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Einseitige Demokrati sierung?

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Wenn auch die Forderung nach „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ dem Anliegen der Demokratisierung eher abträglich ist, weil es Zonen des menschlichen Lebens, etwa die Familie, gibt, für die eine solche Forderung einfach absurd ist, so kann anderseits nicht geleugnet werden, daß es noch einige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gibt, für die mehr Demokratie mit Recht gefordert werden kann und muß.

Auch die Demokratie selbst bedarf ständig der Verlebendigung. Wenn die Kluft zwischen der Basis und den Mandataren, auf welcher Ebene immer sie tätig sein mögen, zu groß wird, entsteht unten das Gefühl der Ohnmacht, das zur Resignation und Interesselosigkeit führt. Das demokratische Recht der Mitbestimmung degeneriert dann zum Recht, sich vertreten zu lassen.

Die Forderung nach „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ ist von Bundeskanzler Kreisky nach seinem Regierungsantritt erhoben worden. Ohne Zweifel hat sie, in Verbindung mit einigen optisch . wirksamen und zugegebenermaßen auch einigen notwendigen Reformen das Image der SPÖ aufpoliert. .

Dem aufmerksamen Betrachter der politischen Szenerie kann allerdings nicht entgehen, daß von den Sozialisten die Forderung nach mehr Demokratie stets an Organisationen und Institutionen gerichtet ist, in denen sie nicht die Mehrheit haben. Daher liegt der Verdacht nahe, daß sie dort mit dieser Forderung ihren Einfluß über das Maß, das ihnen auf Grund ihrer Stärke zukommt, ausdehnen wollen. Wenn aber eben diese Forderung an sozialistisch dominierte Organisationen und Institutionen gerichtet wird, so wird sie empört zurückgewiesen: Es bestehe durchaus kein Anlaß, alles sei musterhaft demokratisch.

über die Demokratie in den Arbeiterkammern und im ÖGB ist schon oft diskutiert worden. Die Arbeiterkammern als öffentlich rechtliche Körperschaften haben heute einen sehr weitreichenden Einfluß. Ebenso der ÖGB, der rein rechtlich, als Verein konstituiert ist und sich somit seine Satzungen selbst gibt und in seinen Aktivitäten - zumindest theoretisch - lediglich von der Zustimmung seiner Mitglieder abhängig ist.

Das Arbeiterkammergesetz enthält, trotz verschiedener Novellen, auch heute noch einige Bestimmungen, die alles eher denn minderheitenfreundlich sind. So ist zwar die Zusammensetzung der Vollversammlung und des Vorstandes der Länderkammern entsprechend der fraktionellen Stärke geregelt, für die aus ihren Mitgliedern zu bestellenden Ausschüsse aber fehlt eine solche Regelung. Im Vorstand der Dachorganisation der Länderkammern, dem österreichischen Arbeiterkammertag, waren bis zum Jahre 1969 nur Sozialisten vertreten, obwohl etwa ein Drittel aller abgegebenen Stimmen auf andere Fraktionen entfiel. Theoretisch wäre es auf Grund der derzeitigen Konstruktion denkbar, daß eine Fraktion, die in allen Länderkammern nur eine relative Mehrheit erreichte, aber überall ihren Kandidaten als Präsidenten durchbrächte, im Kammertag unter sich wäre, obwohl sie nicht einmal die Hälfte der Stimmen erreicht hätte.

Die Tatsache, daß der Präsident der Wiener Kammer automatisch, also ohne Wahl, Präsident des österreichischen Arbeiterkammertages und damit der ranghöchste Funktionär der österreichischen Arbeiterkammern ist, wird damit begründet, daß dies die zweckmäßigste und billigste Lösung sei. Die demokratischste Lösung ist es sicher nicht.

Beim ÖGB als freiwilliger Vereinigung kann es nicht um gesetzliche Änderungen gehen. Allein der Reformwille der führenden Funktionäre kann die Erneuerung bewirken. Daß sie nicht von der Basis zu erwarten ist, ist ein Beweis dafür, daß das vielfach artikulierte Unbehagen über zuwenig Mitgestaltungsmöglichkeiten eher zur Resignation denn zu verstärkter Aktion führt.

Auch der sicherlich berechtigte Stolz über die hohe Organisationsdichte - sie ist mit rund zwei Drittel aller Organisationsfähigen höher als in jedem anderen westlichen Land - kann nicht als Argument gegen die vorherrschende Interesselosigkeit ins Treffen geführt werden. Vielmehr ist es ein besonderes Problem, daß zwar die Bereitschaft zur Mitgliedschaft, aus welchen Gründen immer, relativ groß, jene zur Mitarbeit und zur aktiven Teilnahme aber sehr gering ist.

Als bestimmender Faktor in einer freien Demokratie aber kann sich eine Gewerkschaft nicht allein damit begnügen, viele Mitglieder zu haben, sondern muß im Dienste und im Interesse einer lebendigen Demokratie diese Mitglieder zu aktivieren oder doch zu interessieren versuchen.

Nicht daß die Arbeiterkammern und die Gewerkschaften die einzigen Bereiche wären, denen mehr lebendige Teilnahme, also mehr praktizierte Demokratie, not täte und an die die Forderung nach Demokratisierung zu adressieren wäre. Je größer und einflußreicher aber eine Organisation ist, um so mehf muß sie sich eine kritische Auseinandersetzung sowohl über die theoretisch mögliche als auch die tatsächlich praktizierte verbandsinterne Demokratie gefallen lassen.

Und gerade die politischen Gruppierungen, die sich mit der Forderung nach „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ das Image von Superdemokraten geben wollen, haben kein Recht zur Entrüstung und Empörung, wenn an die von ihnen dominierten Organisationen dieselben Ansprüche gestellt werden.

Der Satz im sozialistischen Parteiprogramm „Sozialismus ist vollendete Demokratie“ kann doch wohl nicht so interpretiert werden, daß überall, wo Sozialisten dominieren, die Demokratie vollendet und daher nichts mehr zu demokratisieren sei.

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