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Reichersberg 900 Jahre alt

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Hoch über dem Inn liegt zwischen Passau und Braunau das Augustiner Chorherrenstift Reichersberg. 1984 wird es 900 Jahre her sein, daß es gegründet wurde. Anlaß zu dieser Stiftung war der frühe Tod des einzigen Sohnes Gebhard des Werner von Reichersberg und seiner Gemahlin Dietburga, einer Schwester des Erzbischofs Gebhard von Salzburg. Der „Stifterstein” in der Stiftskirche erinnert an diesen Anfang.

Damals erlebte der Orden eine Blütezeit vor allem im bayerischösterreichischen Raum. Allein zwischen Passau und Salzburg existierten fünf Chorherrenstifte! Es war die Idee des hl. Bischofs von Hippo in Nordafrika, Augustinus, in seiner Regel beides zu vereinen: das klösterliche Leben in der Gemeinschaft und die Seelsorge. Diesem Ideal möchten die Chorherren treu bleiben und versuchen, diese Ordensregel heute zu leben.

Jedes Stift ist zwar selbständig, doch sind alle sechs Stifte (Klosterneuburg, St. Florian bei Linz, Herzogenburg, Vorau, Neustift bei Brixen und Reichersberg) in der österreichischen Kongregation zusammengefaßt. An ihrer Spitze steht der Generalabt.

Nun in Kürze, sozusagen im Zeitraffer, die wechselvolle Geschichte unseres Klosters. Die Zeit nach der Gründung war schwer, immer wieder war man bedroht von Brandschatzung und Überfällen mißgünstiger Nachbarn. Erst durch den dritten Propst, den damals (und auch heute wieder) hochgeschätzten Theologen und Reformer Ger- hoch von Reichersberg, konnte eine solide Grundlage für die klö sterliche Gemeinschaft geschaffen werden.

Von 1132 bis 1169 leitete er mit Geschick und Tatkraft unsere Gemeinschaft, war ein geschätzter Gesprächspartner der Päpste und ein hervorragender Theologe. Neun Bände Handschriften, davon sieben im Stiftsarchiv, sind kostbare Zeugen jener Zeit, seines Denkens und Glaubens.

Unter Propst Gerhoch kam es auch zu einer heute noch recht wirksamen Eigenart unseres Stiftes: Von den zwölf inkorporierten Pfarren liegen acht in Niederösterreich in der Erzdiözese Wien, in der „Pittener Waldmark”, 300 km vom Stift entfernt! Durch die Gründung von Salzburg aus erhielt das Stift zunächst das Zehentrecht in diesem Gebiet, später wurden daraus eigene Pfarreien, die bis heute von Reichersber- ger Chorherren betreut werden. Gegenwärtig sind neun Mitbrüder in diesen Pfarren. Wie jede Gemeinschaft, so machte auch unser Kloster das Auf und Ab der Geschichte mit.

Ein schwerer Schlag traf das Kloster im Jahr 1624. Ein verheerender Brand zerstörte es restlos; besonders schmerzlich ist heute noch der Verlust wertvoller Handschriften und Bücher der Bibliothek. In etwa 70 Jahren wurde jedoch die jetzige Klosteranlage in ihrer schlichten, aber gerade deswegen so überzeugend schönen Form gebaut, der äußere Hof mit dem Brunnen, bekrönt von der Bronzefigur unseres Kirchen- und Klosterpatrons, des Erzengels Michael, ein hervorragendes Werk von Thomas ßchwanthaler, weiters die Kirche, der Kreuzgang mit dem stillen, kleinen Konventhof oder der Kreuzgarten.

Nachwuchsprobleme

Beinahe hätte unser Stift das Schicksal der Aufhebung zur Zeit der Säkularisation mit vielen anderen Klöstern teilen müssen. Man denke an die Klöster im Umkreis von Reichersberg: St. Nikola (Passau), Suben und Ranshofen (übrigens alles Chorherrenstifte!), die seither als Klöster nicht mehr existieren. Dankbar vermerken wir auch, daß die Besetzungen in der Franzosenzeit (1810 bis 1816) und die bislang letzte von 1940 bis 1945 gut überstanden worden sind. Vor allem wirtschaftlich und personell hatte Reichersberg als verhältnismäßig gering dotiertes Stift immer wieder schwer zu kämpfen, etwa in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts und nach dem Zweiten Weltkrieg. Propst Gerhoch Weiß und Propst Floridus Buttinger mußten die Bürden dieser Zeit tragen. Erst unter Propst Odulf Danecker

(1963 bis 1980) und dem tüchtigen Rentmeister Roman Foissner erreichte das Stift wieder eine Blütezeit vor allem in baulicher, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht.

Die größte Sorge war der lang ausbleibende Nachwuchs. Doch noch Propst Odulf konnte vier Novizen einkleiden, und heute sind sieben Kleriker und ein Novize die große Hoffnung unserer Klostergemeinschaft. Diese möchte nach der Regel des heiligen Augustinus (354 bis 430) als Priestergemeinschaft nach den evangelischen Räten der Armut, der ehelosen Keuschheit und des Gehorsams leben im Dienst der Kirche für das Volk Gottes, vor allem in der Pfarrseelsorge. Dies tun wir in den schon genannten zwölf Pfarreien in der Erzdiözese Wien und der Diözese Linz. Aber auch Seelsorgediensten in den umliegenden Pfarren, im Religionsunterricht, bei Exerzitien und Einkehrtagen stellen wir unser Stift zur Verfügung.

Eine neue Möglichkeit und Aufgabe besteht seit 1969: Seit damals ist im Stift ein Bildungszentrum für Erwachsenenbildung untergebracht, das vor allem über das Wochenende eine ganze Reihe von musisch-kreativen Kursen anbietet und als Modell für andere Bildungseinrichtungen gelten kann. Ebenso hat der „Reichersberger Sommer” — Konzerte von hoher künstlerischer Qualität im Augu- stinisaal und der Stiftskirche — eine fast dreißigjährige Tradition. 900 Jahre in aller Kürze — es ist das Leben unserer Vorfahren, es ist unser Erbe, das wir in großer Dankbarkeit Gott, unseren Stiftern und unseren verstorbenen Mitbrüdern gegenüber annehmen. Aus Anlaß der 900-Jahr- Feier findet im Stift Reichersberg die Landesausstellung 1984 statt. „900 Jahre Stift Reichersberg — Augustiner Chorherren zwischen Passau und Salzburg”.

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