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Am Anfang: Tassilo

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Vom Abzug der Hunnen bis zur Vormachtstellung des Frankenreiches unter Karl dem Großen - das sind die Jahre 488 bis 788 - zeigt eine gemeinsame Landesausstellung Salzburgs und des Freistaates Bayern„ wie die gemeinsamen Vorfahren, „Die Bajuwaren“, in diesen dreihundert Jahren lebten und starben, Handwerk trieben und Häuser bauten, Krieg führten und beteten.

Erst seit wenigen Jahren neigt man zu der wissenschaftlich begründbaren Auffassung, daß die Bajuwaren nicht aus Böhmen eingewandert seien, sondern sich ihre Stammesbildung bereits im Raum zwischen Donau und den Alpen aus verschiedenen Splittergruppen von Völkern vollzogen habe.

Als „Findelkinder der Völkerwanderung“ treten die Bayern im Gegensatz zu anderen Germanenstämmen im frühen 6. Jahrhundert etwas unvermittelt ins Licht der Geschichte. Im Jahr 488 hatte König Odoaker (Odovacer) den Befehl zum Abzug der bedrohten romanischen Bevölkerung zwischen Donau und den Alpen gegeben, der Tod des heiligen Severin 482, dessen Autorität auch benachbarte Germanenfürsten anerkannt hatten, machte die Romanen gegenüber den kriegerischen Germanen schutzlos.

Darauf bezieht sich auch der Untertitel der Ausstellung „Von Severin bis Tassilo 488-788“. Und bei eben diesem Tassilo III., dem letzten Herzog aus dem Geschlecht der Agilolfinger, einem Vetter Karl des Großen, beginnt der Salzburger Teü der Ausstellung; Tassilo hat in Mattsee um 770 eines der ältesten Klöster Österreichs gegründet.

In dem nicht ganz zwanzig Küo-meter nördlich der Landeshauptstadt gelegenen Urlaubsort hat man zu drastischen Mitteln der Inszenierung gegriffen, um den Lebensstil der Bajuwaren den Besuchern nahezubringen: Vier Gebäude, darunter ein Gruppenwohnhaus, wurden zeitgenössischen Quellen nachgebaut und mit Inventar entsprechend den Grabungsfunden ausgestattet. In diesem Bajuwarenhof stellen Handwerker nach alten Techniken Waffen, Schmiedearbeiten und Keramik her. (Für Schulen ist dies ein wichtiger Punkt in den museumspädagogischen Bemühungen.)

Die römische Spätantike und ihr Fortleben im Salzburger Raum wird zunächst — immer im Hinblick auf die Stammesbildung der Bajuwaren—dokumentiert, es folgen Abschnitte über Siedlung und Gesellschaft, Tracht, Bewaffnung, Schmuck, Handwerk und den Handel der Bajuwaren. Ein nachgebautes Gräberfeld, ein Panorama mit Flora und Fauna jener Zeit versetzen den Besucher mehr als 1000 Jahre zurück. Das Freilichtmuseum am See wird sicherlich mehr als die vorjährige „Wolf Dietrich-Ausstellung“ Geschichte erlebbar machen. Leider fehlt im Ausstellungskatalog eine eigene Zeittafel und ein zusammenfassender Artikel, der all die (wichtigen) wissenschaftlichen Beiträge zu einer ersten Information für den interessierten NichtFachmann aufbereitet.

Zu schauen und zu sehen gibt es in Fülle: Im Kloster selbst sind die historischen Räume den Nachbarvölkern der Bajuwaren gewidmet, den Alemannen, Langobarden, Awaren, Slawen, zu den Highlights aber zählen die Kunstschätze der Agilolfinger: eine sehr gute Nachbüdung des Tassilokelchs aus Kremsmünster, kostbare Stücke aus dem Domschatz von Monza; sie waren der bayerischen Herzogstochter Theodelinde Ende des 6. Jahrhunderts in ihre Ehe mit dem Langobardenkönig Authari mitgegeben worden: ein mit Edelsteinen geschmückter Buchdeckel, Krone, Fächer und Pokal, ein goldener Tafelaufsatz in Form einer Henne und ihrer Küken und ein Pektorale Papst Gregor des Großen, das dieser Theodelinde schenkte.

Auch die Beziehungen zum Frankenreich werden dokumentiert, unter anderem mit dem Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg, das Bischof Virgil 784 anlegen ließ. Dieses Buch enthält die vollständigste Eintragung über das älteste bayerische Herzogshaus.

In der bayerischen Stadt Rosenheim, dem zweiten Ausstellungsort dieser Bajuwaren-Schau, werden in der großzügig renovierten Lokremise geistliche und profane Architektur, Siedlungswesen, Christianisierung und christliche Kunst samt Buchmalerei dargestellt. So ließen sich etwa aus den Funden von Pfostenlöchern die Grundrisse von Holzkirchen rekonstruieren, die wie Wohnhäuser gebaut waren. Reli-quiare, der in Ungarn gefundene Cundpalkelch, das berühmte Ru-pertuskreuz aus Bischofshofen sind hier die kostbarsten Schaustücke.

Christianisierung und Klostergründungen- Willibald von Eichstätt und Korbinian von Freising zählen wie Rupertus von Salzburg zu den wichtigsten Glaubensboten - sind nach neuesten Grabungen gut belegt. Weiters sind in Rosenheim der Codex Millenarius aus Kremsmünster, der Psalter von Montpellier und schließlich das Gebetbuch des letzten Agilolfingerherzogs, Tassüo III., zu sehen.

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