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Später Frühling in Bayern

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Ein neuer Trachtenfrühling ist angebrochen. Aber es ist damit wie mit dem Blütenfrühling der Natur: Je nach der Gunst des Klimas und der äußeren Bedingungen springen die Knospen früher oder später. Dreimal können wir hierzulande alljährlich den Lenz erleben: Zuerst im sonnigen Süden jenseits unserer Grenzen, dann in den sonnbegünstigteren, zuletzt in den rauheren Tälern der Heimat. Aber auch der späte und herbe Frühling ist ein echter. Auf die Trachten- emeuerung angewendet: Österreich und die Schweiz blühten früher. Wir kennen das Heimatwerk beider Länder. Schon länge ist im Straßenbild der österreichischen Gaue die Tracht ein selbstverständlicher und herzerfrischender Anblick. Welch eine Fülle noch lebendig erhaltener und erneuerter Trachten zeigt das Heimathaus in Zürich. Da kann schon von einem „Trachtenvolk" mit Tausenden von Gleichgesinnten gesprochen werden. Die Anfangsschwierigkeiten sind dem Stadium eines aus der Praxis gebotenen behaglicheren Wachstums gewichen.

Schwerer ringt sich der Trachtenfrühling in Bayern hervor. So vieles war verschüttet durch zwei mörderische Kriege, durch Bomben- und Flüchtlingsnot. Armut menbrudi. Jetzt erst dürfen wir wieder sprechen: „Wir danken, Herr, für Brot und Kleid, für Deines Himmels Spende. Was Du uns gibst, ist hochgeweiht, füllt die entleerten Hände.“ Ein in der Not bewußter gewordener Bauernstand ringt um neue Formen in enger Verbundenheit und vielfach unter Führung gleichgerichteter, nichtbäuerlicher Menschen, die zwar nicht real die Scholle unter nackten Sohlen spüren, aber doch erfüllt sind von einem starkem Verlangen nach dem heimatlichen Kulturboden unter der Asphalt- und Betondecke der Zeit. Schon lange regt es sich traditlich überall im deutschen Süden, aber auch in Nordbayern, in Württemberg, Baden und bis hinauf an die See. Bauernmädchen, Jugendführer, trachtenbegeisterte Frauen, Heimatpfleger, Landwirtschaftslehrerinnen, Pfarrer und Stadträte, Weberinnen, Trachtennäherinnen und Bäuerinnen, die alle einen Kreis aus ländlicher oder landstädtischer Bevölkerung hinter sich haben, schreiben um Trachtenerneuerungen für ihr Gebiet. Manche von ihnen erwarten womöglich postwendend eine fertige Anleitung, einen Schnittmusterbogen und setzen eine Art Heimatwerk mit geistigem Mittelpunkt, Verkaufsstelle und Schulungsmöglichkeiten voraus. Wir haben diese notwendigen Einrichtungen noch nicht. Dieses ist die eine finanziell begründete Schwierigkeit. Die andere liegt in der Tatsache, daß schon etwa seit der Jahrhundertwende in unseren meisten Gebieten die Tracht vollständig versunken oder weitgehend verunstaltet oder auf das Tragen von Einzelstücken beschränkt war. So hat sidi in vielen Köpfen die Vorstellung festgesetzt, die Tracht müsse unbedingt so aussehen wie zu Großmutters oder Urgroßvaters Tagen, was zur gänzlichen Ablehnung oder aber zur Schaffung einer genormten Uniform führt. Von ganz wenigen Inseln lebendiger Gesamttracht abgesehen, muß hier als schöpferische Kraft neben dem Bauerntum die zuverlässige wissenschaftliche Erforschung der Grundlagen einsetzen. Ohne sie wäre einerseits einem unzeitgemäßen und kitschigen, lebensfremden Historizismus, andererseits der willkürlichen modenahen und unechten übereilten freien Erfindung die Bahn freigegeben. Beide müßten notwendig die Tracht zu Tode reiten.

Um so verantwortungsvoller ist die Aufgabe derer, die auf diesem Gebiet genügend Erfahrung, Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, um richtunggebend wirken zu können. Die Methoden, nach denen sich dann die Vorbereitung vollziehen kann, werden selbstverständlich die modernen seih, wozu die Wanderschau „Das bäuerliche Kleid" des Bayrischen Bauernverbandes München schon ein Anfang war. Es ist von größter Bedeutung, daß die beiden tragenden Kräfte der Trachtegerneuerung, wissenschaftliche Forschung und der Kulturwille auf heimatlicher Scholle, die in der Bayrischen Landesstelle für Volkskunde und dem Bayrischen Bauernverband verkörpert sind, zu immer , engerer und planvollerer Zusammenarbeit gelangen. Es ist wichtig, daß langsam d i e trachten- freudigen Kreise des Landes, ; die sich noch nicht zum inneren. Erfassen einer richtigen Erneuerung durchgerungen haben, überzeugend gewonnen werden können. Nichts darf übereilt werden durch flüchtige, nicht gefestigte Entwürfe und durch schlechte oberflächliche Ausführung. Was noch echte zeitnahe Lebendigkeit in sich trägt, kann unverändert weitergepflegt werden. Unverrückbar aber sollen alle erneuerten Trachten, gleichgültig, wer dafür zeichnet, ausgerichtet sein nach den der Tracht innewohnenden Eigengesetzen.

1. Weit entfernt von einer blinden Eingenommenheit für das Museumsmäßige, muß doch aus gründlicher Kenntnis der geschichtlich gewordenen Formen, die nur aus den Bestandsaufnahmen, das ist aus dem erreichbaren Bildmaterial und Originalstücken, erkennbar sind, die wesentliche und erneuerungsfähige Form des Gebietes erarbeitet werden.

2. Es gibt landschaftliche Bindungen außerhalb der geschichtlichen Entwicklung. Allgemein gültige Trachten für ein ganzes Land mit vielerlei Landschaften kann es nicht geben. Es wäre ein Widerspruch in sich selber..

3. Die wirtschaftliche Bestimmtheit einer Tracht ist ein weiteres ungeschriebenes Gesetz. Was der Bauer in der eigenen Wirtschaft erzeugt, ist dauerhaft und billig. Darum verwendet er mindestens für die Arbeitstracht mit Vorliebe das härbene oder rupfene Tuch, das selbstgesponnene Leinen aus eigener Saat nicht nur für Tisch- und Bettgewand, sondern auch für die

Tracht. Wie aufwendig das Festgewand wird, bestimmt der durchschnittliche Erlös aus den landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Der reiche Gäubodenbauer tritt hier anders auf als der Gebirgler.

4. Da die Tracht immer in einigem Abstand den Formen ihrer Zeit folgte, muß sie es auch heute tun. Sie darf etwas ändern an den fischbeinversteiften Miedern, an den Wollpolsterungen, an den brettlsteifen Strümpfen, an dem schwerlastenden Schmuck der Florschnallen, an übergroßer Länge oder Kürze der Röcke. ie muß es sogar tun; denn sie muß zeitgemäß sein und Bewegungsfreiheit und heutiges Schönheitsempfinden berücksichtigen. Alles dieses aber unter Beachtung geschichtlicher, landschaftlicher, wirtschaftlicher und psychologischer Momente. Darum ist es unmöglich, daß jemand kühn und frei Erneuerungen erfindet. Solches tut die Mode, aber nicht die Tracht.

5. Das psychologische Moment ist teils landschaftlich bedingt, teils aber in unerklärten ältererbten menschlichen Anlagen eines Stammes begründet. Diese muß man kennen und achten. Hi?her gehört die Farbenwahl, die absolut nicht willkürlich genommen werden kann.

Zusammenfassend kann die Lage der bayrischen Trachtenerneuerung als positiv und hoffnungsfroh bezeichnet werden, wenn alle Kräfte, die sie erstreben, sich planvoll ausrichten auf das eine Ziel.

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