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Alte alternativ

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Zwischen Alleinwohnen und Altersheim sollte das modische Motto der „Hilfe zur Selbsthilfe" auch für Senioren Platz haben. In den USA und im skandinavischen Raum ist es bereits eine kleine Bewegung: Alte Leute entdecken die Vorteile des alternativen Pensionistendaseins. Sie leben in Wohngemeinschafts-Formen zusammen, die früher einmal als Sym-

bol jugendlichen Protests gegen die Zwänge des Elternhauses galten.

Die Motive der Senioren sind vielfältig. Ihre vermeintlichen Wünsche sind schon seit Jahren ungelöstes Dauerthema der Soziologen. Die „Grauen Panther", eine Senioren-Selbsthilfegrappe mit ungebrochenem Ungehorsam, sprach im Juli mit dem Wiener Gesundheits-Stadtrat Alois Stacher über flexiblere Wohnformen. Stacher dazu: „Ich bin bereit, funktionierende Modelle zu unterstützen."

Da genügt ein Blick in die Bundesländer, wo vor allem in kleineren überschaubaren Stadtteilen leise Pionierarbeit geleistet wird.

Wie in der benachbarten Schweiz, in der man staatlicher Reglementierung schon immer mißtraute, fallen auch in Vorarlberg den Gemeinden in der Sozialpolitik wichtige Funktionen zu. Mehrere Städte haben so bei augenfälligen Mißständen der Altenhilfe spontan reagiert. Seniorenunterkünfte jenseits des herkömmlichen Heimplatzes sind in Planung oder bereits realisiert.

Als erste europäische Stadt setzte man 1978 in Dornbirn die Ergebnisse einer Studie in die soziale Tat um. Bei diesem Modell leben acht Senioren in klassischer Wohngemeinschafts-Form zusammen, mit Gemeinschaftsraum und -küche. In den Einzelzimmern stehen ihre eigenen Möbel, für alte Menschen ein wichtiger Bezugspunkt.

Der Grundgedanke: Die Wohnungen liegen in dem Stadtgebiet, in dem die Senioren ihr ganzes Leben verbracht haben. Die alten Bekannten und das neue Wohngefühl erhalten die Heimatverbundenheit.

Im oberösterreichischen Wels wird eine ähnliche Idee gleich auf mehreren Stockwerken praktiziert: im „Senioren-Wohnhaus". Wie in Dornbirn übersteigt die Nachfrage das Angebot, so daß im kommenden Jahr ein zweites Gebäude errichtet wird.

Bei allen Formen des Zusammenlebens von Pensionisten herrscht nicht das Bestreben nach völliger Autonomie vor. Städtische Betreuer oder „Essen auf Rädern" können je nach Bedürftig-

keit ihre ergänzende Funktion haben.

In Katzelsdorf bei Wiener Neustadt will man noch einen nachbarschaftlichen Schritt weitergehen. Mitten im Ortskern entsteht ein Altenwohnheim, in dem wiederum achtköpfige Gemeinschaften die Eigenfürsorge proben sollen. Neben großen Freizeiträumen wird dort auch die Stadtbibliothek ihren Platz finden. Das Dorfleben soll nicht vor den Heimtoren aufhören.

Das niederösterreichische Hilfswerk wird eine mobile Sozialstation einrichten. Eine Schwei-, zer Gemeinde stand Pate für diesen Versuch.

Wohngemeinschaften für ältere Menschen gibt es also in mehreren österreichischen Städten. Oft sind es Zufalls- oder Zweckbündnisse, die nicht gleich als geplantes „Projekt" deklariert sind. Ein leerstehendes Haus, eine kleine finanzielle oder personelle Unterstützung seitens der Gemeinde — das Experiment der Senioren-Selbsthilfe beginnt manchmal im bescheidenen Rahmen.

In der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich, daß der Zweck des Zusammenlebens auch durch knappe Geldmittel an Reiz gewinnt: Wohngemeinschaften entstehen vor allem im krisengeschüttelten Ruhrgebiet mit seinem hohen Arbeiteranteil.

Wien beherbergt in relativen und absoluten Zahlen die meisten Senioren aller österreichischen Bundesländer. In der Versorgung der Alten und im Ausbau von Pflegeheimen wurde viel geleistet. Statistiken sind aber gerade im sensiblen Bereich der Seniorenpolitik kein Indiz für Zufriedenheit.

Im anonymen Großstadtleben beruht ausbleibendes Aufbegehren eher auf Unkenntnis als auf Desinteresse an neuen Wohnformen. Architekten sehen in der Wiener Baustruktur mit ihren typischen Gründerzeit-Wohnungen (Gang-Küche-Einzelzimmer) einen möglichen Ansatzpunkt. Deren Umwandlung in „familiengerechte" Unterkünfte erfordert kostenträchtige Umbauarbeiten. Für Wohngemeinschaften dagegen wäre es das ideale Grandmuster.

Das kann nur ein Aspekt sein — nicht nur für Wien. Das „Wohnen im Alter" erfordert ein vorsichtiges Herantasten sozialer Politik. Herkömmliche, schnell überprüfbare Kosten-Nutzen-Analysen sind fehl am Platz.

Die große Mehrheit der über sechzigjährigen Österreicher bezeichnet das Altersheim als „den letzten Ausweg". Dennoch ist eine Wohngemeinschaft im vielfältigen Spektrum der Senioren kein Allheilmittel. Viele mutige Projekte scheiterten schnell. Meistens fängt es an mit den „kleinen Streitereien in der Küche"...

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