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Zur Förderung hochbegabter Kinder beschreitet man im Aus- ' land drei grundlegend verschiedene Wege: Individualisierung, Beschleunigung und Bereicherung.

Die Individualisierungsprogramme umfassen die Einrichtung eigener Klassen oder Schulen für Hochbegabte. Dies geschieht in großem Umfang in den Ländern des Ostblocks, wo es für künstlerisch, sprachlich oder mathematisch-naturwissenschaftlich besonders begabte Kinder solche Schulen gibt.

In der Bundesrepublik Deutschland führt-die Jugenddorf-Chri-stophorus-Schule Braunschweig seit einigen Jahren jeweils eine Spezialklasse für 'Hochbegabte, die an anderen Schulen durch Unterforderung zu Schulversagern wurden und dort in extrem fordernder und fördernder Atmosphäre wieder zur Leistung motiviert werden.

Eine Spielart der Individualisierungsprogramme sind die in den USA gern durchgeführten „Pull-out-Programme“, bei denen die Schüler den größten^Teil ihrer Zeit in der „Normalklasse“ verbringen und nur für einige Stunden am Tag oder in der Woche von eigens dafür ausgebildeten „Hochbegabtenlehrern“ betreut werden.

Die Beschleunigungsprogramme bringen den Schüler durch Uberspringen von Klassen oder durch Einrichtung von D-Zug-Klassen, die den Stoff von drei Jahren in zwei Jahren vermitteln, schneller zur Hochschulreife.

Untersuchungen im Ausland haben ergeben, daß sich diese Form der Förderung, die durch das Schulgesetz in Österreich leider unmöglich ist, keineswegs negativ auf die emotionale oder soziale Entwicklung der Jugendlichen ausgewirkt hat.

Organisatorisch am leichtesten durchführbar sind die Bereicherungsprogramme, die dem Schüler oft eine Fülle von Wissen und zusätzlicher Betätigung anbieten. Wichtigster Grundsatz aller dieser Programme ist, daß sie sich nicht mit dem Lehrstoff der Schule überschneiden dürfen, um den Wissensvorsprung der Schüler gegenüber ihren Altersgenossen nicht noch weiter zu vergrößern.

Das Schwergewicht liegt daher auf der Schulung des Denkens oder auf der Vermittlung von Wissensgebieten, die im Schulunterricht von vornherein zu kurz kommen. Die meisten dieser Bereicherungsprogramme werden allerdings nicht von Schulen, sondern von Hochschulen oder privaten Institutionen angeboten.

In den USA und in England bietet man in den „Saturday Classes“ Kurse für Kinder verschiedener Altersstufen an: Mathematisches Problemlösen, Physik für junge Leute, Chemische Detektive, Computerwissenschaften, Meeresbiologie, Journalismus, Schreiben von Science-fiction-Romanen, Elektrizität, Franzö-

sisch, Italienisch, Latein und Altgriechisch.

In Deutschland wurde 1978 durch private Initiative die „Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind“ gegründet, deren Regionalverbände eine Reihe von Förderprogrammen durchführen. In Berlin gibt es zum Beispiel den „Literaturclub für hochbegabte Frühleser“, in dem Kinder betreut werden, die sich schon vor der Schule selbst das Lesen beigebracht haben.

Man versorgt sie mit guter, altersgemäßer Lektüre und regt sie an, selbst Geschichten zu schreiben. Ebenfalls in Berlin wird nach amerikanischem Vorbild ein „Philosophiekurs für 8- bis 13j ährige“ durchgeführt, in dem man auf die Vorliebe hochbegabter Kinder für schwierige Probleme ebenso eingeht wie auf ihre Lust am Denken um des Denkens willen.

In Zusammenarbeit mit der Universität Baltimore führt die Universität Hamburg seit 1983 ein Modellprojekt „Identifizierung und Förderung mathematisch besonders befähigter Schüler“ durch. Man will Verfahren zur systematischen Suche nach besonders begabten Schülern entwik-keln und plant, ein langfristiges Förderkonzept und vom Schullehrstoff unabhängige Unterrichtsmaterialien zu erarbeiten; außerdem soll die Auswirkung der Förderung auf die Schüler untersucht werden.

Einmal im Jahr wird gegen Ende des Schuljahres in den Hamburger Gymnasien eine Talentsuche unter den Zwölfjährigen durchgeführt, zu der sich die Schüler selbst oder auf Empfehlung ihres Lehrers melden. Durch einen Eignungstest werden die 40 bis 50 mathematisch begabtesten Schüler ausgewählt, die dann jeden Samstag die Kurse an der Universität Hamburg besuchen.

Gerade bei dem Hamburger Mathematikprojekt hat sich gezeigt, daß es sich sehr günstig auswirkt, wenn Hochbegabte zumindest einmal in der Woche mit Problemen größerer Schwierigkeit konfrontiert werden (die Zwölfjährigen bearbeiten Aufgaben, die in der Schwierigkeit einer Altersstufe von Sechzehnjährigen angemessen wären):

Durch die Erfahrung, einmal nicht das „Wunderkind“ der Klasse zu sein, dem alles ohne Arbeit von der Hand geht, sondern sich anstrengen zu müssen und vielleicht sogar zu versagen, wurden die Teilnehmer nach einiger Zeit auch in ihrer „Normalklasse“ den Mitschülern gegenüber erheblich hilfsbereiter und toleranter.

Weitere Fördermaßnahmen, die es zum Teil auch in Österreich gibt, sind die zahlreichen Wettbewerbe wie „Jugend forscht“, die Bundeswettbewerbe „Mathematik“, „Informatik“, „Fremdsprachen“ und „Jugend musiziert“, die Physik-, Chemie- und Mathematik-Olympiaden, die Schreibund Redewettbewerbe, das „Schülertheatertreffen“ und das „Treffen junger Liedermacher“.

Uber all den faszinierenden Förderprogrammen darf man jedoch nie vergessen, daß es nicht darum geht, einer privilegierten Gruppe besondere Vorteile zu verschaffen. Stets geht es darum, jungen Menschen zu helfen, ihren Anlagen und Neigungen entsprechend zu leben und dadurch zu glücklicheren und leistungswilligeren Menschen zu werden. Der Autor ist Professor am Pädagogischen Institut des Bundes in der Steiermark.

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