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Die Tragödie Eduard Winter

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Das neueste Buch des Professors für Geschichte an der Universität Berlin befaßt sich mit der Slawenpolitik Leos XIII., der seine besondere Aufmerksamkeit der Wiedervereinigung der Orthodoxen mit Rom zugewendet hatte. Dem Leser des Buches wird während des Studiums sofort eine Reihe von kleinen Fehlern in die Augen springen, die einem gewissenhaften Forscher eigentlich nicht unterlaufen dürften. So behauptet der Verfasser, Bischof Stroßmayer habe mit drei andern Bischöfen auf dem Vatikanischen Konzil gegen die Unfehlbarkeit gestimmt. In Wirklichkeit stimmten nur zwei Bischöfe dagegen, während Shoßmayei mit den übrigen Mitgliedern der Opposition abgereist war. Oder Leo XIII. habe sich gern als „vicarius Christi“ bezeichnet. Dieser Titel dagegen ist der offizielle des Papstes und wird schon seit Innozenz III. geführt, weshalb man aus der Führung dieses' Titels durch Leo XIII. gar keine Rüdeschlüsse auf Politik ziehen kann. Weiter sagt der Verfasser, Bonifaz VIII. habe als Ausdruck seiner imperialistischen Weltherrsdiaftspläne drei Kronen an der päpstlichen Tiara anbringen lassen. In jedem Handbuch über liturgische Kleidung kann man nachlesen, daß drei Kronen an der päpstlichen Mitra erst seit dem 16. Jahrhundert angebracht sind. Papst Benedikt XV. macht Winter den Vorwurf, er sei ein besonderer Freund der Franzosen gewesen. Diesen Vorwurf brachten die Deutschen während des ersten Weltkrieges auf, während die Franzosen ihn wieder als Deutschenfreund bezeichneten. Eine Reihe weiterer Unrichtigkeiten könnte noch angeführt werden.

Der Verfasser will mit dem Buch, das einen großen wissenschaftlichen Apparat besitzt, eines beweisen: Leos XIII. ganzes Streben sei auf Wiederherstellung der Weltherrschaft de« Papsttums gerichtet gewesen. Er habe die Interessen der Religion der Politik geopfert, geistliche Macht für weltliche Ziele mißbraucht. Vorwürfe, die selbst die schärfsten Gegner des Papsttums einem Leo XIII. nicht zu machen wagten.

Wer auch nur ein Kapitel aus dem Ponti-fikat dieses Papstes untersucht, darf doch dabei nicht den. Blick auf seine gesamte Regierung verlieren. Leos XIII. Regierungsprogramm war die Versöhnung von Kirche und moderne Kultur, von Kirche und moderne Gesellschaft. So wie er es als gleichgültig für die Kirche erklärte, ob ein Staat eine Monarchie oder eine Republik sei, gestand er auch dem Staat ein Eigenrecht auf weiten

Gebieten zu. Sein Bestreben war es nur, die Bestrebungen der Kirche und der Staaten soweit wie möglich zu koordinieren. Sein einziges Ziel war: die Prinzipien des Christentums in der Welt zur Herrschaft gelangen zu lassen. Und nicht die Weltherrschaft zu erlangen. Das einzige Bestreben Leos XIII., auf dieser Welt auch eine irdische Herrschaft zu erlangen, war, aus der „Vatikanischen Gefangenschaft“ befreit zu werden, da eine völlige Souveränität des Papsttums, wenn auch nur auf kleinstem Gebiet, eine der Voraussetzungen ist, daß es seine Aufgabe voll und ganz erfüllen könne. Noch dazu zu seiner Zeit, da das freimaurerische Italien den Vatikan abzuwürgen schien. Ein Teil seiner Diplomatie war der Wiedergewinnung dieser irdischen Souveränität — nicht der Weltherrschaft — gewidmet. Zuerst hoffte er, ganz Rom zurückzuerhalten, daß dann als Bundesstaat Italien beitreten sollte. Schließlich wollte er sich mit der Souveränität über den Vatikan begnügen. Als auch dies nicht zu erreichen war, trug er sich eine Zeitlang mit dem Gedanken, nach Spanien oder Osterreich zu übersiedeln. Als auch dies nicht gelang, versuchte er es, Italien vom Dreibund zu isolieren, eine Annäherung zwischen Frankreich und Rußland und zwischen diesen und Deutschland herbeizuführen, um dann das alleinstehende Italien zwingen zu kön-gen, den Raub von 1870 wiedergutmadien zu können. Auch dies gelang nicht. Von Weltherrschaft keine Spur. Ebensowenig von Aufopferung der Religion um der Politik willen.

Warum sieht dies aber der Verfasser so, oder besser gesagt, will es so sehen? Hier ist es Zeit, von der Tragödie Eduard Winter zu sprechen.

Eduard Winter war einst, als römisch-katholischer Priester, Professor für Kirchengeschichte an der deutschen Universität Prag, der auch auf der philosophischen Fakultät Vorlesungen hielt. Sein Einfluß auf die Studenten und darüber auf das geistige

Leben der Sudetendeutschen war sehr groß. Wissenschaftlich errang er sich einen Namen durch seine Studien über den Theologen Günther, dann durch seine Forschungen über den Philosophen Brentano und durch seine Arbeiten über die böhmische Kirchen-gesdiichte, die 1938 unter dem Titel „Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum“ erschienen. Ein Buch, das noch ganz im katholischen Geist geschrieben war. 1940 plötzlich lief das Gerücht um, das sich leider bewahrheitete, er sei aus der Kirche ausgetreten. Als Grund gab Winter in einem Rundbrief an, er sei einst aus nationalen Gründen Priester geworden, um dem Volk zu helfen, da aber jetzt die Sicherheit des Volkes gesichert sei, könne er sein Priestertum niederlegen. 1943 erschien sein Buch über den Josephinismus, den er als einen Versuch, die Kirche im Geiste der Urkirche zu reformieren, pries und als einen Protest des germanischen Menschen gegen den römischen Formalismus darstellte. Was an dem Buch auffiel, war der starke Affekt gegen Kirche und Papsttum. Nach dem Krieg versuchte Winter in Wien Fuß zu fassen, als dies nicht gelang, nahm er eine Berufung an die Universität Halle und dann an die — ostdeutsche — Universität Berlin an. Seine letzten Schriften — außer dem hier besprochenen Buch gab er noch eine Studie“ über Brentano und über Bolzano heraus — atmen alle den gleichen starken Affekt gegen Kirche und Papsttum.

Wo sind die Gründe zu finden, die den ehemaligen Priester der Kirche zu einem ihrer Gegner machten? „Erbmasse und Heimaterde bedingen zu einem nicht geringen Teil jeden Menschen“, schrieb er vor vielen Jahren. Eduard Winter stammt aus dem Sudetenraum, der „eine Grenze ist mit allen ihren Vorzügen und Nachteilen“. „Ein reformatorischer Grundzug“, schreibt er in „1000 Jahre Geisteskampf“, „ist hier der religiösen Entwicklung besonders eigen. Das Reformatorische verflacht freilich immer mehr zum Reformerischen. Die Sehnsucht nach kirchlichen Reformen kommt immer weniger aus tiefem religiösem Erleben, sondern wird nicht selten durch Äußerlichkeiten hervorgerufen.“ Eine Definition, wie sie über die Menschen aus dem böhmischen Kessel — einschließlich Eduard Winter — nicht besser angestellt werden könnte.

Der böhmische Raum hat — geistig — ein mörderisches Klima. Die Belastungen, die es auferlegt, sind enorm: denn Menschen aus diesem Raum sind mit dem Slawentum und Germanentum verbunden, mit dem Osten und Westen. Sie stehen diesseits und jenseits der Grenze. Ein starkes religiöses Leben könnte hier die — einzige — Synthese finden. Aber dies gerade fehlte und fehlt weitgehend. Eduard Winter ist eines der vielen Opfer dieses mörderischen Landes, das ihn zerstörte. Er ist seinen Gefahren erlegen. Und wurde dadurch aus einem Paulus zu einem Saulus, der seine hohe Intelligenz einsetzt, um seinen Affekt gegen die Kirche austoben zu können. Die er vielleicht — in manchen Augenblicken seines Lebens — sehr geliebt hat. Da er sie sonst jetzt nicht so hassen könnte. Auch eine böhmische Tragödie.

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