menschen vor der Informationsstelle der EU versammelt. Sie tragen polnische Flaggen und viel Pathos. Die Hymne, die aus den Lautsprechern schallt, entwickelt sich zu einer Endlosschleife, und dann ruft ein schmaler Mann mit Brille alle Patrioten auf, das Land zu retten, vor den Kommunisten und der EU.

Ein Blick durchs Rund zeigt: Wie bei mancher neuen Bewegung dieser Tage gerät auch die Symbolik der KOP etwas sehr radikal. Mehrere Fahnen enthalten ein Zeichen, das an Keltenkreuze erinnert, zwei Skinheads sind gekommen, einer von ihnen in militärischer Montur, und auch White-Pride-Abzeichen finden sich. Die Veranstaltung ist "rechtsoffen", so würden Politologen das wohl nennen.

Ein Komittee-Graben

Der Anlass der Kundgebung? "Wir sind hier, weil KOD (das gegnerischer Komittee zur Verteidigung der Demokratie, Anm.) gegen unsere Ministerpräsidentin ist", sagt ein Student mit schütterem Haar. Er selbst habe zwar nicht die Regierungspartei PiS gewählt, sondern die Partei des Musikers Pawel Kukiz. "Aber beide sind gegen die Bürokratie Europas", meint er, und fügt noch einen Seitenhieb gegen den polenkritischen Präsidenten des EU-Parlaments an: "Wir haben gegen Schulz gewählt, weil er versucht Polen zu zerstören."

Der Redner schwenkt jetzt eine ungarische Flagge und lässt die Menge "Viktor Orbán" skandieren. Wer Brüssel die Stirn bietet, steht hier offenbar hoch im Kurs. Sorgen macht der Student sich um mögliche Sanktionen gegen Polen: "Frankreich oder Spanien kriegen doch auch keinen Druck", empört er sich.

Das KOP-Grüppchen zerstreut sich nach einer Stunde wieder. Die Spannung aber ist in diesen Spätwintertagen greifbar auf den Straßen der polnischen Hauptstadt. Kamerateams durchstreifen das Zentrum zwischen Sejm und Präsidentenpalast, hier und da sieht man Aufkleber auf Ampeln, die vor einer Islamisierung Polens warnen. Wie tief der Graben zwischen Warschau und den Machtzentren der EU ist, zeigt sich in so gut wie jeder Begegnung zwischen Polen und Besuchern aus Westeuropa. Letztere werden sich umgehend nach dem Zustand der Demokratie erkundigen. Erstere nach dem der Flüchtlingskrise.

Meta-Daten und Novellen

Eine Dynamik, die sich noch längst nicht erschöpft hat. Nach Verfassungsgericht und Öffentlichem Rundfunk hat sich die Regierung eine Novelle des Überwachungsgesetzes vorgenommen, um den Zugang zu Meta-Daten künftig zu erleichtern. Zu denjenigen, die dagegen in vorderster Front protestieren, gehören die Privacy-Aktivisten der "Panoptykon Foundation". Deren Präsidentin, die junge Anwältin Katarzyna Szymielewicz, betont, dass sie nicht in erster Linie gegen die PiS ist: "Wir sind eine unabhängige NGO und als solche gegen jede Regierung, die die Linie der Menschenrechte überschreitet."

Wir treffen Szymielewicz in einer Warschauer Bar, und sie erklärt die Hintergründe: "Der erste Entwurf geht auf die vorhergehende Regierung zurück. Doch nach Protesten aus der Zivilgesellschaft wurde das Vorhaben aufgegeben." Auch das Verfassungsgericht habe Einwände gehabt. Die neue Regierung hat das Projekt nun wieder hervorgeholt und im Wesentlichen um drei Punkte ergänzt. Es geht nicht mehr nur um Telekommunikations-, sondern auch um Internetdaten. Diese können künftig auch zur Verbrechenserkennung genutzt werden, und Geheimdienste können Internetprovider um Zugang fragen." Auch "Panoptykon Foundation" ruft dieser Tage zu Demonstrationen auf: "Es scheint, als teste die Regierung zur Zeit, wie weit sie gehen kann. Je mehr Protest es nun gibt, desto eher wird sie aufhören", hofft die Präsidentin. Sorge bereitet ihr zudem eine Entwicklung, von der selbst die Regierung nur ein Teil ist: die wachsende gesellschaftliche Kluft. Begonnen hat sie, so Szymielewicz, mit der Transformation nach 1989, die junge, anpassungsfähige, unternehmerische Polen bevorzugte und andere abhängte.

Der Klientelismus der alten Regierung habe viele vom Zugang zu Macht und politischer Debatte ausgeschlossen. "Sie sehen nun die Zeit der Revanche gekommen."

Heute kommt es ihr zunehmend vor, als gebe es "zwei verschiedene Nationen", basierend auf unterschiedlichen kulturellen Vorlieben, aber auch dem Verhältnis zu Politik. "Wir sind grundverschieden in Sprache und Ästhetik", erläutert sie. "Und jemand wie Präsident Duda ist für PiS-Wähler nicht nur ein Politiker, sondern beinahe ein Heiliger, eine Identifikationsfigur."

Alarmiert ist 350 Kilometer weiter südwestlich auch Aleksander Gleichgewicht. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Wrocław beklagt, dass sich die PiS-Regierung, die er abschätzig "Nationalbolschewiken" nennt, immer mehr von Europa abwendet. "Das ist die Rückkehr des polnischen Irrationalismus." Gleichgewicht betont, dass zu den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft auch Verpflichtungen gehörten.

Unter besonderer Beobachtung

Wrocław, die alte schlesische Metropole, liegt diesbezüglich unter besonderer Beobachtung: Just vor wenigen Wochen hat dort das Fest-Programm der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas begonnen. Doch ausgerechnet im Land des ehemaligen Musterschülers unter den neuen Mitgliedsstaaten gab es kurz zuvor einen Eklat: Ende letzten Jahres wurde bei einer rechtsextremen Demonstration auf dem pittoresken Marktplatz eine Figur verbrannt, die einen orthodoxen Juden darstellen sollte. In der Hand trug sie eine Europa- Flagge. Die Polizei griff nicht ein, Aleksander Gleichgewicht erstattete Anzeige.

Um die Mitglieder der jüdischen Gemeinde macht sich der Vorsitzende noch keine Gedanken. Ihr Alltag, sagt er, sei nicht eingeschränkt, die Beziehung zur muslimischen Community gut, mit dem Imam, einem palästinensischen Flüchtling, sei man sogar befreundet.

Gleichgewicht vertraut auf den progressiven Geist von Wrocław, der multikulturellen Stadt, in der nach dem Holocaust alle neu waren: die Umgesiedelten aus dem ukrainischen Lemberg, KZ-Überlebende und sowjetische Juden. Jener "berüchtigte Vorfall" habe dem nicht viel anhaben können. "Er repräsentiert ein marginales Milieu, rassistisch, xenophob, anti-islamisch und antisemitisch, mit deutlicher Beziehung zur lokalen Hooligan-Szene."

Dass allerdings Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende und starke Mann der PiS, neulich über vermeintliche Parasiten von Arabern schwadronierte, gegen die die Abwehrsysteme von Europäern nicht immun seien, stieß Aleksander Gleichgewicht übel auf. "Uns erinnert das an die Poster in den Ghettos: 'Juden, Läuse, Typhus'. Später fing er dann an, sich zu erklären. Das ist verrückt", so Gleichgewicht. Am meisten Sorgen macht ihm zur Zeit aber eine Entwicklung, die nicht nur Polen oder Osteuropa betrifft: "diese Stimmung gegen Muslime im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise."

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