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NiederOsterreichisdies Trachtentum

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In jenen Gebieten unserer Heimat, die dem alles gleichmachenden Strahlungsbereich der Großstadtkultur entrückt sind, besonders in den weltabgeschiedenen Alpentälern, haben sich neben den übrigen Brauchtümern der Väterzeit die bodenständigen bäuer!' n Trachten bis in unsere Zeit lebendig erhalten. Wenn heute noch etwa die Frauen des Bregenerwaldes oder des Montafon in ihrer althergebrachten schönen Traht den Gottesdienst besuchen oder zu ihren Festen erscheinen, dann ist dies ihnen selber eine Selbstverständlichkeit. Ein so starkes Brauchtum darf man unter allen Bundesländern am allerwenigsten in Niederösterreich suchen. Es liegt zu sehr im Schatten der Weltstadt Wien. Die großstädtische Zivilisation bedeckte das niederösterreichische Brauchtum wie mit einem modernen Schleier und entrückte es unserer Schau fast vollkommen. Aber in den Tiefen keimt es noch stark genug, um wieder an die Oberfläche zu drängen und das Fremde, nicht Artgemäße, abzuwerfen. Daß die alten Trachten von so manchen traditionsbewußten bäuerlichen Haushalten in alten Truhen und bemalten Schränken sorgsam verwahrt werden, ist erfreuliche Tatsache. Zu ihnen gehört die Goldhaube, die nicht nur die Tracht in der engeren Wachaugegend war, und es gibt auch noch aus Groß- und Urgroßmutters Zeiten die sdiweren taftseidenen schwarzen Festkleider, die so fest gewebt sind, daß man die Nadel der goldenen Brosche kaum durchzustechen vermag Unsere junge und auch die ältere Generation kennt diese Kleiderschätze nur als Inhalt treubehüteter Truhen oder aus Bildern oder gar nur vom Hörensagen. Noch zwanzig Jahre ungenützter Volks-tumsarbeit, und audi dieses köstliche Erbe ist unwiederbringlich vertan!

Von Ludwig XIV. stammt das Wort: „Wenn man dieses Österreich einmal recht gedemütigt zu haben glaubt, dann zieht es unvermittelt und unverhofft ein Wunder aus der Tasche und steht dann glänzender da als zuvor.“ Es muß wohl so sein, denn zuweilen kommt es, daß wir uns selber überraschen. Von einem kleineren Wunder dieser Art darf hier die Rede sein, denn es ist bedeutsam.

Keine Kundgebung der vergangenen Jahrzehnte war imstande, die Menschen auf dem Lande dermaßen zu innerst zu bewegen, wie die Feiern, die Österreich zu seinem 950jährigen Namensfest beging. Das war auch in Kilb der Fall, einem kleinen, an sich unbedeutenden Marktflecken im Herzen von Niederösterreich. Auch hier war die Feier nicht angeordnet; sie wollte eben sein, und jeder wollte es. Ein Festzug von etwa fünfzig geschmückten Wagen zog durch die Straßen. Die Arbeiten des Bauern wurden da im Wechsel der vier Jahreszeiten dargestellt, wie sie einst und jetzt sind und waren. Eine beredte Gegenüberstellung. Die Handwerke schlössen sich an und auch die Arbeiter, denn es war ein Fest aller Stände und Parteien. Alte Bauernstuben waren auf großen Flachwagen aufgebaut und daneben neue, im alten Stil modernisierte. Es war ein Festzug, dessen Größe zur gesamten Straßenlänge des kleinen Marktes in keinem Verhältnis stand. Im Festzug fiel besonders eine Gruppe von Frauen und Mädchen auf, die alle die alte Tracht in blinkender Goldhaube oder mit schwarzseidenem Kopftuch trugen, das trachtengerecht zu binden ältere Frauen gewiesen haben. Die Trägerinnen waren alle persönliche Erben dieser Kleidungsstücke, Bäuerinnen und Bauernmädchen. Sie hatten zu dieser Tracht daher auch die zu fordernde innere Beziehung. Sie, und nur sie, dürfen sie tragen, denn standesfremden Personen steht sie nicht zu! Die Bauern zeigten stolz in fortschrittlichem Selbstbewußtsein ihr modernes Bauerntum: wie im Triumph führten sie neben Handsäern und -Schnittern ihre neuzeitlichen Säe-maschinen und Bindemäher mit im Festzug, um alt und neu nebeneinander zu zeigen. Neben der alten Frauentracht wurde eine „neue“ nicht gezeigt. Aber jede Trägerin der Tracht und auch die Zuschauerinnen'haben es gemerkt: „Das ist wahrhaftig ein festliches Kleid, es ist unser Kleid, und wie schön es ist!“ •

Damit sind auch in diesem Teile Niederösterreichs die echten Trachten wieder auf den Plan getreten. Die Bereitschaft zur lebendigen Tradition ist wieder da. Jede weiß es, jede fühlt es unbewußt: diese Tracht ist kein Spiel und ist kein Scherz. Sie will mit Liebe und Würde behütet und getragen sein. Diese Haltung offenbarten die Frauen sehr eindringlich, als sie gemeinsam in feierlichem Zuge zum Nachmittagsgottesdienst in die Kirche schritten.

Wenige Plakate hatten trotz des zeitgemäß verkehrslahmen Sonntags tausende — zum Teil skeptische — Zuschauer in den kleinen Markt gelockt. Es waren zumeist Bauern aus der näheren Umgebung. Das richtige Publikum, denn dieser Fesrzug war keine propagandistisch aufgezogene Feierlichkeit, sondern eine spontane Huldigung der bäuerlichen Bevölkerung an die Heimat. Das spürte man in der Atmosphäre dieses sonnigen Tages.

An eine Wiederbelebung der Männertracht in braunkarierten Röcken wird in Niederösterreich kaum mehr ernstlich gedacht werden können. Aber die Frauentracht ist sicher noch zu retten. Gewiß, die vorhandenen Kleider aus altem Erbe sind nicht allzu zahlreich, und sie verschleißen auch im Laufe der Zeiten. Aber noch ist ihre mannigfaltige Form zu sehen und nachzuahmen. Dort und da werden auch schon von kunstgerechten Meisterinnen ihres Gewerbes fortentwickelte Stilformen dieser Kleider geschneidert. Bei Wahrung der unabänderlichen Grundformen darf man einer maßvollen Anpassung an den Zeitgeschmack gewiß zustimmen, solange das Wesen der Tracht nicht verkitscht und die Tracht selber nicht zu einem Theaterkostüm degradiert wird. Es wurden auch schon solche Formen einer erneuerten Tracht im Festzug bemerkt. Durch das Wiedererstehen der alten Tracht ist allen, die es sahen, klar geworden, daß für den bodenständigen Menschen dieses Kleid die würdigste Tracht ist für Hochzeit und jedwede andere Festlichkeit, daß es sich auch nur um eine ein malige Anschaffung handelt, die für das ganze Leben ihren Wert behält, so wie es ehemals auch war . . . Daneben soll das gesunde Neue aber durchaus nicht geächtet sein. Das wäre sinn- und zwecklos. Doch würde die Liebe zur heimatlichen Tracht auch den Geschmack bei modernen Anschaffungen wesentlich zum Guten beeinflussen helfen.

Wie durch ein kleines Wunder ist Totgeglaubtes aus dem Boden der Heimat wiedererstanden. Das Beispiel von Kilb wirkt weiter. An verschiedenen Orten will man passende Anlässe auch in ähnlicher Weise begehen Das erhebt das Geschehnis ins Bereich des Allgemeinen. Eine Idee hat Wurzel geschlagen — Verbundenheit mit der Heimat, auch bekundet in dem Festkleid der bäuerlidien Frau!

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