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Die Absprungbasis

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Wahltermin bleibe der erste Sonntag im Oktober, versicherte ein jovialer Kanzler in seiner TV-Diskussion mit Schleinzer. Der routinierte Taktiker vergaß aber nicht, hinzuzufügen: „Sofern nichts Unvorhergesehenes eintritt.“ Damit ist der gelernte Österreicher so klug als wie zuvor…

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Wahltermin bleibe der erste Sonntag im Oktober, versicherte ein jovialer Kanzler in seiner TV-Diskussion mit Schleinzer. Der routinierte Taktiker vergaß aber nicht, hinzuzufügen: „Sofern nichts Unvorhergesehenes eintritt.“ Damit ist der gelernte Österreicher so klug als wie zuvor…

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Vieles spricht nämlich dafür, daß in der Regierung und in der sozialistischen Parlamenitsfraktion schon mit Bienenfleiß an dem Unvorhergesehenen gebastelt wird, das demnächst den Kanzler überraschen und seine Sinnesänderung motivieren soll. Diese „Absprungbasis“, — die Kreisky exkulpieren und gleichzeitig die Sozialisten erneut in die Wählergunst katapultieren soll, könnten die Wirtschaftsgesetze — speziell das Preisgesetz — sein, die bekanntlich im Parlament nur mit Zweidrittelmehrheit — also mit den Stimmen der ÖVP — beschlossen werden können.

Seht her — dies soll offenbar den Wählern zugerufen werden — wir Sozialisten wollen ein modernes Preisgesetz, mit dem die Inflation eingedämmt werden könnte, wir wollen außerdem die reformbedürftigen Marktordnungsgesetze im Interesse des Konsumenten reformieren, aber die böse ÖVP läßt uns nicht, sie hat sich wieder einmal als Unternehmerpartei dekouvriert!.

Auf solche Intentionen deuten auch verschiedene Begleitumstände — etwa die extrem kurze Begutach- tungsfrist für die Interessenvertretungen und die Tatsache, daß alles das, was schon früher abgelehnt worden ist, nunmehr in verschärfter Form wieder in die Entwürfe aufgenommen wurde, daß des weiteren viele Passagen so vage und so widersprüchlich sind und daher im Falle der Gesetzwerdung kaum zu administrieren wären. Diese Gesetzesvorlagen sind garnkh’t offenbar dazu bestimmt, in Kraft zu treten, sondern sollen nur dazu dienen, die Ablehnung der Gegenseite zu provozieren.

Auch die Terminisierung der Gesetze ist so, daß es für die ÖVP politischer Selbstmord wäre, ihr zuzustimmen: Während die Landwirtschaftsgesetze wieder nur für ein Jahr gelten sollen, ist für das Preisgesetz eine Laufzeit von drei Jahren vorgesehen. Dies aber heißt, daß eine künftig eventuell wieder mit in der Regierungs sitzende und für die Landwirtschaft verantwortliche ÖVP weiterhin alljährlich die Gesetzesverlängerung auf dem Agrarsektor durch große politische Konzessionen an die Sozialisten erkaufen muß und nicht einmal die Möglichkeit hat, die sozialistische Zustimmung zu den Agrargesetzen mit der ihren zu den Preisgesetzen zu kompensieren.

Unverändert wird die Opposition zweifellos keinen der kontroversen Gesetzentwürfe akzeptieren können, so daß längere Verhandlungen notwendig sein werden. Dies unter Zeitdruck noch vor Weihnachten durchzuführen, wird kaum möglich sein. Obwohl sich die ÖVP seit langem schon immer wieder erbötig gemacht hat, über eine Reform der Agrargesetze zu verhandeln, hat die Regierung bis zum letzten Moment mit der Vorlage gewartet. Gleichzeitig wird auch die sofortige Entscheidung über das Preisgesetz gefordert. Es hat den Anschein, daß die Ablehnung der Gesetze ganz bewußt einkalkuliert und vorprogrammiert wurde.

Natürlich ist nicht alles am neuen Preisgesetz abzulehnen. Es hat durchaus begrüßenswerte Passagen, auch wenn sie der Bundeswirtschaftskammer nicht in den Kram passen. Dies gilt beispielsweise für die Bestimmung, daß auf Packungen mit nicht abgerundetem Füllgewicht nicht nur dieses und der Preis der Packung, sondern separat auch der Kilogramm- und Literpreis des Produktes ausgezeichnet werden muß. Dies würde für den Konsumenten Predsvergleiche sehr erleichtern.

Solche Passagen können aber andererseits kein Grund dafür sein, ein solches Gesetz summarisch — samt allen kontroversen Regelungen — anzunehmen. Ebensowenig dürfen Wir "uns der Illusion hingeben, daß mit solchen Hebenswerten Bagatellen am Ende der Expreßzug der Inflation zu stoppen oder auch nur zu bremsen wäre. Käme dagegen die erweiterte Preisauszeichnungspflicht separat im Parlament zur Abstimmung, täte die Opposition gut daran, sich über Bundeskammer-Bedenken hinwegzusetzen und dem zuzustimmen.

Inakzeptabel im neuen Gesetz sind aber alle vagen und alle Kautschukbestimmungen sowie die dafür vorgesehenen Strafsanktionen. Wenn sich ein Kaufmann strafbar macht, so muß die Strafbarkeit der Handlung von vornherein feststehen. Mit Begriffen wie „angemessen“ und „ortsüblich“ zu operieren, die erst in jedem einzelnen Fall durch nachträgliche Sachverständigengutachten mit konkretem Inhalt aufgefüllt werden müssen, bringt eine Rechtsunsicherheit mit sich, die zusammen mit einer starken Kriminalisierung des Wirtschaftsrechtes zu einer wahren Hexenjagd auf Selbständige führen muß.

Diese und viele andere gravierende Fragen können unmöglich unter Zeitdruck im Parlament durchgepeitscht werden. Ob derartiges als Absprungbasis tatsächlich der abspringenden Regierung oder der Opposition zu Buch schlägt, ist eine Frage, die erst die Wähler entscheiden werden — deren Entscheidung wieder weitgehend davon abhängt, ob es der Opposition gelingt, die Attacken der Regierung rechtzeitig und geschickt genug zu parieren.

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