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Der historische Hintergrund von Kremsmünster

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,,Balernzeit in Oberosterreich” unter diesem Titel zeigt das Oberösterreichische Landesmuseum im Linzer Schloßmuseum an die 700 Exponate zur Geschichte des Landes zwischen Inn und Enns vom Ausgang der Antike bis zum Ende des 8. Jahrhunderts. Anlaß der Ausstellung, die bis 30. Oktober bei freiem Eintritt täglich geöffhet sein wird, ist die 1200-Jahr-Feier des Benediktinerstiftes Kremsmünster. Steht aber dort das Kloster mit seiner Geschichte, seinen Sammlungen und seinen Kunstschätzen im Mittelpunkt, so vermittelt die Baiern-Ausstellung als hervorragende Ergänzung dazu eine Vorstellung davon, in welcher Situation sich das Land zum Zeitpunkt der Gründung des Stiftes und in den drei Jahrhunderten davor befand, liefert sozusagen den „Background” Kremsmünsters, vor dem die Aufgaben und Leistungen der ersten Mönche erst in der richtigen Dimension gesehen werden können.

Die ausgestellten Objekte stellen nur eine kleine Auswahl des tatsächlich verfügbaren Materials dar. Das gilt besonders für die ältesten Stücke, die noch aus römischer Zeit stammen, darunter als wertvolle Leihgabe des Wiener Kunsthistorischen Museums Schmuck aus einem germanischen Frauengrab aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, in Steeg am Hallstätter See. Die weiteren Funde aus dieser Epoche kommen vorwiegend aus Enns beziehungsweise Lorch, aber auch aus dem Stift Kremsmünster, nämlich ein Familiengrabstein und ein Weihestein aus dem 2. Jahrhundert 488 wurden die Römer durch Odoaker aus dem ehemaligen Noricum abberufen. Eine Kollektion römischer Münzen rundet das Bild dieser Zeit ab.

Die folgenden Jahrhunderte stellen ein noch viel zu wenig erschlossenes Kapitel der oberösterreichischen Geschichte dar. Ihm ist der Hauptteil der Ausstellung gewidmet. Die Herkunft der Baiern, die sprachlich zu den Elbgermanen gehören und eng mit den Alemannen und Langobarden verwandt sind, ist nach wie vor Gegenstand von mindestens zehn verschiedenen wissenschaftlichen Theorien.’ Feststeht, daß sie bald die Herrenschicht im Lande stellten. Das Herrscherhaus der Agilofinger war mit dem langobardischen Königsgeschlecht verwandt, der letzte Vertreter, Herzog Tassilo III., der 777 Kremsmünster gründete, wurde 788 in Ingelheim am Rhein von Karl dem Großen abgesetzt und zum Tode verurteilt, schließlich aber begnadigt und ins Kloster geschickt.

Wichtigste Zeugnisse der frühen Anwesenheit der Baiern sind die entdeckten Reihengräberfelder. Von den insgesamt 35 bekannten Bestattungsplätzen sind bisher lediglich acht durch umfassende Grabungsarbeiten beigaben, vor allem Waffen, Schmuck, Gebrauchsgegenstände, kam man im 8. Jahrhundert unter dem Einfluß des Christentums mehr und mehr ab.

Grabbeigaben finden sich auch im damals slawisch besiedelten Osten des Landes, typisch sind dort die bei den Baiem nicht üblichen Speisebeigaben.

Nicht nur die Gräber, auch die Ortsnamen auf -ing, -heim oder -ham weisen deutlich daraufhin, daß die Baiem nur im heutigen Inn- und Hausruckviertel stark verbreitet waren, während im Mühl- und Traunviertel eine überwiegend slawische Bevölkerung lebte. Die Enns bildete die Grenze zum Awarenstaat, mit dem es immer wieder Kämpfe gab. Im Süden wurden im Jahre 772 die slawischen Karantanen endgültig unterworfen. Die energische bairische Ostpolitik wurde nach 788 von den Karolingern konsequent fortgesetzt.

Patrozinien und Architektur, die Tracht der Baiernzeit sowie die Sied- lungs- und Gehöftformen, letztere in übersichtlichen Modellen, haben in der Ausstellung ebenso ihren Platz wie volkskundliche Objekte aus späterer Zeit, die das Weiterleben frühbairischer Gesittungs- und Kulturformen signalisieren.

Die interessantesten gezeigten Handschriften sind Leihgaben. Besonders wertvoll erscheint der vor 788 in Mondsee verfaßte und mit seinem agilolfingischen Besitzer nach Frankreich gelangte „Psalter von Montpellier”, das Gebetbuch Tassilos oder eines seiner enigsten Verwandten. Der kostbare Cundpaldkelch, 1879 in Pe- töhaza am Neusiedlersee gefunden und heute im Liszt-Museum in Sopron beheimatet, war nur die ersten Tage der Ausstellung im Original zu sehen und ist nun durch eine Kopie ersetzt worden. Es handelt sich um einen „Bruder” des Kremsmünsterer Tassilokelches. Der Cundpaldkelch dürfte zwischen 780 und 800 in Salzburg oder Mondsee entstanden sein.

Mehrere übersichtliche Schautafeln und ein äußerst informativer, wissenschaftlich fundierter Katalog bieten dem Besucher die zweifellos notwendige Übersicht, welche die sachkundig ausgewählten und aufgestellten Gegenstände allein dem Laien noch nicht ganz vermitteln können.

Jeder dieser Gegenstände - sei es nun eine Münze, ein Ohrgehänge, eine Waffe oder etwas anderes - kann eine Geschichte erzählen, von Menschen und ihren Schicksalen, von Menschen jedenfalls, die unsere Vorfahren gewesen sein könnten.

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