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Nachbarliche Begegnung

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Deutschland und Oesterreich. Von Georg Schreibet. Böhlau-Verlag, Köln-Graz. 192 Seiten. Preis 9.80 DM

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Deutschland und Oesterreich. Von Georg Schreibet. Böhlau-Verlag, Köln-Graz. 192 Seiten. Preis 9.80 DM

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Zu einer Zeit, da die gewaltsam unterbrochenen echten Verbindungen zwischen Deutschland und Oesterreich wieder stärker werden, ist eine Schrift wie die von Georg Schreiber über „Deutsche Begegnungen mit Oesterreichs Wissenschaft und Kultur, Erinnerungen aus den letzten Jahrzehnten“ hochwillkommen. Wer selbst an manchen dieser Begegnungen teilgenommen hat, weiß, wie schnell das Wissen darum verblaßt. Der hervorragende Kirchenhistoriker und Kulturpolitiker aus Münster in Westfalen hat die besondere Gabe, Ereignisse von Bedeutung schon im lebendigen Gespräch mit seiner nimmer ruhenden Feder festzuhalten oder sofort zu diktieren, um sie als unangreifbare Zeugen für ein immer gegenwärtiges Gedächtnis anführen zu können. So war es ihm möglich, nach all den Berührungen, die er von den zwanziger Jahren an mit Oesterreichs Wissenschaft und Kunst hatte, jene Tatsachen des kulturellen Lebens zu beschreiben, die noch heute, und heuer wieder, von großer Bedeutung sind.

Als Schüler des Kärntners Michael Tangl in Berlin kam Schreiber zuerst in lebendigen Kontakt mit österreichischem Wesen. Wenn ein Schüler so über seinen Lehrer schreibt, wie der Verfasser es tut, wundert man sich nicht, daß aus der Bewunderung für den großen Lehrer und Forscher soviel helfendes Interesse für Oesterreich hervorging. Als einflußreicher Reichstagsabgeordneter von 1920 bis 1933, als Berichterstatter für den Haushalt des Reichsinnenministeriums, als Etatreferent für die Monu-

menta Germaniae Historica hatte er reichlich Gelegenheit, nicht nur für Wissenschaft und Forschung in Deutschland, sondern auch in Oesterreich einzutreten. Man braucht nur an die Oesterreichisch- Deutsche Wissenschaftshilfe zu erinnern, um dankbar anzuerkennen, was Männer wie Minister Schmidt- Ott und Georg Schreiber, für Oesterreich getan haben. Es brauchte damals, wie aus Schreibers Ausführungen deutlich wird, ein großes menschliches Verstehen, um gemeinsam eine Kulturpolitik zu betreiben, die so verschiedene Charaktere, wie Viktor von Geramb, Oswald Redlich, Heinrich von Srbik, Karl Gottfried Hugelmann, mit den deutschen Kollegen zusammenbrachte. Mit besonderer Liebe erwähnt Georg Schreiber seine bis heute lebendigen Beziehungen zu Salzburg und den dortigen Bestrebungen zur Errichtung der Katholischen Universität für das gesamte deutsche Sprachgebiet. Die sogenannte „Schreiber-Stiftung“, aus Mitteln öffentlicher Stellen von ihrem Namensträger erwirkt, ermöglichte es jungen Wissenschaftlern und künftigen Salzburger Dozenten, ihre Ausbildung zu vervollständigen oder sich besonderen Forschungsaufgaben zu widmen. Die Karl-Weymann-Bibliothek, heute ein Teil meines „Institutes zur Erforschung des christlichen Altertums", konnte mit Hilfe der Stiftung erworben und das „Institut für-christliche Volkskunde“ unter Leitung von Rudolf Kriß und Hanns Koren aufgebaut werden. Infolge der Ereignisse von 1938 seines Bücherbestandes zum größten Teil beraubt, harrt es noch immer eines neuen Aufbaues.

Mit großer Zurückhaltung deutet Schreiber in wenigen Sätzen die spannungsreiche Vorgeschichte der „Salzburger Hochschulwochen“ an, die 1931 zum ersten Male auf Initiative des deutschen „Katholischen Akademikerverbandes" unter tatkräftiger Mithilfe der Salzburger Instanzen gehalten wurden. Als einer der noch lebenden bestorientierten Teilnehmer an den Vorbereitungen und der Organisation der Hochschulwochen behalte ich mir vor, einmal diese Vorgeschichte zu schreiben. Es ist auch ein Beitrag zur Geistesgeschichte des deutschen Katholizismus, worauf Max Müller in seinem glänzenden Vortrag auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft in Freiburg im Breisgau 1955 hingewiesen hat. Aus dieser Vorgeschichte sei hier festgehalten, daß Professor Schreiber in einem entscheidenden Moment zum Zustandekommen der ersten Hochschulwochen beigetragen hat, als er und der verstorbene Professor Heinrich Konen den Prälaten F. X. Münch, Generalsekretär des Katholischen Akademikerverbandes, und mich, als Vertreter Salzburgs, am Palmsonntag 1931 in Bonn autorisierten, den Namen der Görres- Gesellschaft neben den Akademikerverband auf den an Ostern erscheinenden historischen Aufruf zu den Salzburger Hochschulwochen zu setzen. So war von Anfang die Gemeinsamkeit gewährleistet, die sich heute segensreicher denn je betätigt.

Aus der Schrift Schreibers erfahren wir auf Seite 39, was bis heute nur ganz wenigen bekannt war, daß im Jahre 1935, also vor der Beauftragung von Prof. Wilhelm Schmidt SVD., eine hohe römische Persönlichkeit durch den Münsterschen Dompropst Dr. Adolf Donders an Prälat Schreiber herangetreten sei, um zu erfahren, ob er bereit sei, das Rektorat an der Katholischen Universität zu übernehmen, selbstverständlich erst, wenn diese errichtet worden wäre. Schreiber lehnte ab. Es ist heute noch zu früh, auf diese Eröffnung einzugehen. Von benediktinischer Seite wird zu ihr wie auch zu der Beauftragung von P. W. Schmidt durch die österreichischen Bischöfe im Jahre 1936 zur Vorbereitung der Katholischen Universität noch ein Wort zu sagen sein.

Wenn bisher fast nur von Salzburg gesprochen wurde, so soll das nicht den Anschein erwecken, als sei nicht noch eine Fülle anderer Beziehungen zu Wien, Graz, Innsbruck, zu ganz Oesterreich in der Schrift enthalten. Ob es sich um den Bergbau und die Theologie des Bergbaues in den Alpenländern oder die Auseinandersetzungen österreichischer Landschaften mit der Türkennot oder um Beziehungen Altösterreichs zu Italien und Schlesien handelt, ob der Abgeordnete von seinen hochpolitischen Gesprächen mit Bundeskanzler Seipel und Schuschnigg erzählt, ob er in freundlichen Worten des heute noch für die Katholische Universität begeisterten früheren Erzabtes von St. Peter, Dr. Petrus Klotz, gedenkt, immer merkt man das Bestreben, einer andersgearteten Mentalität im Interesse des Gemeinsamen gerecht zu werden. So wird das Buch nicht nur zu einer in Hinkunft unentbehrlichen Quelle für Ereignisse, die manche von uns noch miterlebt haben, sondern auch zu einem Weiser in eine gemeinsame europäische Zukunft, in der das gemeinsame kulturelle Anliegen und Werk Deutschlands und Oesterreichs seinen geschichtlich bedingten bedeutsamen Wert haben wird.

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