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Der Geist kam über uns“

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„WO WIR STEHEN, STEHT DIE TREUE“

. Hornrufe eröffnen laut Regieanweisungen das „Festliche Bewegungsspiel“, dieweil man in der Mitte des Spielraumes „rasch und gefällig“ Aufstellung nimmt und ein Festbote aus der Steiermark das Spiel einleitet:

Nun seht euch unser Festspiel an ' und fühlt den Geist, der es bewegt, und spürt etwas von jener Kraft, die jeden hierzulande trägt.

Nachdem die Marschmusik „dröhnend“ mit einem „echt steirischen“ Marsch eingefajleji ist, . beginnt das Erste Bild. Es stellt sich als ein höchst vereinfachter, in seiner, Tendenz aber kaum verkennbarer Geschichtsunterricht in U-benden Bildern dar. Eine mystische Stimme verkündet einleitend:

Als Gott dereinst die Menschheit schuf, da gab er jedem Volk den Schicksalsraum, auf dem es sich erproben konnte.

Und weil auf dieser Welt nur gilt, was stark ist, echt und guten Willens, so nahm das Starke sich das freie Land.

Nicht weiter bekümmert um grammatikalische Feinheiten der heiligen deutschen Sprache, vollzieht sich das Geschehen der Landnahme nunmehr pantomimisch unter „Sä- und Mähgebärden“. Den Anfang macht eine Gruppe von Siebenbürgern. Aber:

Nicht immer ging es friedlich zu bei dieser Ländernahme im Südost.

Und siehe: da kommen sie, eine „dunkelgekleidete kleine Gruppe im bunten Wirbel“, sie weicht wieder zurück, stößt abermals vor und schließt endlich ringförmig die Siebenbürger ein. Nach ihnen versichern die heranrückenden Banater:

Mit ihrem Leben düngten sie das Land.

Und dann geht es erst richtig los: „Zügig“ kommen „all die andern“ Volksgruppen unter Marschmusik und Weisen aus, den „betreffenden“ Gebieten oder (dies bleibt vielleicht dem Regisseur überlassen) unter den Klängen von wohlbekannten Liedern wie (nach ausdrücklicher Regieanweisung) „In den Ostwind hebt die Fahnen“.

Dann geht es noch ein Weilchen hin und her. Wieder treten die Dunkelgekleideten (vielleicht auch Dunkelhaarigen?) in Aktion, und dann verkündet ein Sprechchor („All Alle“ heißt es bei Goethe in der allerdings klassischen Walpurgisnacht):

Geschlechter kommen, Geschlechter vergehen, wie Blumen verblühen, wie Sonnen verglühen und wie die Winde verwehen ...

Volk ... bleibt . . bestehen.

Es folgt nun von Norden her der Einmarsch der Sudetendeutschen, während im Süden die Südtiroler aufziehen. Und nun vereinen sich die Stimmen aller Grenzland- und Auslandsdeutscher zu Klagen und Anklagen, deren Adressaten keinesfalls klar werden: So verkündet etwa der Siebenbürget Sprecher: Keine liebende Mutter hat uns gesegnet, wenn es geregnet, keine Bruderhand gab uns Halt und Trost, wenn Stürme getost. Nun grünt uns noch ein Hoffnungkeim: wir möchten ...heim.

Die Frage, wer an der Tatsache des mangelnden Muttersegens schuld war (die „Dunkelge-kleyeiep,“, das alte Österreich, der lipf flPG)m bleibt ebenso unbeantwortet wie die höfliche Erkundigung, was zur Zeit, mit dem „heim“ gemeint isti das Territorium Siebenbürgens, diei Wiederherstellung der Donaumonarchie, der Anschluß Rumäniens an das Deutsche Reich ... wir wissen es nicht. Wohl aber wird die bereits mehrfach in Erscheinung getretene mystische Stimme sofort danach um vieles deutlicher. Sie sagt nämlich: So lebten und so dachten alle, die Volkstumssplitter in der weiten Welt. So leben und denken sie noch heute, Denn wie ein bunter Blütenstrauß ist unser Volk. Aus vielen Stämmen gliedert sich's, Und jeder Stamm von gknz besondrer Artung', doch über allem, ja hoch über allem, da steht nur ein Begriff: das deutsche Volk. Ob sie sich Bayern oder Schwaben nennen, ob Lothringer (merk's Robert Schumanl). Banater,

Kärntner (schmeck's Wedenigl), Südtiroler, Sudetendeutsche, Siebenbürger, Steirer, ob sie vom Rheinland stammen oder

Helgoland, von Niedersachsen oder von Tirol, ob sie Berliner, Burgenländer sind, Westfalen, Salzburger, Niederösterreicher oder Preußen, ist alles eins und eines Sinnes, wenn es ums größere Ganze geht. Jetzt fällt wohlbekannter leichter Trommelwirbel ein und begleitet weitere Bekundungen, die wir unseren Lesern im Detail vorenthalten müssen. Die Fahne — natürlich handelt es sich im die Turnerfahne und nicht etwa um die de “taates Österreich — wird feierlich besungen: Heilige Fahne, heiliges Licht, leuchte uns voran! Denn dein Feuer trügt uns nicht, zeigt uns Weg und Bahn.

Aller Hände Werk und Tat sind durch dich geboren.

„Schön wäre es. wenn die Darsteller alle mitsingen könnten“, vermerkt der Autor und fordert für alle Fälle auf, daß alle Mitwirkenden beide Hände (nicht etwa irrtümlich nur eine) zur liturgischen Huldigung an die Fahne erheben mögen.

Mit der Liturgie hat er es dann noch einmal im zweiten Bild, das mit erneuten Hornrufen und einem sehr deutlichen Gesang eingeleitet wird:

Ein Ruf ist erklungen, durch Berg und durch Tal, heraus, ihr deutschen Jungen, zum grünen (?) Waffensaal. Erwacht sind die Geister aus schmählicher Not,; |r als uns der alte Meister den Turnergruß entbot. Nun schweben uns wieder die Geister voran, und deine Burg strahlt wieder, du alter Meister Jahn.

Während sich nun laut Regieanweisung auf dem Spielfeld ein „reges turnerisches Leben mit bockspringenden Kleinsten“ entwickelt, entfalten die eben zitierten, uns wieder voranschwebenden Geister in den Lüften ein munteres Treiben, aus dem wir einige „Walpurgisnacht“-Strophen zitieren:

Volk ist nicht Zeit,

Volk ist nicht Raum,

Volk ist nicht Tag,

Volk ist nicht Traum ...

Volk ist nicht Leib, darinnen rinnt ein heiliger Strom, dem wir verfallen sind. —

Wir haben Jahn zur Losung erkoren, drum lebt unser Volk und ist nie verloren!

Aber es kommt noch schöner: „Herein-anzende Scharen von Turnerinnen leiten das turnerische Treiben fließend weiter...“ Ohne ersichtlichen Grund wird der Prinz-Eugen-Marsch geblasen und sodann ein Holzstoß entzündet. Und dann ist wohl der Gipfelpunkt des Peinlichen mit einer blasphemischen Pfingsthymne erreicht, die solcherart nicht einmal in der Zeit der „Zwölf Jahre“ gedichtet und gesungen worden sein dürfte. Wir zitieren einige Strophen zur Probe:

Et kam dir Geist über uns, wir reden in feurigen Zungen, wir wurden Propheten einer besseren Zeit, wir haben in Schlachten für Volk und Heimat gerungen und tragen die Narben davon unter schlichtem Kleid.

Es kam der Geist über ms, wir ziehn auf diu Straften, wir wecken die Schläfer und rufen die Säumigen an, die über ihr kleines Leid des großen des Volkes vergaßen: ,

Seid Turner und zieht gegen alles Unrecht voran!

Das dritte Bild steht unter dem Motto „Wir wollen das Wort nit brecheni“. Es ist jenem Weihelied der SS: „Wenn alle untreu werden“, entnommen, das einst der freiheitsbegeisterte Max von Schenkendorf dichtete, dem es ein Herzensdrang war, von jenem „alten deutschen Reich“ zu „predigen und zu sprechen“, dessen Untergang er 106 miterlebt hatte. Aber von diesem „Reich“ ist hier ebensowenig die Rede wie einst bei den neuheidnischen Weihestunden der Jünger Heinrich Himmlers. Dafür wird gleich zu Beginn das deutsche Land Österreich angerufen. Ohne weiteres Zeremoniell (modo simplici) zieht man die rotweißrote Fahne auf, das „Bundeslied“ (gemeint dürfte die Hymne unserer Republik Österreich sein) wird von der Musik gespielt. ..Alles steht schweigend.“ Die Regiebemerkung äußert kein Verlangen nach der Möglichkeit, daß wenigstens einige der Anwesenden, die sonst so sangesfreudig sind den Text vom ..Land der Berge“ oder vom .Land der.Dome“ mitsingen. Und dann kommen noch einmal die großen Weh- und Klagerufe übers Land. Unter dumpfem Trommelwirbel wird der Gefallenen und Gefangenen gedacht, mit dieser Trauer aber verbindet der Autor höchst merkwürdige andere Kommemorationen. So ist mit gleichem Trommelwirbel die Rede von jenen:

„denen- man Brot, Heim und Arbeitsplatz nahm, weil sie sich zu unserem Volk bekannten, und die trotzdem treu geblieben sind“

(Hier wären Namen und Adressen anzuführen!) Im selben dumpfen Klageton ist dann schließlich noch die Rede von

„unserer bedauernswerten Jugend, der fremdes (ahal) Seelengift jeden Glauben an Ideale zu rauben versucht...“

Brechen wir hier ab. Schenken wir uns das Lieblingslied der SS-Veteranen, das Gedenken an Hans Grimm und den Lieblingsdichter des verbotenen „Bundes heimattreuer Jugend“, Hans Vertatier, und noch einiges mehr. Am Schluß des ersten Bildes findet sich eine Regiebemerkung, die man kommentarlos an den Schluß, besser noch an den Anfang des festlichen Bewegungsspieles stellen könnte. Sie lautet wörtlich:

„Das Licht verlöscht, vom verdunkelten Spielplatz ziehen die verschiedenen Gruppen möglichst rasch und lautlos ab. Von dieser stillen Auflösung in völligem Schwelgen hängt viel vom Gesamteindruck ab!“ Wie wahr, wie wahr!

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