6674685-1961_16_08.jpg
Digital In Arbeit

Petrus sprach durch Leo

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kirche ehrt Leo den Großen als einen der hervorragendsten Repräsentanten katholischer Geistigkeit. So darf es denn nicht verabsäumt werden, den heiligen Papst anläßlich der Wiederkehr seines 1500. Todestages durch die Würdigung seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung zu feiern.

Der altchristlichen Epoche eignete — ein beredtes Zeugnis für ihren tiefgläubigen Sinn — ein besonders lebhaftes Interesse für dogmatische Probleme. Um zu einem vertieften Wesensverständnis unserer heiligen Religion zu gelangen, mühte sich vornehmlich der christliche Osten um die Darlegung der Theologie des dreieinigen Gottes und der Person Jesu Christi. Im Jahrhundert Leos des Großen stand die Frage der hypostatischen Union im Mittelpunkt der Diskussion. Gewiß lebte die alte Kirche seit den Tagen ihrer Gründung aus dem Glauben an die wahre Gottheit und die wahre Menschheit unseres Herrn — doch stand die Frage offen, wie die Existenz von zwei Naturen in einer Person zu denken sei. — Im geistigen Ringen um die Lösung dieses schwierigen Problems traten die Monophy- siten unter Führung des Eutyches von Konstantinopel hervor, die sich in ihrem Glauben an eine, nämlich die gottmenschliche Natur nicht beirren ließen. Weiteste Kreise bekannten sich zu dieser auf der Synode von Ephesus, der sogenannten „Räubersynode" vom Jahre 449 von Vertretern des östlichen Episkopats als orthodox befundenen Lehre. Indem der oströmische Kaiser Theodosius II. diesen Entscheid sanktionierte, wurde daraus eine Rechtsfrage erstrangiger Bedeutung. Angesichts dieser Gefahr erhob Leo I. seine Stimme und legte in seiner berühmten „Epistola dogmatica ad Flavianum“ vom Jahre 449 die Christologie dar. Dieses Lehrschreiben — ein sowohl gedankliches als auch sprachliches Meisterwerk — darf als Leos überzeitliche Leistung gelten,'■ das Sbiü&ti

Ruhm mit begründete. Wie gewichtig Leos Wort war, erhellt die Tatsache, daß das ökumenische Konzil von Chal- cedon vom Jahre 451 auf Grund der Epistola sein Glaubensdekret über die hypostatische Union abfaßte. Zutiefst waren die Väter des Konzils überzeugt, ..daß Petrus durch Leo gesprochen hatte".

Als dogmengeschichtliches Ereignis erstrangiger Bedeutung sei die Definierung des kirchlichen Glaubens an die Person unseres Herrn Jesus Christus gerühmt. Heute noch hüten wir den Glauben des Konzils von Chalcedon als kostbaren geistigen Besitz, eingedenk des Woites Leos, ..daß die katholische Kirche in dem Glauben lebt und wächst, daß man in Jesus weder an die Menschheit ohne die wahre Gottheit noch an die Gottheit ohne die wahre Menschheit glaube".

.wurde der Große von Be- Mdäct , zum „Doctor ecclesiae" deklariert. Hochgeschätzt sind auch seine 96 Homilien zu den Hochfesten des Kirchenjahres und zu dem Jahrestag seiner Erhebung auf den päpstlichen Thron, die teilweise im römischen Brevier Aufnahme fanden. Leo verzichtete auf jedwede Sophistik — er pflegte die vornehme und einfache Sprache des edlen Römers, die sich durch Tiefe und Klarheit der Gedankenführung auszeichnet.

Die römische Kirche ehrt Leo den Großen als den Wahrer und Mehrer der Rechte des Papsttums. Getragen vom lebendigen Bewußtsein der unvergleichlichen Würde seines hohen Amtes bezeugte Leo die im göttlichen Recht begründete Autorität des Heiligen Stuhles. — Geistesgeschichtlich bedeutsam ist, daß die mittelalterliche Idee vom Papsttum erstmalig durch Leo deutlich ausgesprochen wurde. Mit besonderem Nachdruck sprach der Papst, der die hierarchische Ordnung respektiert wissen wollte, von der gottgesetzten monarchischen Regierungsform der Kirche. Feierlich betonte er, daß Petrus, der in seinen Nachfolgern stets gegenwärtig ist, durch die Verleihung der Primitialrechte ausgezeichnet wurde. Diese Begründung der Vollgewalt des römischen Bischofs war neu, nicht aber die Vorstellung, die ihr zugrunde lag. Doch ließ das Pathos, mit dem Leo seinen Gedanken vortrug, die Welt aufhorchen. Es scheint, daß es ihr erstmals deutlich zu Bewußtsein kam, daß es Gott gefallen hatte, Rom zu erhöhen. Machtvoll verteidigte Leo I. den Primat Roms gegen den Anspruch Konstantinopels. Er ließ sich nicht bewegen, den berühmt gewordenen Kanon 28 des Konzils von Chalcedon, der in der Abwesenheit und dann gegen den Einspruch der päpstlichen Legaten abgefaßt wurde, zu unterzeichnen und beharrte in seinem Protest. So unbeugsam die Haltung des Papstes auch war, die durch den Aufstieg Konstantinopels für den Osten schicksalsentscheidende Entwicklung konnte nicht mehr aufgehalten werden.

452 waren die Hunnen in Italien eingefallen. Sie zerstörten Aquileja, Venetien und Ligurien und bedrohten die Ewige Stadt. Auf Ersuchen Kaiser Valentinians II. zog Leo I. mit einer Gesandtschaft den Eroberern entgegen. Unweit von Mantua kam es zu der weltgeschichtlich so bedeutsamen Begegnung zwischen dem heiligen Papst und König Attila, die in Raffael Santis berühmtem Fresko in den Stanzen des Vatikans und in Algärdis Relief am Grabe Leos im Bilde festgehalten ist.

Als historisch erwiesen gilt, daß Leos Mission von Erfolg gekrönt war. Der Hunnenkönig gab das feierliche Versprechen, an das er sich zeitlebens gebunden fühlte. Italien zu räumen, mit dem Kaiser Frieden zu schließen und mit dem Heiligen Stuhl freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.

Der Zeitgenosse Leos, Prosper Tiro, schilderte in seiner Chronik die denkwürdige Begegnung des Jahres 452 und spricht von dem Vertrauen, das Leo in Gott gesetzt hatte und von der Ergriffenheit des vor geistiger Größe sich neigenden Hunnen. — Wenngleich wir diesen Bericht nicht ohne Vorbehalt aufnehmen können, so sollten wir doch erwägen, daß Attila sich einer Macht gegenübergestellt sah, die er respektieren mußte. Leo repräsentierte die Hoheit, Mächtigkeit und Unantastbarkeit der Kirche, die damals auch im öffentlichen Leben ein gewichtiges Wort zu sprechen hatte. Vielleicht war sich Attila bewußt, daß er einer Welt begegnete, die bereit war, für ihre Kultur den Kampf aufzunehmen. — Und nicht zuletzt sollten wir die Macht einer im Übernatürlichen verankerten Persönlichkeit nicht unterschätzen.

Leo gebot auch Geiserich, dem Vandalenkönig, der 45 5 vor den Toren Roms stand. Wenngleich er auf eine vierzehntägige Plünderung Roms nicht verzichtete, so erklärte er sich doch zu Zugeständnissen bereit. Er schonte das Leben der Bewohner und gab seinen Plan, Rom dem Flammentod zu überantworten, auf.

Leos machtvolles Auftreten erhöhte die moralische Autorität des Heiligen Stuhles. Sein Pontifikat, der mit die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter begründete, darf als einer der glanzvollsten und kirchengeschichtlich bedeutsamsten bezeichnet werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung