Ötsch - © Foto: Markus Ladstätter

Walter Ötsch: „Raus aus der kollektiven Trance!“

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Die Angst vor Hitzewellen und Flutkatastrophen ist zu wenig, um die Klimakrise zu bewältigen: Imaginationsforscher Walter Ötsch über die Bedeutung positiver Zukunftsbilder.

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Die Angst vor Hitzewellen und Flutkatastrophen ist zu wenig, um die Klimakrise zu bewältigen: Imaginationsforscher Walter Ötsch über die Bedeutung positiver Zukunftsbilder.

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Wir sind imaginative Wesen, sagt Walter Ötsch: Der Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Bernkastel-Kues erforscht gesellschaftlich relevante Bilder und Vorstellungen in Geschichte und Gegenwart. Sein neues Buch, das im August erscheint, versteht sich nun als „Streitschrift für mehr Phantasie in der Politik“ („Wir wollen unsere Zukunft zurück!“ Mit Nina Horaczek, Westend). Die FURCHE hat ihn vorab zum Gespräch getroffen.

DIE FURCHE: Krisen mittels Technologie zu bewältigen, entspricht dem Zeitgeist. Aber taugt dies auch als Leitbild für die Bewältigung der Klimakrise?
Walter Ötsch: Man darf den Entwurf von Zukunftsbildern nicht nur der Wirtschaft überlassen. Denn da gibt es derzeit nur drei Antworten auf den Klimawandel: Auswandern können sich nur die Reichen leisten. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist mit hohem Risiko verbunden. Und „Geo-Engineering“ ist mindestens genauso gefährlich. Erst vor kurzem gab es in Australien den Versuch einer Ölfirma, CO₂ aus der Luft zu pumpen und im Untergrund abzulagern. Das Projekt ist grandios gescheitert. Wir wissen noch viel zu wenig darüber, was wir lostreten, wenn wir derartige Veränderungen vornehmen.

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DIE FURCHE: Aus der Psychologie weiß man, dass Freude die stärkste Motivation für Veränderung ist. Der Antrieb zum Klimaschutz kommt jedoch von beängstigenden Prognosen oder Schreckensszenarien wie jüngst der Flutkatastrophe oder den Waldbränden in Europa. Schon 2019 haben rund 11.000 Wissenschafter davor gewarnt, dass bei global unzureichender Verhaltensänderung „unsägliches menschliches Leid“ zu erwarten sei – ein Statement, das letzte Woche im Fachjournal „BioScience“ nochmals bekräftigt wurde ...
Ötsch: Es braucht beides: die Horrorszenarien genauso wie die Hoffnungsbilder, denn ohne das Schlimme vor Augen zu haben, werden wir kaum tätig. Wesentlich ist die Frage, wie wir angesichts der aktuellen Fülle an dystopischen Bildern handlungsfähig bleiben. Hier gibt es zwei große Reaktionen: Einerseits das Überschwemmt-Sein, das bis hin zur Depression und zum Geburtenstreik führen kann. Andererseits die totale Verdrängung, die vor allem von rechtspopulistischen Bewegungen betrieben wird. Sie liefern keine Antworten auf die Klimafrage, da es für sie keine Klimakrise gibt. Dazwischen steht ein „Fenster der Toleranz”, innerhalb dessen man produktiv werden kann.

DIE FURCHE: Was meinen Sie mit Toleranz?
Ötsch:
Dieses Fenster kann in einem sozial geschützten Raum entstehen, wenn wir uns mit anderen ernsthaft und wertschätzend über die eigenen Ängste austauschen. So kann man die Kraft für Veränderung schöpfen.

DIE FURCHE: Auf politischer Ebene wird dieser Austausch immer schwieriger...
Ötsch:
Die Politik hat in vielen Ländern, darunter auch Österreich, in hohem Maße Show-Charakter. Es geht um kurzfristiges Marketing und nicht um Visionen, wie das Land in der Zukunft dastehen könnte. Die Politik ist in den letzten Jahrzehnten immer fantasieloser geworden: Wer zeichnet ein konkretes Bild davon, wie Österreich in zehn oder 20 Jahren dastehen soll?

DIE FURCHE: Ist es nicht ein konkretes Bild, wenn die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler sagt, dass Österreich bis 2040 klimaneutral sein soll?
Ötsch: Das ist zumindest ein gutes Ziel, aber solange das nicht auf der Handlungsebene umgesetzt wird, muss man skeptisch bleiben. Es stellt sich die Frage, ob das ernst gemeint ist – oder nur ein weiterer Meilenstein in einer 40-jährigen Geschichte, in der auch auf globaler Ebene eine Absichtserklärung der nächsten gefolgt ist, während die Umweltsituation tatsächlich immer schlechter geworden ist.

DIE FURCHE: Wer trägt die Verantwortung?
Ötsch:
Die Krise der politischen Fantasie betrifft heute alle großen Strömungen: den Konservativismus, den Liberalismus und die Sozialdemokratie. Religiös-konservatives Gedankengut ernst zu nehmen, würde zum Beispiel bedeuten, die Bewahrung der Schöpfung einzufordern. Analog könnte die Sozialdemokratie auf ihr Gerechtigkeitsversprechen pochen und die Liberalen auf den Freiheitsgedanken. Diese Werte existieren jedoch nur noch als Worthülsen. Würden Politiker die Umweltkrisen wirklich ernst nehmen, dann müsste es um die Sache gehen. Sie müssten über die Parteien hinweg einen Konsens erzielen, nach dem Motto: Wir stecken in einer tiefen Krise, und wir können dazu ein gemeinsames Minimalprogramm formulieren – zu dem es dann ja unterschiedliche Ansätze geben kann. Doch Politiker aller Couleur agieren innerhalb eines Systems, das den Markt über Mensch und Natur stellt. Sie sind vom Glauben an den Markt infiltriert. Der Markt aber ist nichts anderes als ein Bild; ein Narrativ, das unser Denken vernebelt.

Wenn Jeff Bezos ins All fliegt und so viel CO₂ verbraucht, wie Millionen Menschen nicht in ihrem ganzen Leben, dann sollte er dafür mit Verachtung gestraft werden.

Walter Ötsch
Ötsch - © Foto: Markus Ladstätter

Walter Ötsch

Der streitbare Ökonom und Kulturhistoriker kritisiert den Show-Charakter, den die Politik in Österreich angenommen hat: Zur Krisenbewältigung brauche es nicht kurzfristiges Marketing, sondern nachhaltige Visionen.

Der streitbare Ökonom und Kulturhistoriker kritisiert den Show-Charakter, den die Politik in Österreich angenommen hat: Zur Krisenbewältigung brauche es nicht kurzfristiges Marketing, sondern nachhaltige Visionen.

DIE FURCHE: Der Markt ist doch sehr real, denn er hat uns in den letzten Jahrzehnten ziemlich viel Wohlstand beschert!
Ötsch:
Was ich meine ist, dass die Wirtschaft aus menschengemachten Regelsystemen besteht, die durch die Politik verhandelbar sind. Und sie basiert in hohem Maße auf Vorstellungen. An den Börsen etwa werden Zukunftserwartungen gehandelt. Börsen sind Institutionen zur Abwicklung von imaginativen Prozessen. Als der Tech-Unternehmer Elon Musk verkündete, dass Tesla Bitcoin nicht mehr verwenden würde, stürzte der BitcoinKurs um 30 Prozent ein. Börsenkurse basieren auf Zukunftsimaginationen, die vom aktuellen Zustand der Wirtschaft immer mehr abgekoppelt sind. Ich werde daher nicht müde darauf hinzuweisen, dass das ganze Gerede um einen angeblichen Markt oder um eine „Standortsicherung” auf mich wirkt wie eine kollektive Trance.

DIE FURCHE: Andere Gesellschaftskritiker beschreiben eine Suchtdynamik, etwa aufgrund der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Wie kann der Entzug gelingen?
Ötsch:
Wenn der Begriff des Markts wie bei Rumpelstilzchen als Mythos benannt wird, gibt es die Chance, aus diesem Zustand herauszukommen. Es braucht, um mit dem Philosophen Anthony Apphiah zu sprechen, eine Art moralischer Revolution. Wenn Jeff Bezos ins All fliegt und so viel CO₂ verbraucht, wie Millionen Menschen nicht in ihrem ganzen Leben, sollte er dafür mit Verachtung gestraft werden.

DIE FURCHE: Der deutsche Philosoph Thomas Metzinger sagt, dass die Menschheit ihre Würde verliert, wenn sie nicht adäquat auf die Klimakrise reagiert, obwohl sie schon längst um deren verheerende Auswirkungen weiß. Stimmen Sie dem zu?
Ötsch:
Ich würde nicht von der ganzen Menschheit sprechen, aber von den politischen und wirtschaftlichen Eliten, die ja handlungsfähig sind. Man muss die ökologische Frage auch strukturell diskutieren. Die Frage der Macht darf nicht länger ausgeklammert werden. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, über das Mittelalter oder den Absolutismus zu sprechen, ohne die Machtfrage zu reflektieren. Im Kapitalismus ist dies jedoch zum Tabu geworden.

DIE FURCHE: Was heißt das für den Klimaschutz?
Ötsch:
Die meisten Initiativen bewegen sich nach wie vor innerhalb des Bildes vom „Markt”. Nehmen wir das Umweltzertifikat oder die CO₂-Bepreisung: Das alles sind wichtige Initiativen, aber die Problematik kann eben nicht nur durch den Markt gelöst werden. Die Pandemie offenbart, dass eine gestaltende Politik möglich ist. Lange gab es Ausreden wie: Schnell kann man gar nichts machen, der Bevölkerung kann man keine Einschränkungen auferlegen, ein Land allein kann das nicht schaffen, wir haben kein Geld, etc. Das Neue an der Coronakrise ist, wie mächtig sich der Staat gezeigt hat. Die Politik gab ein Gesundheitsziel vor, und plötzlich waren die Maastricht-Kriterien bedeutungslos. Mit dieser Entschlossenheit müssten Politiker auch auf die Klimakrise reagieren.

DIE FURCHE: Aber oft reicht das Wort „Verzicht“, um Angst vor Veränderung zu schüren – Stichwort „Zurück in die Steinzeit“.
Ötsch:
Die Menschen sind doch bereits für die Sache gewonnen: Studien zeigen, dass das Klima mittlerweile die größte Sorge in der Bevölkerung ist. Für konkrete soziale Veränderungen braucht es nur eine Minderheit von vielleicht 20 Prozent, dann kommt die Kugel schon ins Rollen.

DIE FURCHE: Welche positiven Bilder könnten den ökosozialen Wandel vorantreiben?
Ötsch:
Vor allem ein neues Freiheitsbild, das entsteht, wenn Menschen selbstbestimmter leben, aber weniger konsumieren – also das eigene Leben stärker gestalten, im Einklang mit der Natur.

Ötsch Buch - © Foto: Westend Verlag
© Foto: Westend Verlag
Buch

Wir wollen unsere Zukunft zurück!

Eine Streitschrift für mehr Phantasie in der Politik.
Von Walter Ötsch und Nina Horaczek.
Westend-Verlag 2021.
224 Seiten, kart., € 18,50

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