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Vietnam im Weinviertel

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Friedrich Zottl ist - wie immer - an Gesprächen sehr interessiert. Das war er auch schon vor eineinhalb Jahren: als Bürgermeister der Gemeinde Alberndorf im niederösterreichischen Weinviertel wollte er damals über die Zwischenlagerung von Atommüll verhandeln.

Das Thema, um das es jetzt geht, ist wahrscheinlich ebenso brisant: Diesmal geht es um Menschen, genauer: um Flüchtlinge aus Vietnam.

„Eigentlich ist es ein bißchen ein romantischer Traum, noch nicht einmal richtig im Planungsstadium“, erklärt Architekt Wolfgang Windbrechtinger aus Wien seine Idee. Angeregt durch eine Erfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg, glaubt er, ein Modell für Aufnahme und Unterbringung von Vietnam-Flüchtlingen entwickeln zu können.

Beim Rußlandfeldzug ist er als Soldat in ukrainische Ortschaften gekommen, wo sich über Jahrhunderte hinweg eine schwäbische Bevölkerung mitsamt ihrer Kultur ziemlich rein erhalten hatte. So etwas, meint er, müßte wohl auch heute noch funktionieren. Und warum nicht in den Gebieten mit starkem Bevölkerungsschwund, wie im niederösterreichischen Grenzland?

Dazu müßten natürlich zunächst die wirtschaftlichen Bedingungen stimmen. Da mag es auf den ersten Blick paradox erscheinen, Zuwanderer ausgerechnet in einem Gebiet ansiedeln zu wollen, in dem die Einwohnerzahl - wie etwa im Gerichtsbezirk Haugsdorf - auf Grund struktureller Schwächen in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts um nahezu zehn Prozent abgenommen hat.

Daß der Versuch dennoch gelingen könnte, liegt in der Geschlossenheit des Modells selbst begründet. Die Vietnamesen, meint Windbrechtin- ger, sollten nämlich in einer Art ländlicher Produktionskommune miteinander leben und arbeiten. Einige sollten nach Möglichkeit für den Eigenbedarf Lebensmittel herstellen, der Großteil aber sollte in gemeinsamen Werkstätten „Produkte erzeugen, die im Augenblick bei uns nicht gemacht werden“.

Das Ganze muß natürlich einfach und überschaubar sein. Windbrech- tinger und andere von ihm angesprochene Architekten denken an „etwa zehn Familien, das ist dann gerade noch eine eigenständig lebensfähige Gemeinschaft“.

Die Bet«, ‘ung liegt auf Gemeinschaft, denn eine der wesentlichen Ideen des Projekts besteht darin, daß eine soziale Integration der vietnamesischen Einwanderer nicht um jeden Preis angestrebt werden soll. Im Gegenteil: Ihr reiches, wenn auch uns fremdes und unbekanntes Kulturgut sollte unbedingt erhalten bleiben. „Das Wort Getto klingt so negativ, aber ein Getto hat auch eine gewisse Schutzfunktion.“

Die Heimatsuchenden sollten also nach Möglichkeit in einem eigenen Ortsteil ihre Häuser wie daheim

(„soweit das eben mit der Bauordnung vereinbar ist“) bauen können. „Es ist selbstverständlich, daß ich dabei gerne helfen würde“,*versichert der Wiener Architekt.

Ein Großteil der planerischen Tätigkeit soll jedoch von Architekturstudenten der Technischen Universität Wien im Rahmen ihrer Praktika bewältigt werden. Das ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten, bei der Verwirklichung dieser Idee Geld zu sparen. So sollen z. B. die Baukosten durch den Einsatz freiwilliger Helfer gesenkt werden; Investitionen in den Werkstätten sollen sich im wesentlichen auf den Ankauf ausrangierter Tischlereimaschinen beschränken („die kriegt man fast umsonst“).

Es sollen nämlich dort vor allem Produkte echter Handwerkskunst erzeugt werden, also etwa Holzsprie- ßelfenster, wie sie zur Altbausanierung benötigt werden, oder Nachgüsse von Stuckelementen für denselben Zweck. Nach diesen Dingen wird es in absehbarer Zeit eine starke Nachfrage geben, und derzeit werden sie in Österreich nicht erzeugt.

Unklar ist freilich, ob es überhaupt Vietnamflüchtlinge für dieses Experiment gibt. Denn das UNO-Kom- missariat für Flüchtlingswesen schickt seine Schützlinge in die Länder, die sie sich aussuchen. „Und wer kennt schon Österreich?“ sieht Windbrechtinger ein Hauptproblem.

Aber selbst wenn sich Freiwillige finden, fragt sich Hofrat Gerhard Silberbauer, Raumplanungsreferent des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung, „ob man denen etwas Gutes tut“. Silberbauer fürchtet, daß die Chancen im Grenzland nicht unbedingt gut sind, noch dazu, da ihm der Plan „von sozialromantischer Begeisterung getragen“ zu sein scheint.

Weil so ziemlich alle Versuche alternativer Lebensformen auf dem Land bisher gescheitert sind, sieht er „ungeheure Probleme“. Schließlich entstünden ja dabei Nebeneffekte, wie etwa die Frage der Grundstücksbeschaffung oder einfach die, wohin die Kinder in die Schule gehen sollten.

Ausführlicher konnte sich Silberbauer zu diesem „sehr interessanten Projekt“ nicht äußern, da ihm die Idee erst durch die FURCHE bekannt wurde, „aber es sind sicher Chancen damit verbunden“.

Ebenso überrascht war auch der Bürgermeister der 658-Seelen-Ge- meinde Albemdorf, Friedrich Zottl, als ihn die FURCHE informierte, daß Architekt Windbrechtinger diesen Standort für seinen Plan ins Auge gefaßt hat. Trotzdem bot er gleich aus dem Stegreif eine brauchbar erscheinende Lösung an. Er hielt es für vorteilhaft, wenn die Immigranten vorläufig in den seit 15 Jahren leerstehenden Pfarrhof einziehen wollten - Windbrechtinger hatte als Uber- gangslösung an Bundesheerzelte gedacht. Das Gebäude müßte allerdings von den Mietern instandgesetzt werden.

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