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Erl - Salzburg

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Der Passionsspielgedanke in den österreichischen Alpen Von Univ.-Dozent und Oberstaatsbibliothekar Dr. Anton Dörrer

Es war in den Augusttagen des Jahres 1922 gewesen. Die österreichische Regierung hatte ihren Unterrichtsminister in dert nordöstlichen Zipfel Tirols, in das letzte Bergdorf Erl, entsandt, um ihre besondere Anerkennung der Gemeinde für delren Passionsspiele kundzutun. Zugleich war eine ansehnliche Abordnung der katholischen Jugend Deutschlands eingetroffen, die namens ihres Reichsverbandes die Tiroler Bauernspieler in feierlicher Form ehren wollte. Das Kreuz an der Grenze hatte nicht vergeblich in die Welt hinausgeleuchtet. Damals stand das kleine, weltabgeschnittene Erl wohl am Zenith seines äußeren Erfolges als Passionsspieldorf. Zu rund 50 Aufführungen waren damals Zehntausende und Aberzehntauscnde von nah und fern nach Erl gepilgert, um an dem bäuerlichen Kreuzerlebnis teilzunehmen. Erst der Eintritt der kälteren Jahreszeit und der Niederbruch der Währung zwang die Erler dazu, die Türen ihres selbsterbauten hölzernen Spielhauses zu schließen. Wenige Auswärtige besannen sich darauf, wie der innere Erfolg vertieft werden könnte.

Im selben Sommer 1922 trafen in aller Stille auch Einzelgäste ein, die für Erl ein Schicksal bedeuteten. Einer hieß Max

Reinhardt. Er ■wollt die Erler Passionsspielidee aus dem Bauernrahmen, wie ihn das Plakatbild „Die Wallfah rer“ von Albin Egger-Lienz eindringlich vor Augen stellte, in den seines Welttheaters in Salzburg rücken. Die Unterbrechung war im wesentlichen bald beendet: „Das sind zwei verschiedene Welten, hier das idyllische Dorf am Fuße des majestätischen Kaisergebirges und dort das Salzburg der Barockfiirsten, zwei unvereinbarliche Kulturen, ja in Mittel und Endziel zwei Pole, die sich nicht zusammenzwingen lassen!“ Und was das persönliche Zusammenstehen betraf, saß eben Max Reinhardt in Glück und Glanz dem — „Erlkönig“ gegenüber.

Ein weiterer Erler Besucher stand an einer anderen Kreuzung des Passionsspielweges. Es war ein einfacher Pfarrer, Josef Saier aus Otigheim in Baden. Er hatte auf einer Rheininsel bei Radstatt ein Freilichttheater aufgebaut und den dortigen Arbeitermassen eine neue Welt erschlossen. 700 Mitwirkende, 350 Sänger, 4000 Zuschauerplätze. Das Problem des religiösen Festspiels für die umliegenden Industriestädte schien in genialer Weise gelöst zu sein. Auch ihn führte man hinaus in die Wiesen und Felder von Erl zu einem einfachen Wegkreuz, an dem Bauernhände Blumen angebracht hatten und ließ ihn die absinkende Alpenlandschaft genießen, die Ruhe, die Feierlichkeit, den Ackergeruch, die „brennende Lieb“ zu Füßen des Gekreuzigten. Nein, auch Otigheim, so hoch es einzuschätzen ist, war keine Verlockung für Erl und seinen Passionsspiclgedanken. Hier ging es nicht lim Massen, um Flächenwirkung, hier ging es um den Halt und den Trost einfacher Menschen, gleichviel, ob sie nun in Feld und Wald sich abrackern mußten oder in der Fabrik standen.

Nun treten wiederum dieselben Ideen zutage. Das schwer geprüfte Erl sucht nach Mitteln und Wegen, um das, was der unheilvolle Brand von 1933 wie ein Fanal der Zeit zerstörte, wieder aufzubauen. Es geht scheinbar zunächst „nur“ um Spielhaus und Spieleinrichtung, um Orgel und Ausstattung, um die hunderte Gewänder und Gebrauchsgegenstände, die damals vernichtet wurden. Es geht aber auch -schon um die Herzen und Köpfe der Erler, die ihren heiligsten und stolzesten Brauch, dem kein anderer Ort etwas an Alter und Innigkeit gegenüberzustellen vermochte, dem Untergang entreißen wollen. Es geht um das Kreuz an der Grenze, um Frieden, Versöhnung, Gerechtigkeit und Liebe, die in dem Erler Passiönsspielhaus mitgetroffen wurden. Ich will nicht lange von der alten Tiroler Passionsspielkultur sprechen, die im 14. und 15. Jahrhundert aus den Munstern von Innichen und Neustift bei Brisen in die Bürgerwelt überging, so daß um 1500 die großen Plätze des Paßlandes Tirol, Schwaz, Hall, Sterzing, Klausen, Bozen und Trient die eindrucksvollsten Kundgebungen menschlicher Ostersehnsudit veranstalteten. Die barocke Zeit weitete diese Tiroler Passionsspiele in kühnen Prozessionsauftritten aus, die von Tirol aus nadi den Nachbarländern übergriffen, bis das nüchterne 18. Jahrhundert sie wieder zurückdrängte, so daß Tirol neuerdings allein eine große Uberlieferung und Volkskultur bestritt. Erl darf als ein bäuerlicher Erbe dieser Volkskultur sich auf seine geschichtlichen Redne und auf seine Innungen bis herauf ins Unglücks-iahr 1933 berufen.

Will aber Erl anderen Ausgestaltungen des Passionsspielgedankcns, so den Reinhardt-schen Ideen, entgegenstehen? Das hat es schon 1922 nidn getan; es wurde darin noch aus sehr realen Erlebnissen heraus bestärkt. Als nach dem ersten Weltkriege das kleine Tiroler Bauemdorf beschloß, sein Passionsspiel wie üblich, nach zehn Jahren, im zweier Jahr wieder aufzunehmen, da kündigte gleichzeitig Oberammergau, das 1920 seine Spiele noch nicht abgehalten hatte, an, daß es gleichfalls 1922 diese durchführen werde. Was konnte Erl gegenüber Oberammergau schon leisten? Der damalige Präsident Oberbayerns, Herr v. K a h r, übrigens ein tiefgläubiger Protestant, war der erste, der dem tirolischen Erl seine Unterstützung in der Frage lieh, die sich aus der Grenzlage Erls ergaben. Er nahm auch am Erler Passionsspiel-teil und erwies-sich immer wieder als ein Gönner der Erler Passionsspiele, aus der Einsicht heraus, daß Oberammergau und Erl nicht bloß nebeneinander bestehen können und sollen, sondern geradezu sich wertvoll ergänzen. Diese Hinsicht behielt recht. Viele Besucher Oberammergaus nahmen auch an den Erler Aufführungen teil; keiner der beiden Passionsspielorte hatte durch den anderen etwas eingebüßt; Erl wenigstens manches durch Oberammergau gewonnen.

Wenn nun auch die Pläne Max Reinhardts, die sich die neugegründete Salz-burger Passionsspielgemeinde zu eigen gemacht hat, auf ganz anderen Voraussetzungen aufgebaut sind, als wie sich Oberammergau im Verlaufe dreier Jahrhunderte entwickelte, so kann Erl nach seinen Erfahrungen ihre Weiterentwicklung nur mit den Wünschen besten Erfolgs verfolgen. Und wie die Spielleiter von Oberammergau und Erl, im Jahre 1922 sich die Hände mit dem Versprechen gaben, sich gegenseitig dienlich zu sein, so werden sich auch die Anführer der Salzburger und Erler Spielgemeinde zu finden wissen. Der Anlaß, daß die Salzburger Passionsspielgemeinde mit einer Ausstellung „österreichisdie Passionsspielkultur“ zu Salzburg im August dieses Jahres eröffnet, mag die Welt religiösen Zielens sich darauf besinnen lassen, was das Tiroler Passionsspieldorf Erl durch fast dreieinhalb Jahrhunderte für das christliche Volk geschaffen und geopfert hat und daß es einen Anspruch auf Wiedergutmachung stellen darf. Ich rufe alle, die einstmals die Erler Passionsspiele miterlebt und alle, die sich jemals für eine christliche und österreichische Volkskultur eingesetzt haben, zur Mitarbeit am Aufbau Erls auf, damit die Tiroler Passionsspicle wieder dem einfachen Volke zu geben vermögen, wessen es bedarf.

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