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Die Heimkehr so vieler Menschen erfordert Geduld

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Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien führte zur größten Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Insgesamt 3,6 Millionen Menschen mußten ihre Heimat verlassen. Allein im Jahr 1995 ist ihre Zahl um eine halbe Million Menschen gestiegen. In Mitteleuropa wurden insgesamt 750.000 Vertriebene aufgenommen, davon etwa 500.000 in Deutschland. Zum Vergleich: In Österreich leben etwa 63.000 bosnische Flüchtlinge mit normaler Aufenthaltsbewilligung, 20.000 weitere werden staatlich unterstützt, schätzungsweise weitere 2.000 dürften von den Behörden nicht erfaßt sein.

Wieviele von ihnen nun zurückkehren können, ist ungewiß. Das Flüchtlings-Hochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) in Genf erarbeitete unmittelbar nach dem Friedensabkommen von Dayton dazu einen internationalen Plan. UN-HCR-Sprecherin, Sadako Ogata, warnte dabei vor einer überschnellen Rückführung der Vertriebenen: „Wir plädieren für Geduld." Denn das Ende der Kämpfe bedeute nicht, daß nun jedermann einfach heimkehren könne. Dies sei allein schon durch den derzeitigen Winter unmöglich, erklärte Ogata. Die europäischen Staaten sollten daher den Menschen solange Zuflucht gewähren, bis sich die Lage in den zerstörten Gebieten normalisiert habe. Und dies könne noch Jahre dauern, stellte die Sprecherin fest.

Der UNHCR-Plan sieht die Rückführung der Flüchtlinge in drei Schritten vor. Begonnen wird erst nach den Wintermonaten. Im kommenden Frühjahr sollen zunächst jene 2,7 Millionen Menschen, die sich derzeit in bosnischen Lagern aufhalten, in ihre Heimat zurückgebracht werden. Anschließend will sich das UNHCR um die rund 800.000 Vertriebenen bemühen, die in die Nachfolgerepubliken des ehemaligen Jugoslawien (Slowenien, Kroatien, Serbien und Montenegro) geflohen sind. Erst im dritten Schritt ist die Rückführung der etwa 750.000 Menschen, die in europäischen Staaten Zuflucht gefunden haben, geplant. Ogata äußerte insgesamt „starke Zweifel", daß die Folgen der ethnischen Vertreibungen in nächster Zukunft beseitigt werden können. Sie glaube nicht, daß alle Flüchtlinge in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren können.

Die UNHCR-Sprecherin appellierte an die europäischen Staaten, für die Versorgung der Flüchtlinge in Bosnien mehr finanzielle Mittel als bisher bereitzustellen. Denn der Winter könne noch bis einschließlich April dauern. Noch immer würden derzeit Menschen an den Folgen von Kälte und Unterernährung sterben. Die Versorgungssituation sei schwieriger als vor einem Jahr. Vor allem in der Region um Banja Luka und in Serbien habe sich die Lage dramatisch verschlechtert. Viele Flüchtlingslager hätten dort mittlerweile mit bis zu 200.000 Insassen die Größe mittlerer Städte erreicht und seien kaum organisiert. Der Großteil der Menschen ist bei eiskalten Temperaturen in Zelten untergebracht. Es fehle an Brennholz, Winterausrüstung und Grundnahrungsmitteln. Nach dem Friedensabkommen sei eine „gewisse Ermüdung" der Geberländer festzustellen. „Doch gerade jetzt ist die finanzielle Hilfe notwendiger denn je", unterstrich Ogata. „Wh müssen den Menschen helfen, ohne Sorgen in die Zukunft blicken zu können."

Umstritten ist derzeit, wieviel an finanziellen Mitteln die europäischen Staaten zum Wiederaufbau Bosniens beitragen werden. Am 21. und 22. Dezember haben darüber Vertreter von 50 Ländern und 30 Organisationen in Brüssel beraten. Nach Schätzung der Weltbank sind insgesamt 51 Milliarden Schilling, davon 40 Milliarden allein für das Gebiet der moslemischkroatischen Föderation notwendig. Die Europäische Union möchte erreichen, daß die riesige Summe zwischen den größten Gebern - neben der EU sind dies die USA und die Organisation Islamischer Staaten - zu je einem Drittel aufgeteilt wird. Doch dieser Vorschlag wird von den USA nicht angenommen. In Washington heißt es, daß Amerika höchstens 20 Prozent tragen werde. An einem internationalen Finanzierungsplan wird derzeit gearbeitet. Dieser soll dann bei einer Konferenz auf Ministerebene Ende Februar oder Anfang März verabschiedet werden. „Hoffentlich kommt man zu einer Einigung, denn sonst wäre der Frieden gefährdet", meint die UNHCR-Sprecherin in Genf.

Österreich will vorerst 110 Mill nen Schilling bereitstellen. Diese nanzhilfe soll für den Wiederau von Privathäusern, Schulen und Wasserversorgung bereitgestellt w den. „Das sind die Basisbereiche, wir besonders in den Vordergru stellen", heißt es dazu im Wie: Außenministerium.

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