Missbrauch in Polen: Blockieren, vertuschen, wegducken
Die polnischen Bischöfe wissen in Sachen Aufklärung von Missbrauchsfällen nicht nur die rechtskonservative PiS-Regierung heimlich auf ihrer Seite. Nun gibt auch eine Weisung des Vatikans polnischen Diözesen einen zusätzlichen Schutzschild: Sie müssen Dokumente nicht an die Behörden weitergeben.
Die polnischen Bischöfe wissen in Sachen Aufklärung von Missbrauchsfällen nicht nur die rechtskonservative PiS-Regierung heimlich auf ihrer Seite. Nun gibt auch eine Weisung des Vatikans polnischen Diözesen einen zusätzlichen Schutzschild: Sie müssen Dokumente nicht an die Behörden weitergeben.
Immer wieder ist in den letzten Jahren die polnische Gesellschaft, gleichsam in Wellenbewegungen, durch Vergehen polnischer Geistlicher erschüttert worden, die an die Öffentlichkeit gelangten. Meist geschah dies über journalistische Recherchen. Vor allem zwei eindringliche Dokumentarfilme der Brüder Tomasz und Marek Sekielski über konkrete Missbrauchsfälle und die zwielichtigen Hintergründe brachten Bewegung in das Problem.
Zuletzt führte der Sekielski-Film „Versteckspiel“ aus dem Jahr 2020, in dem nicht nur die Versäumnisse der Amtskirche, sondern auch der staatlichen Behörden Thema sind, dazu, dass eine 2019 berufene Kommission endlich ihre Arbeit aufnahm. Sie soll zwar – ganz im Sinne der regierenden, kirchennahen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) – Sexual- und Pädophiliestraftaten an unter Fünfzehnjährigen nicht nur in der Kirche, sondern auch in anderen Institutionen der Bildung, der Kultur und des Sports untersuchen; wohl um die Sonderstellung der Kirche nicht hervorzuheben. Aber immerhin.
Rom mischt sich ein. Und bremst
Doch nun stößt die Kommission, die bislang unter dem Vorsitz des als erzkonservativ geltenden Bioethikers und Soziologen Błażej Kmieciak wenig mehr als einen Bericht geliefert hatte, an ebenso definitive wie umstrittene Grenzen. Kmieciaks Kommission hatte sich bereits im Februar 2021 an kirchliche Gerichte in Polen gewandt und die Herausgabe von Dokumenten aus kanonischen Prozessen erbeten, die Missbrauchsfälle von unter Fünfzehnjährigen betreffen. Die Kommission wollte alle Dokumente der Jahre 2000 bis heute einsehen.
Mitte Jänner dieses Jahres nun gelangte die Tageszeitung Rzeczpospolita an ein internes Dokument, das der Nuntius in Polen im November 2021 an alle polnischen Ordinariate versandt hatte. Es ist eine Weisung des Vatikans, genauer: des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte, die polnischen Bischöfe eine klare Order gibt: Dokumente aus in Polen geführten kanonischen Verfahren dürfen ausschließlich durch den Vatikan an Polens Behörden – Kommission, Gerichte und Staatsanwaltschaften – weitergegeben werden.
Zwar ist in der Vatikan-Weisung klar die Rede davon, dass die Bischöfe bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen mit den Behörden zusammenarbeiten sollen. Doch mit der Weitergabe wichtiger Akten dürfte es nun noch schwieriger werden, zumal sich der Heilige Stuhl vorbehält, „Dokumente, die dem inneren Forum zufallen“, wie es in der Weisung heißt, grundsätzlich nicht freizugeben. „Mit diesem nicht näher spezifizierten Konzept kann praktisch alles geheim gehalten werden“, kommentiert Edward Augustin in dem liberal-katholischen Wochenmagazin Tygodnik Powszechny. „Natürlich können alle Dokumente, die die Institution in ein schlechtes Licht rücken, in dieses ‚Forum‘ aufgenommen werden.“
Nicht nur Fachleute und etliche Medien kritisieren dieses „Knebeln der Bischöfe“. Auch einige polnische Prälaten, denen die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle wichtig ist, zeigen sich besorgt – wenn auch anonym. „Einerseits spricht Papst Franziskus von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit, wir versichern unsere Bereitschaft zur Kooperation – doch andererseits sind uns durch die römische Kurie gewissermaßen die Hände gebunden“, sagte ein Bischof anonym gegenüber der Rzeczpospolita: „Es schien, dass die Abschaffung des päpstlichen Geheimnisses Verfahren erleichtern würde, aber es stellt sich heraus, dass alles beim Alten bleiben wird.“
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