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Marktwirtschaftliche Mitbestimmung

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Diese Grundsätze gehen von einem klaren Leitbild aus. Es ist das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft, das man auch als das Leitbild einer dualistischen Gesellschaft bezeichnen könnte, in der die Funktionen der einzelnen Gesellschaftsschichten streng voneinander geschieden sind, wobei eben diese Scheidung die Grundvoraussetzung ihres Wettbewerbs untereinander bildet. Dieser Wettbewerb aber ist die Basis jeder dynamischen, das heißt jeder wachsenden Wirtschaft. Gewiß ist darin die Ablehnung einer uferlosen „Demokratisierung“ der Wirtschaft und damit auch eine Begrenzung der Mitbestimmungsforderungen der Arbeitnehmer eingeschlossen. Diese Grenzen liegen genau dort, wo durch eine Überspannung der Mitbestimmungsforderungen die eigenständigen gesellschaftlichen Funktionen von Kapital und Arbeit aufgehoben würden. Aber eben diese Grenzen machen den Erfolg der Mitbestimmung aus, weil die Arbeitnehmer dann als eine klar umrissene Rechtspartei auftreten können, die nicht ein Mehr an Verantwortung auf sich nehmen muß, als ihren wirklichen Interessen zuträglich ist. Und die Crux der Mitbestimmungsvorstellungen sozialistischer Parteien für die Arbeitnehmer liegt gerade darin, daß durch eine uferlose „Demokratisierung“ der Wirtschaft die gegenseitigen Verantwortungsbereiche verwischt, aber auch jeder Antrieb erörtert wird, auf dem der Fortschritt der Wirtschaft beruht. Das klassische Beispiel hierfür bietet Jugoslawien. Es ist bekannt, daß zwischen dem Tito-Kommunismus und den sozialistischen Parteien eine gewisse Affinität besteht — die etwa beim letzten Kongreß der jugoslawischen KP sehr deutlich in Erscheinung getreten ist —, weil der demokratische Sozialismus glaubt, daß die in Jugoslawien eingeführte betriebliehe Selbstverwaltung der Arbeitnehmer das erstrebenswerte Ziel einer sozialistischen Bewegung sei. Was aber lehrt das jugoslawische Beispiel? Abgesehen davon, daß Jugoslawien durch seine Arbeiterselbstverwaltung mit dem Wohlstand der „kapitalistischen“ Staaten keineswegs gleichgezogen hat, sind auch die • innerbetrieblichen Probleme mit diesem Modell nicht gelöst worden. Direktion und „Betriebsrat“ sind in einer dauernden Auseinandersetzung begriffen, weil die Direktion einerseits die Voraussetzungen eines Betriebserfolges sicherstellen soll, der „Betriebsrat“ anderseits aber mit vielen ihrer Maßnahmen nicht einverstanden sein kann. Die zwischen beiden Faktoren bestehende unklare Situation ermöglicht eine Entscheidung weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Dazu kommt, daß an die Stelle der natürlichen Hierarchie, die in den „kapitalistischen“ Staaten zwischen der Betriebsleitung und der Belegschaft in allen ihren Abstufungen besteht, eine künstliche Hierarchie gesetzt werden mußte, weil ein Betrieb nun einmal auf ein Mindestmaß an hierarchischen Strukturen angewiesen ist. Als künstliches Gebilde kann diese Hierarchie aber nicht das leisten, was der natürliche Funktionsunterschied zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zuwege bringt.

So gesehen, ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer eine Forderung, mit der die freien Gesellschaften des Westens an einem Kreuzungspunkt ihres Schicksals stehen. Sie kann nur dann einen Fortschritt bringen, wenn sie das Leitbild der dualistischen Gesellschaft nicht mißachtet, würde jedoch zu einer ungeheuren Gefahr, sollen mit ihr die Weichen mit dem Ziele einer kollektivistischen Gesellschaftsordnung gestellt werden.

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