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Vor Abschub Zehntausender Vietnamesen

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Die Vereinbarung zwischen Bonn und Hanoi sieht die Rückführung von 40.000 Vietnamesen in den nächsten fünf Jahren in ihre Heimat vor. Betroffen davon sind nicht nur abgelehnte Asylbewerber, sondern auch ehemalige DDR-Vertragsarbeiter.

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Die Vereinbarung zwischen Bonn und Hanoi sieht die Rückführung von 40.000 Vietnamesen in den nächsten fünf Jahren in ihre Heimat vor. Betroffen davon sind nicht nur abgelehnte Asylbewerber, sondern auch ehemalige DDR-Vertragsarbeiter.

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Für Staatssekretär Werner Hoyer (FDP) ist „der gordische Knoten zerschlagen”. Mitte Jänner unterzeichneten Hoyer und sein Amtskollege Bernd Schmidbauder (CDU) in Hanoi ein Rückführungsabkommen, das für 40.000 Vietnamesen die Abschiebung in ihre ungeliebte Heimat bedeutet. Doch die Regierung in Hanoi nimmt Vietnamesen nicht freiwillig zurück, sondern erklärte sich erst nach enormem wirtschaftlichen und politischen Druck Deutschlands dazu bereit.

Bis zur Vertragsunterzeichnung hatten sich die vietnamesischen Behörden sogar geweigert, ihre eigenen Landsleute wieder einreisen zu lassen. So mußten auch abgelehnte Asylbewerber aus Vietnam gezwungenermaßen in Deutschland bleiben.

Erst als im vergangenen Herbst das Bonner Kabinett die Entwicklungshilfe für das südostasiatische Land gestoppt hatte, erklärte sich Hanoi zu Verhandlungen bereit. Die neue Vereinbarung sieht den weiteren Fluß der Gelder aus Deutschland -in den nächsten zwei Jahren immerhin jeweils 700 Millionen Schilling - vor sowie die Erweiterung staatlicher Bürgschaften für deutsche Exportgeschäfte. Die deutsche Bundesregierung verpflichtete sich außerdem schriftlich, deutsche Unternehmen zu Investitionen in Vietnam „in größerem Umfang zu ermutigen” und sich für den baldigen Abschluß eines Kooperationsvertrags zwischen der europäischen Union und dem südostasiatischen Land einzusetzen. „Das ist alles nur ein Handel.

Menschen sollen gegen Geld abgeschoben werden”, kritisiert der Leiter des Berliner Beratungszentrums „Reistrommel”, Magnar Hirschber-ger. Auch der Referent der Berliner Ausländerbeauftragten, Nguyen Huong, kritisiert die Vereinbarung: „Deutschland laßt sich erpressen.” Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John bezeichnet vor allem den vorgegebenen Zeitraum von fünf Jahren für den Abschluß des „Rückführungsprogramms” als fragwürdig: „Was macht ein Mensch, der jetzt erfährt, daß er in spätestens fünf Jahren das Land verlassen muß?”

Einer, der mit dieser Unsicherheit seit kurzem leben muß, ist Herr Wing-Chiu. Für ihn ist es unfaßbar, daß er das Land - oder zumindest den Teil des Landes - verlassen muß, in das er vor neun Jahren gerufen worden ist.

„Damals haben sie uns gebraucht, jetzt sind wir nutzlos und müssen weg”, erzählt der 38jährige in gebrochenem Deutsch. Mitte der achtziger Jahre wendete sich die DDR auf der Suche nach billigen Arbeitskräften auch an die Genossen in Vietnam. Wing-Chiu galt als Auserwählter bei seinen Landsleuten, weil er nach Ostdeutschland reisen durfte. Insgesamt 60.000 Vietnamesen durften als

Vertragsarbeiter ins „gelobte Land”. Bis zur Wende ging auch alles gut. Der Vietnamese arbeitete in einem „volkseigenen Betrieb” an einem Fließband und war zufrieden mit seiner Ein-Zimmer-Wohnung im „Fidschi-Ghetto”, einem vorwiegend von Ausländern bewohnten Viertel im Ostberliner Bezirk Lichtenberg.

Als der Betrieb abgewickelt wurde, verlor Wing-Chiu seinen Job. Damit fehlt ihm eine der drei Voraussetzungen, um das „Bleiberecht”, wie es im Beamtendeutsch heißt, zu bekommen. Die anderen Bedingungen sind Wohnung und Straffreiheit. Wer beim Verkauf von einer Stange Zigaretten erwischt wird, wird nach der neuen Regelung ebenso abgeschoben wie Neuankömmlinge, deren Asylantrag abgelehnt wird oder die erst gar keinen gestellt haben und untergetaucht sind.

Fast die Hälfte der derzeit in Deutschland lebenden Vietnamesen erfüllt mindestens eine der Bedingungen für das begehrte Bleiberecht nicht.

Gegenüber den Kurden hat Deutschland allerdings seine Abschiebepraxis, wenngleich auch nur zeitlich befristet, geändert. Nachdem wiederholt Meldungen über Folterungen in die Türkei abgeschobener Kurden bekannt geworden sind, hat der deutsche Innenminister Manfred Kanther (CDU) einen Abschiebestop für kurdische Flüchtlinge festgelegt. Konkreter Auslöser für diesen Schritt war jedoch die Verurteilung kurdischer Oppositionspolitiker vor einigen Monaten in der Türkei. Die Regelung gilt aber nur bis 28. Februar.

Innerhalb der CDU ist diese Frist jedoch umstritten. Der sächsische Innenminister Heinz Eggert hält den Abschiebestop für unnötig. Der CDU-Politiker erklärte nach einer dreitägigen Türkei-Reise, daß kein Kurde wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit mit Verfolgung rechnen müsse. Eggert hält deshalb die Lage der Kurden für „nicht so dramatisch”.

Für eine Verlängerung der Frist setzt sich hingegen Außenminister Klaus Kinkel (FDP) ein. Die SPD-Ministerpräsidenten gehen noch einen Schritt weiter und fordern, keine Frist mehr zu setzen, sondern Kurden bis zur Klärung der Lage generell nicht mehr abzuschieben.

Innenminister Kanther hat jedoch bereits deutlich gemacht, daß er gewillt ist, den Abschiebestop Ende Februar wieder aufzuheben.

Besorgt über die Asylrechtspraxis meldeten sich deshalb die evangelischen Kirchen zu Wort. Es sei unverständlich, daß humanitäre Gesichtspunkte „rechtlich und im exekutiven Bereich keine Beachtung” fänden. Gefährdete Flüchtlingsgruppen könnten einfach in Kriegs- und Krisengebiete abgeschoben werden.

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