Thomas Brudermann - © Foto: Tzivanopoulos

Thomas Brudermann über die "Kunst der Ausrede": "Wir müssen vorangehen"

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Der Klimapsychologe Thomas Brudermann über „Die Kunst der Ausrede“, mit der sich viele lieber selbst täuschen, als nachhaltig zu leben – und wie man endlich beginnen könnte.

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Der Klimapsychologe Thomas Brudermann über „Die Kunst der Ausrede“, mit der sich viele lieber selbst täuschen, als nachhaltig zu leben – und wie man endlich beginnen könnte.

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Eigentlich wüssten die meisten, was zum Schutz des Klimas getan werden muss: weniger Treibhausgase emittieren und generell auf Nachhaltigkeit achten. Doch im individuellen Leben wie auch in der Politik herrscht das große Scheitern. Warum das so ist, versucht Thomas Brudermann zu erkunden. Im Buch „Die Kunst der Ausrede“ hat der an der Uni Graz tätige Nachhaltigkeitsforscher und Psychologe seine Erkenntnisse prägnant zusammengefasst. DIE FURCHE hat mit Brudermann, der bei den „Tagen der Transformation“ unter dem Motto „Anfängerinnen“ über „Bequeme Ausreden oder unbequeme Fakten?“ referieren wird, gesprochen. (Das vollständige Gespräch hören Sie im FURCHE-Podcast).

DIE FURCHE: Herr Brudermann, beginnen wir mit einer Diskrepanz: Just im Sommer 2023, der von Wetterextremen und voranschreitender Klimaerhitzung geprägt ist, wird so viel geflogen wie noch nie. Wie ist das zu erklären?
Thomas Brudermann: Aus psychologischer Sicht ist das relativ gut zu erklären. Erstens haben viele durch die Pandemie gefühlt Jahre des Verzichts hinter sich – und jetzt das Gefühl, etwas aufholen zu müssen. Ein weiterer Grund sind die aktuellen, multiplen Krisen, die Unsicherheit auslösen und den Horizont verengen. Man schaut nicht mehr so weit in die Zukunft, sondern lebt eher im Hier und Jetzt – nach dem Motto „Jetzt oder nie!“. Zudem sind die sozialen Medien voll von Bildern schöner Urlaubsdestinationen, von denen viele nur mit dem Flugzeug erreichbar sind.

DIE FURCHE: Dass selbst klimabewusste Menschen in den Urlaub fliegen, ist das beste Beispiel für die „Kunst der Ausrede“, die Sie in Ihrem Buch beschreiben. Sie sprechen von einem „self-serving bias“ – auf Deutsch eine „selbstwertdienliche Wahrnehmungsverzerrung“. Was bedeutet das?
Brudermann: Dass wir uns selbst oft deutlich besser wahrnehmen, als wir tatsächlich sind. Wenn wir etwa Müll trennen, das Licht ausschalten und den Deckel beim Kochen draufgeben, haben wir das Gefühl, wir schützen damit das Klima. Das sind zwar gute Dinge – deren Folgen man sofort merkt. In den wichtigen Bereichen Mobilität und Ernährung das Verhalten zu ändern, also weniger Auto zu fahren, weniger zu fliegen oder weniger Fleisch zu essen, fällt deutlich schwerer. In den Umweltkampagnen der letzten 20 Jahre hat man zwar gehofft, dass die einfachen Dinge der Startpunkt dafür sein könnten, auch die schwierigen zu beginnen. Aber die meisten Menschen nehmen die kleinen Dinge eher als Entschuldigung dafür, die eigentlich wirksamen Dinge nicht zu tun. Zugespitzt wird das etwa durch Kompensationszahlungen bei Flügen. Natürlich kann es helfen, Umweltschäden durch Aufforstungsprojekte zu kompensieren. Aber besser wäre es, den Schaden gar nicht erst anzurichten.

DIE FURCHE: Eine typische Ausrede, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, lautet: „aber China“. Sprich: Das kleine Österreich kann nichts ausrichten, entscheidend sind die großen Player. Stimmt das nicht?
Brudermann: Hier zeigt sich das Phänomen der Umweltweitsichtigkeit. Menschen haben die Tendenz, Umweltprobleme dann als schlimmer wahrzunehmen, wenn sie anderswo passieren. Kohlekraftwerke in China oder brennende Regenwälder in Brasilien nehmen wir – berechtigterweise – als schlimm wahr. Die Entwicklungen bei uns vor Ort – etwa die Bodenversiegelung oder die seit 1990 noch immer nicht gesunkenen Emissionen im Verkehr – betrachten wir hingegen als weniger problematisch. Diese Weitsichtigkeit gibt es aber auch umgekehrt. Jemand in China kann etwa mit Fug und Recht sagen: Wir haben historisch nur 14 Prozent der globalen Emissionen verursacht, die USA und Europa viel, viel mehr.

Und in Indien könnte man darauf hinweisen, dass Europäer pro Kopf fünfmal so viel CO₂-Emissionen ausstoßen. Natürlich brauchen wir kollektive Lösungen. Die Frage ist aber: Wer geht voran? Und ich denke schon, dass die reichen Länder, die das Schlamassel hauptsächlich angerichtet haben, vorangehen und andere Länder unterstützen müssen.

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