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Digital In Arbeit

Der Aufbau beruf ständischer Ordnung in Holland

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Die Debatte um die „Bochumer Thesen“, um die Formulierungen, betreffend die erhöhte Stellung des Arbeiters im Betrieb, haben in Holland wenig Anklang gefunden. Sie wurden in der Presse kaum erwähnt, vielleicht, weil Holland gerade daran ist, jene Ordnung zu verwirklichen, welche in Bochum erörtert wurde. Aber während in Bochum hingesteuert wurde auf etwas Neues, sucht man in Holland den organischen Anschluß an die unmittelbar vorangehende Vergangenheit. Die Mitbestimmung der Arbeit sieht man in Holland als die Bekrönung der eigenen Entwicklung, welche schon im Jahre 1914 anfängt. Schon damals haben in der Typographie die freien Gewerkschaften der Arbeiter und die freien Verbände der Unternehmer — ohne Einfluß des Staates — ihr eigenes Gebiet geordnet, so daß der Klassenkampf eingestellt wurde; Streik wurde verboten, die Arbeiter unterstützten die Wirtschaftspolitik der Unternehmer, und die Unternehmer anerkannten das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter — auch in Fragen der Rentabilität. Diese privatrechtliche Ordnung hat sich in der Druckindustrie bis jetzt glänzend bewährt.

In Bochum wurde gefragt, inwieweit die Arbeiter ein Anrecht haben auf die Mitbestimmung, während in Holland gefragt wird, ob Mitbestimmung ein vielleicht notwendiges Mittel ist, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Wenn diese Frage bejaht wird, dann liegt darin zugleich die Begründung des Rechtes für die Arbeiter und die Verpflichtung für die Unternehmer.

Die Bestrebungen im Ausland zielen fast überall auf das Ganze, auf das ganze Ideal, während in Holland kein größerer Schritt gemacht wurde, als die jeweilige Situation zuließ. Das ganze Ideal läßt sich nicht auf einmal realisieren. Auch die Vertreter der Arbeit müssen lernen, ihre neuen Befugnisse zu gebrauchen. Die Betriebsführer sollen Zeit bekommen, in die neue Lage hineinzuwachen. Aber die Entwicklung schreitet in Holland unaufhaltsam weiter zur eigenen Vollendung, ohne daß die Grenzen der Vorsicht überschritten werden.

In dieser Hinsicht ist die unmittelbare Nachkriegszeit lehrreich. Denn während der Besatzungsjahre hat sich aus den höchsten Regionen der Arbeiterführerund aus den Unternehmerverbänden ein Ausschuß gebildet, der sich nach dem1 Kriege der Regierung als die Vertretung des gesamten sozial-ökonomischen Lebens präsentierte. Dieser Ausschuß trat an die Regierung mit dem Antrag heran, sie möge die zerstörte Wirtschaft und die zerrissenen Verhältnisse nicht selber durch mangelhafte Verordnungen und ungeeignete Organe zu ordnen versuchen, vielmehr die Ordnung diesem Ausschuß überlassen. In der damaligen Situation war die Erfüllung dieses Verlangens nicht möglich, aber der Ausschuß wurde von der Regierung als das erste und höchste beratende Organ anerkannt. Dadurch waren zwei Erfolge erzielt: die Arbeitervereine der christlichen und sozialistischen Parteien schlössen allgemein untereinander Frieden, und die Kampfstellung zwischen Arbeiterführer und Unternehmer wurde aufgegeben. Das Bewußtsein der Zusammenhörigkeit, das während des Krieges erwacht war, hat zu dieser Versöhnung wertvoll beigetragen.

Fünf Jahre lang hat dieser Ausschuß in vollem Vertrauen und — in mancher Hinsicht — mit großen Erfolgen seine Aufgaben erfüllt. Der soziale Friede wurde nicht gestört, die kommunistische Drohung wurde tiberwunden, soziale Verordnungen brachten ein gewisses Gleichgewicht, die Steuerpolitik schuf einen Ausgleich der Lasten, das Geld erhielt wieder bessere Kaufkraft, die Spannung zwischen Löhnen und Preisen wurden verringert. Und während der materielle Wiederaufbau ständig weiterschritt, gewöhnten Arbeiter und Unternehmer sich daran, die trennenden Fragen von einem mehr allgemeinen Standpunkt zu betrachten, so daß die Wirtschaftsführung und die soziale Vorsehung aus der Sphäre des Privatinteresses in die Sphäre der allgemeinen Wohlfahrt gehoben wurde.

So war der Anfang gemacht mit der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit, die in der berufständischen Ordnung ihren Ausdruck finden soll. Denn — nachdem 1949 das Gesetz für die neue Ordnung erlassen wurde, konnte das beratende Organ allmählich in den „Sozial-ökonomischenRat“ mit 1 e g i s 1 a t i v e n B e f u gn i s s e n umgebaut werden. Dadurch wird das ganze Wirtschaftsleben unmittelbar durch die freien Gewerkschaften und die freien Un t e r n e h m e r v e r b ä n d e geordnet, welche in gleicher Stärke ihre Vertreter in diesen Rat entsenden, während der Staat nur eine Aufsicht durch seine Beauftragten ausübt. Die Selbstverwaltung der Wirtschaft wurde zu einer Wesentlichen Erleichterung der Staatsaufgaben, sie bringt zugleich eine bedeutende Entgiftung der politischen Sphäre.

Die Volkswirtschaft ist jedoch ein Gefüge von Erzeugungszweigen, die ihre Selbstverwaltung erhalten sollen. Die Druckindustrie hat gezeigt, daß der Staatseinfluß ausgeschaltet werden und eine Ordnung erreicht werden konnte, in der Arbeiter und Unternehmer sich erfolgreich gegen die schlimmsten Ups und Downs der Konjunkturwellen wehren konnten. Gleich nach dem Kriege konnte auch dr% Grubenindustrie mit einem eigenen Industrierat anfangen, der weitgehende Befugnisse erhielt, um die internen Interessen der Angehörigen dieses Industriezweiges zu ordnen. Auch dieser Rat wurde auf den freien Gewerkschaften und den freien Unternehmerverbänden aufgebaut, während in den Satzungen ausdrücklich hervorgehoben wurde, daß Arbeit“ und „Kapital“ gleichwertig nebeneinander stehen sollen. Das Beispiel wirkte auf andere Großindustrien ein, zumal im Süden des Landes, denn überall spürt man jetzt das Verlangen, sobald wie nur möglich zu einer berufständischen Organisation durch einen eigenen Industrierat zu kommen.

Die Verwirklichung der neuen Ordnung steht erst im Anfangsstadium; die legislativen Befugnisse der Selbstverwaltung sind noch begrenzt; die verantwortlichen Mitglieder der Räte sollen nicht vor Aufgaben gestellt werden, die sie vorläufig nicht bewältigen können. Hauptsache ist nicht, daß gleich vom Anfang das Unmögliche möglich wird, die sofortige Vollkommenheit der demokratischen Selbstverwaltung Hauptsache“ ist, sondern daß mit der Selbstverwaltung erfolgverheißend angefangen würde.

' Diese Neuordnung hat Bedeutung für gariz Westeuropa, das nicht nur politisch, sondern vor allem sozial und wirtschaftlich eine Einheit bilden soll. Die Aussicht hiefür scheint nicht so hoffnungslos, wie es rein äußerlich und oberflächlich sich1 darstellt. Wo die Atmosphäre nicht ver-' giftet ist durch politische Entzweiung, spürt man eine wahre Sehnsucht nach Ordnung und Fortschritt durch den sozialen Frieden. Die Arbeiter in ganz Europa sind einiger als wir denken, denn der Kumpel im französischen Kohlenrevier weiß ganz genau, daß sein Kamerad an der Ruhr am wenigsten schuld ist an den tragischen Geschehnissen. Dazu kommt noch, daß Arbeiter und Unternehmer einander nicht mehr so feindlich gegenüberstehen wie vor dreißig Jahren. Deswegen möchte man glauben, daß die Verständigung Europas vielleicht am ehesten im sozial-ökonomischen Sektor gelingen würde.

Holland hat nach dem zweiten Weltkrieg nicht viel zu geben. Aber der soziale Friede im Lande ist vorbildlich, der Wiederaufbau gelingt wie in kaum einem anderenLand. Die Parole ist: Selbstverwaltung der europäischen Wirtschaft unter Mitbestimmung von Arbeiterund Unternehmerverband; das ist christliche Demokratie auf sozial-ökonomischem Gebiet. Warum folgt Europa nicht nach?

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