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Die Rückkehr zur Vielfalt

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Der östliche Teil Österreichs erschien, gesehen aus dem Blickwinkel der westlichen Bundesländer, trachtenlos oder trachtenarm. Hier gab es außer etwa im Gebiet von Schneeberg und Rax, in Krems und in der Wachau keine bestehende Tradition. Doch hatten Schriftsteller, Maler und Volkskundler im Verlauf der letzten hundert Jahre die üblichen Trachten gesehen und auch festgehalten.

So wurden einzelne Landschafts- und Talschaftstrachten, die ebenso schmuck und farbenprächtig waren wie in Westösterreich, meist von Wiener Künstlern beschrieben und dargestellt. Da s Vorbild einiger weniger wirkte überzeugend — es begann nun eine intensive Sammeltätigkeit sowohl für die großen Museen wie auch für kleine Sammlungen in den Städten und auf dem Lande. Vielfach wurde der Gedanke von der Großstadt Wien aus durch Bünde und Verbände getragen, die durch ihr Vorbild auf das Land zurückwirkten.

Schon in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts entstand der Plan einer wissenschaftlichen Erfassung mit Hilfe von Fragebogen. Es sollten dabei noch lebendige „Volkstrachten“—so wurden sie etwa ab dem 18. Jahrhundert bezeichnet — dargestellt werden.

Was bislang in Truhen, Kisten und Kästen auf den Hausböden verkümmert war, wurde nun geborgen und mit neu geweckter Freude vorgestellt. So kam es 1952 im Auftrage des Niederösterreichischen Bildungs- und Heimatwerkes zur Veröffentlichung des Bandes „Niederösterreichische Frauentracht“ von Gertrud Heß-Haberlandt. Er stand am Beginn einer ausgedehnten Kleinarbeit in Niederösterreich.

Mit etwa siebzig geschneiderten Muster-Trachten, Blusen und Schürzen fuhren wir während unserer Freizeit in die Dörfer und Märkte des Landes. Unsere „Mannequins“ waren Mädchen und Burschen aus dem Ort, in den wir gebeten worden waren. Es galt die richtigen, mutigen Vor-führer(innen) für die mitgebrachten Trachten zu finden. Oft mußten'wir schnell einen Saum nachnähen, die Einnäher tiefer machen und so weiter. Mütter, Tanten und Großmütter waren glücklich, wenn ihre Angehörigen auf einem improvisierten Laufsteg daherkamen und übersahen kleine Schönheitsfehler. Nicht selten fanden die Mädchen, die ja Zeit hatten, die Trachten genau zu besehen, an dieser Art von Bekleidung Gefallen. So wurden diese „erneuerten Volkstrachten“ — nach überlieferten Vorbildern aber aus Stoffen, die dem Modeempfinden von damals Rechnung trugen — angenommen.

In fast hundert bäuerlichen Fachschulen haben wir regelmäßig für das Tragen der bodenständigen Tracht geworben. In Hunderten von'Nähkursen wurde die Frauen und Mädchen gelehrt, ihre Tracht selbst anzufertigen. Zudem wurden über vierhundert Musikkapellen in Tracht eingekleidet.

Unser eher stilles Tun fand die Anerkennung des Landes, sodaß wir ein dreibändiges Trachtenwerk herausgeben konnten.

Der erste Band, von dem bedeutenden Volkskundeforscher Leopold Schmidt verfaßt, enthielt Frühformen, die nur sehr spärlich aus historischen Quellen bekannt waren und für unsere Arbeit aufbereitet wurden. Der Band zweiv den ich selbst schrieb, brachte eine Darstellung der bekannten und noch erinnerlichen Trachten der letzten hundert Jahre. Die Bilder aus dem dritten Band, den ich gemeinsam mit Franz Lipp herausgab, zeigen Trachten, die sich seit dem großen historischen Bruch nach dem Ersten Weltkrieg neu entwickelt haben, in einer Zeit, in der politisch und gesellschaftlich vieles verdrängt worden war.

Die Darstellungen sind in drei Gruppen untergliedert: Arbeitsund Alltagstrachten, Sonn- und Feiertagsgewandung und Kleidung für die größten Feste der Gemeinschaft und des Lebens. Die Trachten jeder dieser drei Gruppen unterliegen bestimmten Traditionen. In alter Zeit wurden sie sogar durch Kleiderordnungen der Landesherren für jeden

Stand streng geregelt und vorgeschrieben. Darüber hinaus wirken auch die ungeschriebenen Ordnungen von Sitte und Brauch, wie sie in Dorf, Markt und Kleinstadt überliefert sind. Schließlich vermag das Bekenntnis zur angestammten Tracht das Bewußtsein und das Gefühl ethnischer Eigenart und Identität zu wecken und zu erhalten.

Vornehmste Aufgabe ist die Erhaltung des Echten in der Trachtenkleidung. Das echte Material, die Verarbeitung auf guter handwerklicher Basis unter Berücksichtigung alter Schnitte sind Voraussetzungen für die Schönheit unserer Trachten. Sie sind ein Beitrag zur Erhaltung sichtbarer Vielfalt im Land Niederösterreich.

Die Autorin ist Volkskundlerin und war Geschäftsführerin des Niederösterreichischen Heimatwerks.

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