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Sozialer Sprengstoff

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Trotz der verschiedenartigen Auffassungen der arabischen und jüdischen Politiker in Palästina versuchten die gemäßigten Teile der beiden Völker, zu einer Verständigung zu kommen.

Die einheimische arabische Bevölkerung beteiligte sich 1948 nur teilweise an dem Krieg zwischen dem jungen Israel und seinen Nachbarn. Doch sie war zweifelsohne die dabei am meisten in Mitleidenschaft gezogene. Der höchste Arabische Rat der Araber Palästinas gab den Befehl, das Land zu verlassen, um den Kampfplatz für die Armee freizuhalten. Man versprach diesen Arabern, sie sofort nach Abschluß der glorreichen Kämpfe wieder in ihre Heimat zurückzubeordern, was bis heute nicht geschehen ist.

Die arabischen Flüchtlinge verteilten sich folgendermaßen: Im Libanon waren zirka 70.000, in Syrien zirka 60.000, in Transjordanien zirka 350.000 und im Gazastreifen zirka 140.000, im ganzen also ungefähr 620.000 Flüchtlinge. Die einzelnen arabischen Staaten standen vor schweren wirtschaftlichen Problemen, die sie selbst nicht lösen konnten, und betrachteten daher die Hüchtlinge als eine unerwartete Last, mit sozialem Sprengstoff geladen. Sie ließen diese Flüchtlinge als eine dauernde Bedrohung an Israels Grenzen, wo sie bisher immer ein Sicherheitsventil im sozia-

len Hochdruckkessel darstellten. Tatsächlich wurde aber in den Jahren des Exils trotz allem ein Großteil dieser Flüchtlinge in arabischen Ländern absorbiert. Da das allgemeine kulturelle Niveau der palästinensischen Araber ein höheres war als das der umliegenden arabischen Staaten, konnten viele Flüchtlinge Positionen als Regierungsbeamte, Lehrer und Facharbeiter finden. Nach den Statistiken der UNO-Organisation UNRWA fanden zirka 100.000 Flüchtlinge in Jordanien ihre Existenz. Im Libanon befinden sich heute nur noch zirka 15.000 arabische Palästinenser in Flüchtlingslagern. In Syrien wurden zirka 50.000 absorbiert. Saudiarabien absorbierte in der Erdölindustrie zirka 20.000 und Kuweit zirka 40.000 Flüchtlinge. Irak dagegen nahm nur 6000 bis 7000 Flüchtlinge auf. Am schwersten ist die Lage der Flüchtlinge im Gazastreifen, die auch heute noch zum größten Teil im Flüchtlingslager leben, da ihnen bekanntlich immer noch der Eintritt nach Ägypten verwehrt wird. In der Zwischenzeit stieg die Zahl der Flüchtlinge um vieles. Nach Angaben der arabischen Staaten beläuft sich die Zahl der arabischen Flüchtlinge mit ihren Kindern und Kindeskindern auf mehr als eine Million. Diese Zahl wurde auch an den Unterstützungsfonds der UNO geneidet. Doch erlaubten die arabischen Staaten niemals, eine Volkszählung der arabischen Flüchtlinge durchzuführen, da heute noch tausende Unterstützungen an längst Verstorbene erteilt werden. Nach israelischen Schätzungen beläuft sich diese Zahl auf nicht mehr als zirka 600.000 Eüchtlinge.

Die Diskussion über die Zahl der Eüchtlinge ist eine rein theoretische, da heute noch kein Mensch ernstlich an die Rücknahme der Flüchtlinge denkt. Ohne überhaupt auf die Zahl der Eüchtlinge einzugehen, behaupten die israelischen Sprecher, daß die Rücknahme einer großen Zahl von Flüchtlingen die Fundamente des neuen Staates untergraben kann. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sei es nicht möglich, solch eine große Zahl zu absorbieren, doch der Hauptwiderstand kommt aus Sicherheitsgründen. Solange kein wahrer Frieden zwischen den arabischen Staaten und Israel besteht, sind die arabischen Rückkehrer eine potentielle fünfte Kolonne.

Es gibt zwar im heutigen Israel eine israelisch-arabische Minderheit von zirka zehn Prozent der Bevölkerung, doch die arabische Jugend Israels wird nicht zum Haß gegen Israel erzogen. Dagegen ist der Israelhaß eines der Hauptfächer im Unterricht der jugendlichen arabischen Flüchtlinge. Arabische Führer schüren Jahr für Jahr von neuem den Haß gegen Israel. Dieser Haß war bisher immer ein beliebter A,d?rlaß für den sozialen Druck. Es ist immer leichter, Haß zu schüren, als wirtschaftliche Probleme zu lösen.

Oppositionsführer in Israel behaupten ihrerseits, daß im heutigen Israel führende Kreise die Gefährdung der Sicherheitsposition ausnützen, um wirtschaftliche Mißerfolge zu entschuldigen.

Daher, solange es zu keiner friedlichen Lösung des israelisch-arabischen Konflikts kommt und solange der kalte Krieg zwischen Osten und Westen auch im Mittleren Osten ausgetragen wird und eine politische Intrige sich an die andere reiht, besteht nur sehr wenig Möglichkeit, das arabische Flüchtlingsproblem zu lösen. Die Flüchtlinge, die an diesem Malheur unschuldig sind, sind die wahren Opfer.

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