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Verfassungsbruch unnötig

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In einer Denkschrift stellte Prof. Dr. Karl Lugmayer, der Verfasser des „Linzer Programms" (1923) der christlichen Arbeitervereine Österreichs, fest, daß der Ständestaat des Jahres 1934 weder der berufsständischen Ordnung des „Linzer Programms" noch den Grundsätzen der Papstenzyklika „Quadragesimo anno" entsprochen habe.

Das „Linzer Programm" stand auf dem Boden der Demokratie, forderte die volle Gleichberechtigung der Arbeiterschaft und bekannte sich klar zu dem damaligen Österreich als Vaterland. Die Sozialdemokratie hatte bis Oktober 1933 den Anschluß Österreichs an Deutschland im Programm.

Im „Linzer Programm" der christlichen Arbeiter waren folgende Grundsätze aufgestellt worden: „Die Gesellschaft ruht auf drei Grundpfeilern: Familie, Beruf und Siedlung (Nachbarschaft). Die Gleichheit des Berufes verbindet die Menschen zu Standesgruppen. Die Berufsstände bilden eine Gemeinschaft. Wir erstreben die Versöhnung der Betriebsherrschaft mit der Arbeitergemeinde. Die berufsständische Organisation baut sich auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf (Gewerkschaften). Ihre Selbstverwaltung bezieht sich auf die Rechtspflege (Schiedsgericht, Einigungsamt), soziale Hilfe (Allgemeine Sozialversicherung einschließlich Kinderversicherung), Wohnungsfürsorge, Betriebsschutz (Werkgemeinde, Betriebsräte)..."

Diese Selbstverwaltung' ruhte auf dem Grundsatz: Was die kleinere Gemeinschaft aus sich regeln kann, in das soll sich die größere— der Staat — nicht ohne Grund mengen. „Die berufsständische Ordnung läßt sich nicht durch ein Gesetz schaffen; eine Regelung von oben her ist nicht möglich", stellte Lugmayer in seinen Erörterungen fest. Wörtlich: „Da wir getrennte Gruppen heute schon

überall haben (Unternehmerverbände, Gewerkschaft, Kammern usw.), kann es nicht schwerfallen, diese Zweige zur Berufsgenossenschaft zusammenzulegen und ihnen diese Aufgaben zu geben."

Heute finden wir diesen Vorschlag schon selbstverständlich. Die Paritätische Kommission ist eine freiwillige Vereinbarung.

Im Führungsorgan der Sozialdemokratischen Partei, „Der Kampf", veröffentlichte Otto Bauer im Jänner 1934 unter dem Titel „Klassenkampf und Stände-

Verfassung" einen grundsätzlichen Beitrag. Er trennte die berufsständische Ideologie in zwei verschiedene Lehren; die von Othmar Spann und den Syndikalismus des italienischen Faschismus lehnte er ab. Dann aber versuchte er, eine Brücke zu „Quadragesimo anno" zu bauen. Wörtlich:

„Aber indem die Enzyklika aus ihrer Gegnerschaft gegen die .totalitäre' Staatsallmacht die Herrschaft des Staates über die Berufsverbände ablehnt und ihre freie Selbstverwaltung fordert, nähert sie sich den Forderungen der .industriellen Demokratie', der Wirtschaftsdemokratie."

Da die Enzyklika die Erörterung von Fragen „technischer Art" ablehne, könnten sich die verschiedenen Klasseninteressen auf sie berufen: „Die Wiederherstellung der Demokratie ist möglich, sobald Kleinbürger und Bauern mit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus Stellung nehmen."

Der geistige Wortführer der christlichen Arbeiter, Karl Lugmayer, nahm am 18. Jänner 1934 in einem Vortrag vor den Verwaltungskommissionen der Arbeiterkammern zur „berufsständischen Ordnung" Stellung.

Bei der berufsständischen Ordnung handle es sich darum, daß „aus dem Bereich der Staatsverwaltung jene Gebiete der Selbstverwaltung von Gewerbe und Industrie übergeben werden, die naturgemäß diesem Bereich zugehören". Aber:

„Es handelt sich nicht darum, mit der berufsständischen Ordnung die Demokratie abzuschaffen, das heißt, das allgemeine, gleiche, geheime, persönliche Wahlrecht... Es wäre ein Rückschritt, ein bedauerlicher Rückschritt in der Geschichte der Menschheit, wenn dieses System, das in der Entwicklung der Menschheit in den letzten 150 Jahren eine bedeutende Rolle gespielt hat, nicht immer eine schlechte Rolle, wenn dieses System nun auf Jahrzehnte hinaus zum alten Eisen geworfen würde..."

Man hat weder auf Otto Bauer noch auf Karl Lugmayer gehört.

Aber noch in der September-Nummer 1934 der Zeitung „Der Gewerkschafter" schrieb Karl Lugmayer: „Nicht mit der Vertretung der Arbeitnehmer im Bundeswirtschaftsrat und im Bundestag ist die berufsständische Ordnung gegeben, auch nicht mit der bloßen Übertragung der Vollziehung auf Selbstverwaltungskörper. Berufsständische Ordnung heißt Eigenrecht der Berufsgemeinschaft, von der Werkgemeinschaft (Betrieb) bis zum Berufsverband, und der Hauptinhalt dieses Eigenrechtes bezieht sich auf die selbsttätige Regelung des Marktes und die selbsttätige Regelung des kollektiven Arbeitsverhältnisses."

Es mußte mehr als ein Jahrzehnt vergehen, bis diese Auffassung in Österreich Wirklichkeit wurde. Karl Lugmayer hat dazu wichtige Bausteine geliefert.

Der Autor, ein Neffe Karl Lugmayers, ist Hauptschuldirektor in Großraming und Konsulent für Volksbildung.

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