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Ihr Heim ist eine Baracke

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In diesen Wochen jährte sich zum zehnten Ai4c die Stunde der Austreibung vieler Zehntausender aus ihrer alten Heimat. Wir gedenken ihrer, indem wir auf das Schicksal derjenigen unter ihnen auf' merksam machen, deren Heim noch heute eine Baracke ist. „Die Furche“

Zehn Jahre nach dem Ende des Krieges leben in Oesterreich noch 30.000 Menschen in Baracken. Wer sind diese Menschen, deren Heim eine Baracke ist, welche Umstände haben eine Lösung dieses Barackenproblems bis jetzt verhindert? Trägt die öffentliche Hand, wie man oft hört, die Schuld oder liegt sie teilweise bei den Barackenbewohnern? Ich will versuchen — sine ira et studio — diese Fragen zu klären.

Die Barackenbewohner haben entweder infolge der Austreibung die Heimat verloren oder wählten aus politischen Gründen die Flucht in die Fremde. Die Baracken dienten einst als Behelfsunterkünfte für Soldaten, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter. Die Baracken waren jedenfalls als Provisorium gedacht und wären wahrscheinlich längst dem Erdboden gleichgemacht, hätte es kein Potsdamer Abkommen gegeben und würden in den osteuropäischen Ländern nicht auch heute noch Menschen die Flucht über die Grenzen einem Leben in Unfreiheit vorziehen.

Um sich ein rechtes Bild über den Zustand mancher Baracken machen zu können, muß man sie selbst gesehen haben. Notdürftig werden die Dächer geflickt und die Ritzen verkleistert. Im Sommer herrscht innerhalb der Holzwände eine drückende Hitze, im Winter leiden die Barackenbewohner unter der beißenden Kälte. Und doch würde mancher Städter erstaunt sein über die in vielen Baracken anzutreffende peinlichste Sauberkeit und Ordnung. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber im allgemeinen darf gesagt werden, daß die in den Baracken lebenden Menschen in den vergangenen zehn Jahren ihre Würde zu wahren wußten. Auch die religiöse Haltung verdient Erwähnung, und in den einfachen Barackenkapellen wird vielleicht inniger gebetet, als in mancher reich geschmückten Kirche.

Die Barackenbewohner kann man in drei Kategorien einteilen. Da sind zunächst einmal jene, die Groschen um Groschen sparen, um sich ein eigenes Heim schaffen zu können, sei es ein Siedlungshaus oder eine Eigentumswohnung. Hierher gehören auch jene, die nicht müde werden und immer wieder bei den Wohnungsämtern vorsprechen, mit der Hoffnung, doch einmal eine Wohnung zugewiesen zu erhalten. Manches bescheidene Möbelstück wurde angekauft, aber man spart lieber und improvisiert weiter, denn neue Möbel will man nicht in alte Barackenstuben stellen. In diese Kategorie gehören auch jene, die mit beiden Füßen auf dem Boden der realen Tatsachen stehen und fest zupacken, um wieder vorwärts zu kommen. Sie mobilisieren die Selbsthilfe, stehen dem Nachbarn bei, und wenn die Voraussetzungen zum Bau eines Siedlungshauses geschaffen sind, gibt es für sie keinen Achtstundentag.

Die prächtigen Siedlungshäuser in Wien-Leopoldau, die das „Michaelswerk“ erbaute, die vielen mit Unterstützung der Caritas und der Schweizer Europahilfe erbauten modernen Häuser in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg sind der sichtbarste Ausdruck dieses ungebrochenen Lebenswillens. Viele Heimatvertriebene haben sich — besonders in Wien — Eigentumswohnungen geschaffen.

Zur zweiten Gruppe gehören die Kraftlosen, die Unentschlossenen und die Wankelmütigen. Das Barackenleben, wenn es noch dazu zehn und mehr Jahre dauert, zermürbt und reibt auf. Es ist gar nicht so selten vorgekommen, daß an sich gute Ehen im Lager zerbrochen sind, wobei die Schuld nicht immer nur bei den Eheleuten lag. So wurde ich in einem steirischen Lager in eine Wohnung geführt, die sich in einem unvorstellbaren Zustand befand. Eine junge Frau, die ihr viertes Kind unter dem Herzen trug, kam mir in betrunkenem Zustand entgegen. Nach dem Verlassen der Stube erfuhr ich die ganze Tragik dieser Familie. Der Mann arbeitet viele Kilometer von seiner Familie entfernt und kann nur zum Wochenende heimkommen. In seinem Beschäftigungsort konnte er keine Wohnung C.tden, und eine Uebersiedlung in ein in der Nähe gelegenes Lager wurde nicht gestattet. So kam denn auch, was schließlich zum Untergang der Familie führte, die Frau ergab sich nicht nur dem Alkohol... Ein Einzelfall, mag mancher meinen. Leider ist dem aber nicht so.

In den Barackenlagern gibt es auch eine nicht gerade kleine Zahl von alten Menschen, die einfach nicht mehr die Kraft zu einem Neubeginnen aufbringen. Sie sind auf die Unterstützung ihrer Angehörigen oder der öffentlichen Fürsorge angewiesen. Auf wackligen Schemeln sitzen sie vor den Baracken oder im Wartezimmer des Lagerarztes und träumen von der Vergangenheit und der verlorenen Heimat.

Zu dieser zweiten Gruppe gehören auch jene, die sich noch immer nicht zu einer echten Eingliederung entschließen konnten. Sie schwanken zwischen der Hoffnung auf Rückkehr in die alte Heimat und der Sehnsucht nach fernen Landen, weil man ihnen erzählt, daß es in Australien oder Südamerika noch jungfräulichen Boden gibt, der auf Siedler wartet. Der Drang zur Scholle — und das ist ein sehr gesunder Zug — ist bei der mittleren und älteren Generation, soweit sie Bauern waren, noch besonders lebendig. Sie wollen nicht Bauhilfsarbeiter oder „Industrieproleten“, sondern wieder freie Bauern auf eigener Scholle sein.

Ein nicht gerade kleiner Teil der keineswegs beneidenswerten Barackenbewohner gehört zur dritten Gruppe: die kühlen Rechner und Spekulanten: Wenn auch das Wohnen in den Baracken nicht umsonst ist, so stellt sich der Mietzins doch noch immer niedriger als in einer Mieterschutzwohnung, von einem Neubau nicht zu reden. Dazu kommt, daß sich manche Barackenbewohner inzwischen Kleintiere angeschafft haben. Bei manchem Lager bietet sich auch in bescheidenem Maße die Möglichkeit zum Gemüsebau. Das alles sind Dinge, auf welche die Lagerbewohner nur ungern verzichten wollen.

In einem oberösterreichischen Flüchtlingslager erzählte mir der dortige Seelsorger, daß einer bestimmten Anzahl von Lagerinsassen der Bau von Siedlungshäusern angeboten wurde. Die Stadtgemeinde wollte den Grund kostenlos zur Verfügung stellen, nur sollten die Siedlungswerber bestimmte Beträge, die sich zwischen 3000 und 4000 Schilling bewegten, beisteuern. Das Angebot wurde von den Lagerbewohnern nicht angenommen, und zwar mit der Begründung, daß man ihnen Wohnungen zur Verfügung stellen müsse, wenn die jetzigen Unterbringungsräume für andere Zwecke gebraucht werden. Die geforderten Beträge wolle man lieber sparen, um dann Möbel und andere Einrichtungsgegenstände anschaffen zu können.

Vielleicht könnte ein wesentlicher Teil der Baracken, ganz gewiß nicht alle, längst dem Erdboden gleichgemacht sein, wenn der Wille zur Selbsthilfe stärker geweckt und kräftiger gefördert worden wäre. Hier haben vor allein verschiedene ausländische Stellen entscheidende Fehler gemacht, weil sie die Eingliederung durch Werbungsaktionen für die Auswanderung verhinderten oder zumindestens stark verzögerten. Vielleicht hätte auch durch die öffentliche Hand mehr geschehen können, um zu einer Beseitigung der Baracken zu kommen. Der Bund muß Jahr für Jahr viele Millionen für die Lager aufwenden. Bei einer sorgfältigen Planung und mit ausreichenden finanziellen Beihilfen wäre es — auf die Dauer gesehen — für den Staat noch immer billiger, für feste und stabile Wohnungen zu sorgen, als das Barackendasein noch durch Jahre und Jahrzehnte weiter-zuschleppen.

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