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In der ersten Nummer, die die „Warte“ im vergangenen Jahre der Trachtenpflege in Österreich Widmete, hatte Dr. Franz L i p p in seinem Artikel „Unser Kleid — unsere Zeit, die Erneuerung der Volkstracht in Österreich" aufgezeigt, daß die in ihren Anfängen schon seit mehr als einem Jahrhundert bestehende Strömung schließlich zu einer bewußt gepflegten Erneuerung der Tracht in unseren Tagen geführt hat.

Die Gegenden, in denen von lebendiger Tracht gesprochen werden kann, liegen wie größere oder kleinere Inseln in Gebieten, die zur städtischen Kleidung übergegangen sind. Dennoch wirken sie sich auf diese Gebiete aus. Ihre Trachtenformen wandern und bilden sich in größeren Bereichen oder kleineren Gemeinwesen zur Tracht. So hat etwa die Steirer Männertracht, in der Entwicklung ihrer jetzigen Gestalt beinahe ein Jahrhundert umfassend, als eine Art „Bundestracht“, wie sie Dr. Lipp bezeichnet, ganz Österreich erobert. In der Steiermark selbst, im Salzkammergut vor allem, hat die Tracht dennoch eine, im wesentlichen des Brauches und der Landschaft begründete, andere Prägung als dort, wo sie als allgemeine Trachtenform getragen wird. Umgekehrt erhält eine solche allgemeine Trachtenform, wie es die steirische Männertracht ist, im Laufe der Zeit von der durch Charakter und Landschaft bedingten Eigenart der Träger allmählich ihre besondere Note, So wie man in der Mode von „persönlicher Note“ spricht, könnte man von einer landschaftlich und stammesbedingten Note einer Gewandform sprechen, und da wäre wohl wieder jenes Element, das mit imstande ist, Tracht zu bilden.

Wanderung und Wandlungen innerhalb der Tradit gehen ohne direkte Einflußnahme durch eine bewußte Trachtenpflege vor sich, doch ist es nicht zu leugnen, daß ihre Arbeit an der Traditenerneue-

rung dieses Leben innerhalb der bestehenden Trachten gesteigert hat.

Die Trachtenerneuerung, als bewußte Arbeit, findet sich in der Hauptsache drei voneinander anscheinend gesonderten Erscheinungen gegenübergestellt: einmal sind da, man möchte sagen, die Antiquare der Trachtenpflege, die Trachtenvereine. Sie sehen oder sahen ihre Ursprüngliche Vereinsaufgabe der Erhaltung der Tracht (wo es sich nicht um reine Geselligkeitsvereine in alten oder nachgeahmten Trachten handelt) darin gelöst, daß bei Veranstaltungen, Umzügen, sogenannten „Trachtentreffen“ und dergleichen alte Trachten gleichsam als Schaustück getragen werden, Trachten, die aus dem Gebrauch längst verschwunden sind. Dies trug freilich nicht dažu bei, sie wieder in Brauch zu bringen. Es Verstärkte die Vorstellung, daß heute Tracht als eine viel zu schwere und unpraktische Kleidung nicht mehr zu tragen ist.

Eine andere Erscheinung war und ist die Dirndlffiöde, die Zur Trachtenmode geworden ist, die in ihren Anfängen durch den krassen Mißbrauch tracht- licher Formen Empörung und Widerspruch auslösen mußte bei allen, denen die Reinerhaltung trachtlichen Lebens am Herzen lag. Sie sahen immer deutlicher, daß es mit Trachtenumzügen Und Trachtenfesten nicht getan war und, daß die Trachtenmode im „Weißen-Rößl-Stil", gegen die Professor v. Geramb damals deutlich Stellung nahm, eine Gefahr für alle noch lebenden Trachten bedeutete und dazu angetan war, das wahre Bild unserer Landestrachten Zu verwischen oder zu verbiegen. Dies besonders deshalb, weil die Schöpfer der Trachtenmode ihren Erzeugnissen die Namen der Länder oder Orte gaben, deren Trachten um ihrer Schönheit oder Originalität willen mehr oder weniger bekannt waren. Unter diesem für Geschäft und Fremdenverkehr so einträglichen Lärm verfiel die lebendige Tracht immer mehr.

Hier setzte nun mit plötzlicher Deutlichkeit eine Trachtenpflege ein, die sich nicht mit der Bewahrung des Alten und mit der Ablehnung neuer mehr oder weniger schädlichen Erscheinungen begnügte, sondern ihnen einfach ein gutes Gegenbeispiel bot: das reine Bild der Tracht, wie sie lebte Und wie sie auch für alle tragbar ist. 1935 ließ Professor v. Geramb, nachdem durch sein großes Trachtenwerk eine Grundlage wissenschaftlicher Natur geschaffen war, ein Heftchen mit einer säuberen und klaren Darstellung der steirischen Trachten für den allgemeinen Gebrauch erscheinen, das in Verbindung mit der Arbeit, die unter seiner Initiative im Steirischen Heimatwerk geleistet Wurde, eine nachhaltige, ständig im Guten fortschreitende Wirkung ausübte auf die Sauberkeit und Ordnung des Trachtenbrauches in der Steiermark und darüber hinaus.

Überall, Und dies Unabhängig voneinander, aus den zeitbedingten Umständen und dem in den Ländern immer deutlicher sichtbaren Verlangen nach guter Tracht geboren, entstanden Versuche zu einer Erneuerung der Tracht. Die einen gingen von der Beliebtheit des Dirndls und des Lodenrockes aus, der „Ledernen , die ja in den Alpenländern überall verbreitet war, und suchten diese in eine für das Land charakteristische Form zu binden. Doch blieb man bei den allgemeinen Trachten, wie etwa dem „Kärntner Gwand", nicht stehen, sondern versuchte, den verschiedenen Gegenden ein gesondertes Vorbild zu geben. So arbeitete in Kärnten Hadwig Bertold im Rahmen der Kärntner Landsmannschaft an einer Erneuerung des Kärntner Trachtenwesens. Gleichzeitig schüfen in Niedefösterreich Gustav Baumgartner und Helga Schram, später Baumgartner, aus den von ihnen schon 1933 begonnenen Aufzeichnungen, die sie in den bäuerlichen Bezirken, von Hof zu Hof wandernd, vorgenommen hatten, neue praktische Trachten beziehungsweise „Trachtendirndln . Diese haben sich so allgemein als echt niederösterreichisch und auch für Teile des Burgenlandes gültig eingelebt, daß ihre Schöpfer, die mit Verständnis und Liebe aus dem Volkstum „schöpften", darüber beinahe vergessen sind.

Hielt man sich in Oberösterreich und Salzburg vorerst hoch an die zuletzt im Lande getragenen Trachten, und versuchte man, für Fest- und Alltag daran anzuschließen, Beispiele und Anregung daraus zu holen, so war in Tirol von vornherein eine andere Lage geschaffen. Die eingangs andeutungsweise geschilderte Entwicklung hatte eine Erneuerung langsam vorbereitet. So wurde aus der Blütezeit unserer Tracht das Beste entnommen. Aber auch die späteren und die heute lebendigen Trachten, insbesondere Südtirols, gaben Vorbild und Anschluß, vor allem ließen sich aus ihnen wieder Arbeits- und Wintertrachten bilden. Seit etwa 16 Jahren leben Sich die erneuerten Trachten in den Tälern ein und werden, wenn auch nicht allgemein, aber als Tracht des Tales getragen. Eine farbige Erholung ist den Trachten unserer Zeit vonnöten. Denn die brauch- tümlichen Farben, die in der Tracht ihr besonderes Leben hatten — Rot für Ledige, Grün für Verheiratete usw. —, gingen unter in den matten gebrochenen Farben einer dunklen, eher einförmigen Tracht. Daß jedoch auch mit heutigen Trachten alter Farbenbrauch vereinbar ist, zeigen die Trachten Südtiröls.

Für eine sinnvolle und auf guter Basis aufgebaute Tracht ist die vergleichende Bestandsaufnahme alten Gutes erforderlich. Das haben die Anfänge der Trachtenerneuerung gezeigt. Daß gleichzeitig mit dem praktischen Verwerten des. durch Wissenschaftliche Arbeit Gewonnenen ein künstlerisch wie volkstümlich gleich feinfühliges Schaffen dafür notwendig ist, Wird sich eine gewissenhafte Trachtenpflege immer vor Augen halten. Das Zusammenwirken aller Kräfte an der Erneuerung unserer Volkstracht ist sehr vonnöten. Auch ist ein lebendiger Austausch der daran Schaffenden bei aller Wahrung der Eigenart jedes Landes fruchtbar und anregend.

Ob der Erneuerung Bestand beschieden ist, mag die Zukunft weisen. In der Gegenwart besteht nur die Pflicht, das Ungeordnete zu ordnen, unseren Beitrag zu leisten durch Gestalten des uns Gegebenen, damit die Kommenden daran weiterwirken können.

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