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„De Stichting van de Arbeid“

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Das holländische Parlament hat am 12. Oktober, eine Minute vor Mitternacht, mit 55 gegen 35 Stimmen den Gesetzentwurf angenommen, der die berufsständische Ordnung für die Niederlande formt. Unerwartet schnell ist die Entscheidung gefallen, unerwartet klein war auch die Mehrheit, die dem Gesetz zustimmte. Für den Regierungsentwurf stimmten nur die beiden Regierungsparteien, die Katholiken und die Sozialisten, während alle anderen Gruppen eine ablehnende Haltung einnahmen. Aus dem Abstimmungsergebnis könnte gefolgert werden, daß ein großer Teil des Volkes den Absichten des Gesetzes widerspreche, doch die einzige Partei, welche gegen das Gesetz grundsätzlich war und ist, ist die kommunistische. Für sie ist die berufsständische Ordnung „die Ordnung der Ausbeutung und Erdrösselung“. Und vielleicht besorgt sie in der Tat, daß der Kommunismus erdrosselt werden könnte, wenn dieses Gesetz volle Lebenskraft erhält. Die Bedenken, welche die übrigen Gruppen der Opposition bestimmten, kehrten sich nicht gegen die berufsständische Ordnung; im Gegenteil. Nicht nur die evangelischen Parteien — die „Christlich-historischen“ und „Antirevolutionären" — sondern sogar auch die Liberalen sprachen ihr Bedauern aus, daß sie in der vorliegenden Form für das Gesetz nicht stimmen könnten, da es mit dem Wortlaut der Verfassung nicht harmoniere.

Das jetzt verabschiedete Gesetz verfügt nicht, sondern es e/öffnet Möglichkeiten. Es sagt nur: „Berufsstände können eingeführt werden.“ Die Verwirklichung hängt somit davon ab, inwieweit die berufsständische Idee schon Gemeingut geworden ist und zur Erfüllung drängt. Wenn Unternehmer und Arbeiter eines bestimmten wirtschaftlichen Sektors zu einer Übereinstimmung in bezug auf die Annahme der berufsständischen Ordnung gelangen können, so bedarf der Berufsstand nur eines Verwaltungserlasses des betreffenden Ministeriums, um ins Leben zu treten. Nur wenn Arbeiter und Unternehmer nicht zu einer Übereinstimmung gelangen, kann der Berufsstand nur durch ein neues Gesetz eingeführt werden.

Nach dem Gesetz soll die neue Ordnung in vollkommen demokratischer Weise aufgebaut werden und im Wesen auf der Vereinbarung der freien Gewerkschaften und der freien Unternehmerverbände beruhen. Die soziale Gesellschaft soll sich selbst ordnen, nicht unter Führung, sondern nur unter Aufsicht des Staates. Man glaubt um so eher der staatlichen Einflußnahme entbehren zu können, als die Neuordnung im berufsständischen Sinne heute schon dermaßen im Volke lebt, daß sie als Abschluß einer Entwicklung gesehen werden kann, die schon vor dem zweiten Weltkrieg eingesetzt hat. Es sind andere Auffassungen als jene, die bei dem österreichischen Versuch in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen maßgebend waren, und sie unterscheiden sich auch von dem portugiesischen Plan der Regierung Salazar.

Dem Plan der Neuordnung der Gesellschaft liegen allerdings auch hier folgende Gedanken zugrunde. Es ist notwendig, um eine organische Gesellschaft herzustellen, die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Erwerbszweigen, zwischen selbständigen und und unselbständigen, Arbeitern und Unternehmern in konstruktive, haltbare Formen zu bringen. Das Ziel ist, die größtmögliche Wohlfahrt für jeden einzelnen zu erreichen. Und sie kann nicht erreicht werden, wenn ein jeder nur für sich selber sorgt. Die Aufstellung und Ausführung dieser Ordnung ist nicht in erster Linie Aufgabe des Staates, - sondern der Betriebsgemeinschaft, denn diese kleineren Gemeinschaften tragen die Verantwortung für die Harmonie der Interessen auf ihrem Gebiete. Der zweite grundlegende Gedanke, die Verantwortung in einem bestimmten Sektor der Wirtschaft, ist nicht nur ein Anliegen der Unternehmer, sondern ebenso auch der Arbeiter. Diese sind keine Produktionsmittel wie Maschinen und Rohprodukte. Ihre Arbeit ist keine Kaufware. S i e sind freie Menschen mit eigener Persönlichkeit und eigener Verantwortung. Und diese Verantwortung tragen sie nicht nur für sich selbst und ihre Familien, sondern auch für die

Btriebsgemeinschaft. Die neue Ordnung will dieser Würde des arbeitenden Menschen gerecht werden.

Die Zeit scheint jetzt für die Verwirklichung der Gedanken hierzulande reif geworden zu sein. Der Solidaritätsgedanke, das Bewußtsein der Verflochtenheit der Interessen, wo immer der schaffende, betriebstätige Mensch steht, ist tief in das Projekt eingeschlossen. Die Sozialisten erwarten nicht mehr das ganze Heil von der Allbemühung des Staates, und die Liberalen erhoffen nicht mehr alles von der unbeschränkten Freiheit. So kann man sagen: Selbstverwaltung unter Aufsicht des Staates ist Gemeingut geworden, wenn schon die verschiedenen Parteien den Akzent anders legen werden.

Rückblickend in der Geschichte, kann man in Holland folgende soziale Entwicklung feststellen: Aus der Arbeiterwelt, der Kaufmannschaft und dem Unternehmertum bildeten sich Ausschüsse und Korporationen zur Wahrnehmung der Interessen dieser Berufsgruppen. Sie wurden später von der Regierung gesetzlich anerkannt als offizielle Beratungsstellen oder sogar mit der Ausführung sozialer Gesetze betraut. Die Arbeits- und Unternehmerverträge, welche zwischen den Gewerkschaften und Verbänden abgeschlossen wurden, erhielten für den gesamten einschlägigen Erwerbszweig durch die Regierung verpflichtende Geltung. In der typographischen Industrie wurde ohne Einfluß des Staates tatsächlich schon die berufsständische Ordnung zur Tat. Auch die Grubenindustrie hat ihre Kinderkrankheiten in diesem Bereiche schon überwunden. Die Anfänge dieser Neuordnung liegen sogar, wie man sagen kann, vor dem Erscheinen der Enzyklika Quadragesimo anno. 1936 erschien dann ein Gesetz, in dem die Regierung die Möglichkeit erhielt, Organe ins Leben zu rufen, die mit Selbstverwaltung ausgestattet werden konnten. Während des Krieges haben sich führende Köpfe aus der Arbeiterund der Unternehmerschaft gefunden, am nach der Befreiung des Landes die Zustimmung der Regierung zu einer einheitlichen Vertretung der gemeinschaftlichen Interessen in wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu erhalten. In der Tat hat die Regierung diese Vertretung im sozial-wirtschaftlichen Sektor als beratendes Organ anerkannt, so daß nach der Befreiung des Landes keine Verordnung einschlägiger Art erlassen wurde, die nicht das Votum dieser gemeinsamen Vertretung, der „Stichting van de Arbeid“, erhalten hätte. Diese Vorgeschichte des jetzigen Gesetzes zeigt, wie es möglich war, in dieser verworrenen Zeit mit einem solch klaren Plan und einem solch kühnen Vorstoß eine Ordnung des Wirtschaftslebens nun beginnen zu wollen. Sosehr war der Gedanke schon im Volke eingedrungen, daß in den vorbereitenden Debatten, die zu dem Gesetzentwurf führten, fast jede Partei den Ruhm in Anspruch nahm, die Vaterschaft der erstrebten berufsständischen Ordnung für sich in Anspruch nehmen zu können.

Man braucht nicht zu befürchten, daß infolge des Gesetzes nun von heute auf morgen einschneidende Änderungen stattfinden werden, so sehr etwa, daß man bald die Niederlande wegen ihrer sozial-wirtschaftlichen Struktur nicht wieder erkennen werde. Man erstrebt hier eine allmähliche Entwicklung, keinen Bruch mit der Vergangenheit, sondern eine allmähliche Eroberung der Wirtschaft für die berufsständische Ordnung. Der soziale Friede, der nach dem Kriege scharfe konfessionelle und prinzipielle Gegensätze bestehen mußte, wird dadurch nicht gestört werden. Vielleicht darf man hoffen, daß das Gelingen des holländischen Beispiels Schule machen wird. Es kommt darauf an, zu beweisen, daß die Widerstände aus der Wirtschaft, die angeblichen Gegensätze der Klassen, nicht so stark sind, daß sie nicht auf den verschiedenen Feldern des wirtschaftlichen Lebens durch eine autonome Entfaltung der Zusammenarbeit, also ohne Verpflichtung eines staatlichen Regulativs, überwunden werden könnten. Es wird alsodieneue Ordnungabhängen von den Arbeitern und den Unternehmern. Nach der Auffassung, die sich in Holland durchgesetzt hat, ist berufsständische Arbeit nicht Angelegenheit guter Gesetze, sondern entscheidend sind die Menschen, welche die Gesetze ausführen. Und wir sind in Holland so weit, daß wir auf das Verständnis der Arbeiter wie der Unternehmer für die berufsständische Ordnung und ihre freien Entschließungen in Zukunft rechnen zu können glauben.

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