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Sogar die „AZ“ staunte ...

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Eine Fundamentalregel guter Politik lautet bekanntlich: „Fortiter in re, suaviter. in modo“. Was aber ist von einer Politik zu halten, die „suaviter in re, fortiter in modo“ ist?

Einer solchen aber scheint sich die ÖVP verschrieben zu haben: Bei jeder Gelegenheit fallen große Worte, man werde harte Oppositionspolitik betreiben, ja man preist die eigene Härte so sehr, daß dadurch der sozialistischen Propaganda, die ÖVP sei zu keiner konstruktiven Politik zu haben, Vorschub geleistet wird: Auf der anderen Seite gibt die gleiche ÖVP, sobald es nicht um verbale Härte, sondern um sachliche Festigkeit eines wohlbegründeten Standpunktes im Faktischen geht, klein bei.

So dieser Tage wieder im Falle des Assanierungsgesetzes: Da widersetzt sich die ÖVP seit über einem Jahr der Regierungsvorlage, weil diese weniger dem vorgeblichen Ziel der Stadterneuerung als vielmehr der sozialistischen Systemänderung dient, da hat sie es in der Hand, ihren Standpunkt durchzusetzen, weil dieses Gesetz wegen Verfassungsbestimmungen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament braucht. Was aber geschieht? Auf einmal wird die Parteilinie um 180 Grad verbogen und vor dem sozialistischen Standpunkt kapituliert.

Sogar die „Arbeiter-Zeitung“ gab in der Ausgabe vom 23. April ihrem Erstaunen Ausdruck:

„Hatte die ÖVP noch vergangene Woche ihre Zustimmung zum Assanierungsgesetz von Forderungen abhängig gemacht, die die Sozialisten nicht akzeptieren konnten, so war davon — nach internen Beratungen der großen Oppositionspartei — Montag nicht mehr die Rede. Die ÖVP stimmte dem Assanierungsgesetz auf der Grundlage der Regierungsvorlage zu.“

Muß da beim Staatsbürger nicht der Eindruck entstehen, die Volkspartei habe gegen ein Gesetz, das sie selbst für richtig und notwendig hält, über ein Jahr lang sinnlose Obstruktion betrieben und ihr Widerstand sei nicht auf sachliche Bedenken, sondern — wie die Sozialisten immer wieder behaupten — auf die innere Zers'trittenheit dieser Partei zurückzuführen, durch welche Entschlüsse auch in wichtigen und dringenden Fragen beinahe unmöglich werden? Sicherlich trifft dies auf die Haltung zum Assanierungsgesetz nicht zu, bei dem es um schwerwiegende prinzipielle Probleme ging. Aber wer glaubt das noch, wenn plötzlich alle Prinzipien mit erstaunlicher Leichtigkeit über Bord geworfen werden?

Es kommt jedoch noch schöner: Um die ÖVP in Sachen Assanierung mürbe zu machen, drohte der Bautenminister, er werde das Bodenbeschaffungsgesetz — für das angeblich eine einfache Mehrheit genügt — verschärfen und seinen Geltungsbereich auch auf Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohner (die bisher ausgeklammert sein sollten) ausdehnen. Nun stimmt die ÖVP der Assanierung zu, aber der Bautenminister verschärft trotzdem das Bodenbeschaffungsgesetz. Begründung: Die ÖVP stimme nur für die Assanierung, aber gegen das Bodenbeschaffungsgesetz (was für dessen Gesetzwerden ohne Belang ist).

Abgesehen von der merkwürdigen Argumentation des Bautenministers: Was soll diese vollkommen wirkungslose Demonstration von Härte, nachdem das Faustpfand vorher aus der Hand gegeben wurde? Wird man die verärgerte Bauernschaft mit solchem platonischen Protest zufriedenstellen?

Zugegeben, die Ausdehnung des Geltungsbereiches des Bodenbeschaffungsgesetzes ist in der Praxis ziemlich bedeutungslos. Aber es hätte andere wichtigere Fragen sowohl bei der Assanierung als auch bei der Badenbeschaffung gegeben, deren Modifizierung im Sinne der ÖVP als „Conditio sine qua non“ für die Zustimmung zu den Verfassungsklauseln des Assanierungsgesetzes hätte verlangt werden müssen.

Warum dieser „Umfaller“? Hatte die ÖVP Angst, als Bremser bei einem eventuell populären Gesetz dazustehen? Nun, sie hatte lange genug Zeit, ihren Standpunkt der Bevölkerung klarzumachen, einen eigenen Gegenentwurf zu präsentieren. Nichts ist geschehen. Es scheint vielmehr, daß Interessengruppen, denen der Regierungsentwurf in den Kram paßt, wieder einmal über-Prinzipien-treue die Oberhand gewonnen haben.

Die Sozialisten hätten umgekehrt nie klein beigegeben. Man erinnere sich an das „Krampusabkommen“, das der Regierung Klaus so geschadet hat: Ihre Zustimmung zur Verlängerung der agrarischen Marktordnungsgesetze — für die auch eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist — hatten die Sozialisten vom Verzicht der ÖVP-Regierung auf Entpolitisie-rung der Verstaatlichten Industrie abhängig gemacht. Die SPÖ hätte kaltblütig die Agrargesetze — ohne Rücksicht auf die dadurch möglicherweise eintretende Katastrophe für die Bauernschaft und die Versorgung der ganzen Bevölkerung — zu Fall gebracht, wären ihnen nicht Konzessionen in einer ganz anderen Materie gemacht worden.

Niemand verlangt von der ÖVP, den gleichen von ihr mit Recht getadelten Kuhhandel zu betreiben. Worauf sie aber hätte bestehen müssen und wovon sie ihre Zustimmung zur Assanierung hätte abhängig machen müssen, wäre eine auch für die nichtsozdalistische Seite akzeptable Regelung des gesamten Bau- und Bodenkomplexes gewesen. Wären die Sozialisten nicht dazu bereit gewesen, so hätte man ruhig den Mut zu einem Nein finden sollen.

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