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Der letzte Stolz der Heimaiveririebenen

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Vor dem Münster in Schwäbisch- Gmünd steht eine kleine Gruppe von Frauen und Mädchen, Eine der Frauen ist in Tracht, sie stammt danach unverkennbar aus der ehemaligen deutschen Sprachinsel bei Wischau im mittleren Mähren. In den fünf Dörfern hatte sich bis zur Austreibung der Deutschen die Volkstracht bei Männern und Frauen in einer Lebendigkeit erhalten, wie sie bei den Sudetendeutschen und auch sonst im deutschen Osten nirgends mehr anzutreffen war. Schon der Säugling in der Wiege erhielt seine Tracht und sie begleitete ihn das ganze Leben hindurch bis zum Grabe. Auch die Puppe, mit der das Kind spielt, ist in die Tracht gekleidet. In diesen Dörfern konnte man noch er- fahren, was lebendige Tracht bedeutet, wie vielgestaltig sie in den mannigfaltigsten Abstufungen Ausdruck und Symbol gemeinschaftlichen Lebens ist.

In diesem Zustand wurden diese Dorf- schaften von der Ausweisung betroffen, die Menschen gingen in ihren Trachten njit ihrer Überlieferungswelt in die Fremde. Und nun steht eine solche Bäuerin hier in der württembergischen Stadt vor mir, und ich kenne sie unter den vielen hunderten Besuchern des festlichen Gottesdienstes als „Wischaue- rin" heraus.

.Haben Sie wohl keine Halskrause mitgebracht?“ „O ja, ich habe noch sehr schöne, aber wissen Sie, wir sind alle so zerstreut und diese Krause ist zu auffällig, wenn man allein unter fremden Menschen ist. Da lasse ich sie lieber weg!“ Das wäre zu Hause in der alten Gemeinschaft unmöglich gewesen. Dort durfte sich keine Frau und kein Mädchen außerhalb des Hauses ohne die Halskrause zeigen, auch an Werktagen nicht,

„Heute, Sonntag, zum Kirchgang müßten Sie doch den schwarzen plissierten Rock aus feinem Glanzleinen tragen, es war doch ein sehr feierliches Pontifikalamt, Sie haben aber den gewöhnlichen schwarzrot gemusterten Rock an." „Der schwarze Rock ist wegen des Stoffes auch so auffällig. Die Leute befühlen ihn und fragen, ob das wohl Papier sei. Und dann wissen Sie ja, daß man sich in diesen gestärkten Röcken nicht setzen kann, und ich mußte zwölf Kilometer hieherfahren. Zur Arbeit tragen wir jetzt auch keine Tracht mehr.“ „Und wie steht es mit der Jugend?“ „Das da sind meine beiden Töchter, sie tragen keine Tracht mehr, obwohl wir sie auch für sie mitgebracht haben. Sie gehen ins Büro arbeiten und da tragen sie lieber die leichten städtischen Kleider, wie ihre neuen Kameradinnen, Es wäre ganz unmöglich, daß sie dorthin in der Tracht gehen." „Auf diese Weise geht ja eure Tracht schließlich verloren.“ „Bei bestimmten festlichen Gelegenheiten tragen wir sie schon noch. So hat vor kurzem ein Theologe aus unserem Ort seine Primiz gefeiert. Er wollte unbedingt, daß wir alle in festlicher Tracht kommen, Wir sind in unserer Gegend etwa 75 Familien. Da haben wir alle in der Tracht an der Feier teilgenommen.“ „Mit den Halskrausen?“ „Ja und mit den schwarzen Röcken, ganz so wie es daheim war, auch die Mädchen haben die Tracht angelegt und die Männer auch. Bei landsmannschaftlichen Festen ziehen wir die Tracht auch an.“

Die Tracht, in der Heimat lebendiger Ausdruck der dörflichen Gemeinschaften, hat nach der Zersprengung und Zerstreuung der Gemeinden ihren ursprünglichen Sinn verloren. Die Vertriebenen müssen sich als einzelne in neue Gemeinschaften einfügen. Die Tracht als ausschließliche Kleidung wäre dieser Eingliederung hinderlich.

Freilich ist die Tracht aber immer noch äußeres Zeichen der Herkunft aus der verlorenen Heimat, ihr Tragen ist immer noch dort sinnvoll, wo es um das Bekenntnis dieser Herkunft geht. Dies geschieht bei lfindsmannschaffliehen Treffen, bei festlichen Gelegenheiten, auch bei Heimatfesten, die von Einheimischen veranstaltet werden. Auf diese letzte Funktion wird die Tracht aus dem Leben auch der Menschen zurückgedrängt, die in ihrer Tracht vertrieben wurden aus Gemeinden, ln denen sie noch ausschließliche Kleidung war.

Neben dieser Gruppe der bei der Austreibung noch lebendigen Trachten steht die der „erneuerten“. Schon in der alten Heimat waren die Bestrebungen wirksam, die im Bauerntum abgestorbenen landschaftlichen Volkstrachten in einer heute tragbaren Form wieder erstehen zu lassen, Bestrebungen, die von den Städten ausgingen und dann auch auf die Dörfer zurückgriffen.

Nach der Austreibung setzten diese Trachtenbestrebungen verstärkt wieder ein, zum Teil in Wettbewerb mit ähnlichen Bestrebungen der Einheimischen. Diese erneuerten oder neugestalteten Trachten sind nun ebenfalls mit Stolz getragene Zeichen der Herkunft, sie sind Bekenntnis der Treue zur verlorenen Heimat.

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