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Der Auftrag

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Die katholische Lehrerschaft Oesterreichs erhebt in dem Zeitpunkt, da auf Regierungsebene der Weg für die nächsten, entscheidenden Jahre abgesteckt wird, wieder ihre Stimme und fordert die Schaffung eines Schulgesetzes, das die Voraussetzungen für eine gedeihliche Erziehung unserer Jugend verbürgt.

Die Katholische Lehrerschaft Oesterreichs erinnert in dieser Stunde mit allem Ernst und Nachdruck daran, daß die Oeffentlichkeit genügend Zeit und Möglichkeit hatte, die verschiedenen Vorschläge für die Organisation der österreichischen Schule in Theorie und harter Praxis kennenzulernen und daß sie sich ihre Meinung gebildet hat. Die Zeit der Experimente ist um; die richtigen und guten Grundlagen müssen endlich gelegt werden. Der österreichische Weg muß auch für die Schule beschritten werden!

Wenn in Wien der Wahlausgang den Sozialisten die empfindlichste Niederlage seit Bestand der Republik gebracht hat, so geht dies nicht nur auf Versagen in verwaltungstechnischer Hinsicht und häufig undemokratisches Verhalten, sondern auch auf ihre Kultur- und Schulpolitik in dieser Stadt zurück. Dies wurde schon in den Lehrerwahlen der letzten Jahre sichtbar. Kein Wort gegen wahren Fortschritt — die Katholische Lehrerschaft hat für ihn seit ihrem Bestand gekämpft, die Namen Willmann, Zeif, Giese, Hornich, Battista, Merth, Kolar und ein Heer anderer stehen dafür —, aber man hüte sich vor dem falschen Fortschritt, der Geschäftigkeit und Betriebsamkeit, dem Rumoren, Umstülpen und Umstürzen als Prinzip!

Wir haben vor einem Monat an dieser Stelle Kernpunkte für das neue Schulgesetz herausgestellt und haben sie heute bloß zu unterstreichen. Ist es nicht recht und billig, wenn verlangt wird, aus langjährigen Erfahrungen und zwingenden Erkenntnissen die notwendigen Folgerungen zu ziehen? Es handelt sich im Grunde um drei elementare Grundsätze:

1. Die Unterrichtsform mit Fachlehrersystem darf Kindern nicht früher zugemutet werden, als sie entwicklungsmäßig dafür geeignet sind. Die durchschnittliche Altersgrenze liegt hierfür um das 11. Lebensjahr. Daraus ergibt sich, daß die Mehrzahl der Kinder gegenwärtig zu früh die Unterstufe der Volksschule verläßt und in einer falschen Phase der Haupt- und Untermittelschule überantwortet wird. Die Folgen bestätigen dies: die Fachlehrer klagen über die „mangelnden Grundlagen“ der Kinder — in Wirklichkeit ist es mangelnde Reife —, und die wertvolle, opferreiche Arbeit der Volksschule erntet schlechten Dank. Die Eltern, an ordentliche Ergebnisse der ersten Schuljahre gewöhnt, fallen häufig aus allen Himmeln, wenn die ersten Zensuren kommen und Schwierigkeiten, vor allem in den Fremdsprachen, auftauchen. Die Kinder werden verwirrt und entmutigt — und all das schleppt sich über Jahre fort.

2. Jede Schultype hat nach dem Auftrag und Gesetz, das ihr innewohnt, zu wirken. Das gilt auch für die Mittelstufe. Die Vermischungstendenz, die hier seit drei Jahrzehnten im offenen und verdeckten Dienen an einer „Einheitsmittelschule“ herrscht, hat sich nur schädlich ausgewirkt. Das wissenschaftliche Niveau der Mittelschule ist gefährdet, der praktische Ertrag der Hauptschule so sehr in Frage gestellt, daß Lehrherren “über das Austrittszeunis hinwegsehen und selbständig handfeste Prüfungen veranstalten.

3. Mehr denn je hat die Schule heute einen Frziehungs-, einen kulturellen Missionsauftrag. Träger ist der Lehrer. Seine charakterliche Ausbildung darf der intellektuellen um nichts nachstehen. Nur ein langjähriger uncebroehener Bildungsgang schafft die unerläßlichen Voraussetzungen dafür.

Diese unumstößlichen Tatsachen fordern die Maßnahmen für das künftige Schulgesetz, die wir seit Jahr und Tag vertreten.

Man möge sich nicht täuschen: Bei diesen Forderungen handelt es sich weder um ein Minimal- noch um ein Maximalprogramm, sondern um die Durchsetzung elementarer Notwendigkeiten, ja Selbstverständlichkeiten im Interesse unseres Volkes. Der Auftrag vom 13. Mai 1956 an die Oesterreichische Volkspartei enthält nicht an letzter Stelle die Erwartung, daß diese Forderungen in wahrhaft staatserhaltender Gesinnung gewahrt werden.

Lind nun noch ein Wort zu den Schulverhandlungen, die zweifellos bald wieder anheben werden: man hat unseres Erachtens in der Vergangenheit Verhandlungsgegenstände aus verschiedenen Bereichen konfrontiert, nämlich die Frage der Schulorganisation einerseits und die der Subvention bestehender konfessioneller Schulen anderseits. Aus dieser Konfrontation wurden für das eine und das andere Gebiet Forderungen und Verpflichtungen abgeleitet.

Wir halten die Verquickung dieser Komplexe für unstatthaft. Es ist geradezu absurd, ja sträflich, wenn die Frage, ob Eltern in Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte finanziell doppelt belastet werden dürfen — dies ist derzeit der Fall, wenn sie ihre Kinder aus Gewissensgründen in eine katholische oder evangelische Schule schicken — Repressalien für die innere Schulorganisation, etwa den zweckmäßigen Aufbau der Lehrerbildung, nach sich zieht.

Lind als letztes: Unabhängig vom Ausgang der Wahlen ist der k Zeitpunkt erreicht, da die Oeffentlichkeit, besonders die Eltern, aber ebenso die verschiedenen Körperschaften, in den Fragen der Schule als eines eminenten Anliegens des gesamten Volkes zu Worte zu kommen hat und ihre Meinung verbindlich zur Kenntnis genommen werden muß. Es ist bezeichnend, mit welcher Feinfühligkcit die Schulfrage noch aus jedem Wahlkampf herausgehalten wurde. Bundeskanzler Raab hat in wirtschaftlicher'Hinsicht auf das notwendige Moment der Oeffentlichkeit hingewiesen; die Katholische Lehrerschaft Oesterreichs ist der Meinung, daß dieser Grundsatz auch für die Frage der Schulgesetzgebung gelten, daß nun dem Volk die Möglichkeit geboten werden muß, den Verhandlungen zu folgen und seine Ansichten bekanntgeben zu können. Wir werden jedenfalls unserem Gewissen und unserer Verantwortung gemäß in diesem Sinne handeln.

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