Menschsein mit Anstand

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Klostermauern sind durchlässig geworden - für Tage der Stille, Exerzitien, Ikonenmalen und andere spirituelle Angebote. Eine Erfahrung, die guttut.

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Klostermauern sind durchlässig geworden - für Tage der Stille, Exerzitien, Ikonenmalen und andere spirituelle Angebote. Eine Erfahrung, die guttut.

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Zwei große Schlüssel sind das erste, was der Besucher im Benediktinerstift St. Lambrecht in die Hand bekommt. Damit läßt sich die Klosterpforte öffnen und der Weg zum Kreuzgang. "Oase" heißt eines der Zimmer mit Blick durch den offenen Innenhof zu den immer erleuchteten Türmen der Basilika. Zu späterer Stunde ist es finster im Kloster, ein Leben nach der Ordensregel rechnet nicht mit nächtlichen Passanten.

Die Zimmer hier stehen auch weiblichen Gästen offen. Diejenigen von ihnen, die nach dem Nachtgebet im Cafe vor dem Kloster einkehren, sind über den hell in den Nachthimmel ragenden Turm als Orientierungshilfe sehr froh. Männliche Besucher dürfen sich sogar in der Klausur einquartieren. Absperren muß hier niemand: im geschützten Bereich des Klosters herrschen andere Gesetze als in der unwirtlichen Welt draußen.

Hier wird nichts gestohlen, vertrauensvoll werden auch die riesigen Gemächer im ehemaligen Kaisertrakt vermietet. Wer hier nächtigt, tut das im herrschaftlichen Ambiente des schmuckfreudigen Frühbarock, Spiegel, Luster und Kandelaber inklusive. Neun mal neun Meter kann so ein Zimmer schon messen, alle Räume sind sechs Meter hoch, nur das Kirchenschiff ist um einiges höher.

Massstab Gottes Nicht nur der Maßstab, der hier an die Architektur angelegt wurde, auch das Maß, mit dem der Tag gemessen wird, gehorcht anderen Gesetzen als der übliche Alltag. Gebetszeiten sind heilig. "Wenn ich zur Mittagshore muß, unterbreche ich sogar ein Gespräch", erklärt Pater Stefan, der als Pfarrer in der Umgebung arbeitet und oft in Zivil ausrückt. "Am Anfang schauen die Leute ein wenig komisch drein, aber mittlerweile akzeptiert das jeder." Wer von der Wichtigkeit des geregelten Gebets überzeugt ist, kann auch andere problemlos überzeugen, selbst wenn sie es nicht ganz verstehen können.

Kurz vor halb sieben Uhr morgens hallen eilige Schritte über den offenen Kreuzgang. Mit der "Laudes" beginnt ein Tag. Noch vor dem Frühstück steigt man die steinernen Stufen zum Chorgestühl empor. In ehrwürdigem Holz sitzt es sich hier mit Armlehnen nicht einmal so unbequem. "Herr, eile mir zu helfen", rezitieren die Mönche. Für jeden Tag gibt es eine eigene Stelle im monastischen Stundenbuch, demokratisch gemischt sitzen Urlauber, Erholungssuchende, Ikonenmaler und Benediktiner im Chor, um gemeinsam etwa vierzig Minuten lang den heranbrechenden Tag im Gebet zu beginnen. Der Psalm 119 ist eine beliebte Quelle, in wechselseitigem Sprechgesang lesen die rechte und linke Seite gemeinsam den uralten Text.

Einer der Mönche oder der Abt selbst treten vor, um Schriften des heiligen Augustinus oder zeitgenössische Betrachtungen ergänzend vorzutragen. Der Umgang mit Aggressionen, Unsicherheit, Launen, Verzweiflung, Verzagtsein, aber auch mit Hoffnung, Glaube oder Zuversicht: mit ersteren umzugehen, um zweitere zu erreichen und zu erhalten, darum geht es im Prinzip immer. Mit den Gedanken, die hier vorgetragen werden, kann jeder etwas anfangen.

Das Regelmaß der benediktinischen Lebensordnung ist einer der vielen Wege, Menschsein mit Anstand zu gestalten, und es ist bei weitem nicht der schlechteste. Selbst wer sich zweifelnd und skeptisch im Chorgestühl einfindet, spürt unweigerlich die beruhigende, angstlösende Wirkung des gemeinsamen, rituellen Rezitierens. Es gibt einen Schöpfergott, er hält mich, genauso wie die Gemeinschaft derer, die sich ihm geweiht haben.

Der Umgang der Mönche mit den "Zivilisten" ist natürlich, die Freundlichkeit, die einem allenthalben entgegenschlägt, hat nichts mit dem in der Hotelfachschule eingelernten Entgegenkommen professioneller Dienstleister zu tun. Hier wird weder angebiedert noch missioniert. In jedem Gast steckt ein Stück Jesu Christi, sagt die benediktinische Lebensregel.

Nach der Morgenhore geht es zum Frühstück. Das kostet unglaubliche vierzig Schilling, unbegrenzt steirische Langsemmeln, Kaffee, Tee, Marmelade, Käse und Wurst. Rechts im Refektorium speisen die Mönche, dazwischen liegt eine Durchreiche, links von der Küche sitzen die Gäste. Eine fröhliche Köchin kümmert sich um alle. Was hier gelebt wird, ist weder Körperfeindlichkeit, noch falsche Askese, sondern gemäßigter, respektvoller Umgang mit dem Leib. Lebensfreude, erfährt man bisweilen überrascht, ist gottgewollt. Und die läßt sich hier, jenseits der Zerstreuung, durchaus finden. Mit natürlicher Freundlichkeit erläutert der Abt nach dem Frühstück den Tagesablauf, mit derselben weist er vor dem Gebet auf die Seitenzahl hin, auf der die Terzen, Septen und Nonen des jeweiligen Tages zum Mitlesen stehen. Vier mal täglich.

Fenster zum Himmel Ikonenmaler beten sogar einmal mehr. Noch vor dem ersten Pinselstrich gibt es eine Meditation mit dem Abt. Schließlich sind Ikonen Fenster zum Himmel, und um den zu sehen, muß man sich schon richtig einstimmen. Der Ungeduld keinen Raum lassen, sondern den Blick auf das Urbild der Vorlage konzentrieren. Russische Mönchschöre stimmen ein, auf das Antlitz Christi, auf den Propheten Elias oder die heilige Muttergottes. Ikonenmaler sollten eigentlich fasten und Askese üben.

Streng genommen, sind sogar Scherze und lautes Lachen nicht erlaubt. Doch so streng ist man hier glücklicherweise nicht. "Wenn jemand allerdings immer Zuckerln neben sich liegen hätte, und ununterbrochen essen müßte, würde mich das schon stören", gibt Abt Otto Strohmaier, der den Kurs leitet, zu. Doch diese Idee kommt ohnehin niemandem. In ruhiger, konzentrierter Atmosphäre wird nach der Andacht gearbeitet.

Das Abenteuer, das hier zu erfahren ist, ist geistlicher Natur. Im Innehalten stellt sich Erkenntnis ein, der Blick wird tiefer, im täglichen Ritual liegt stiller Genuß: der Klang der Schritte auf dem Steinboden, das Sonnenlicht, das milde Schatten der Fensterkreuze auf den Kreuzgang wirft, der leichte Grat des Gewölbes, das mit dem Tageslicht wechselnde Grün der Sträuche im zweiten Arkadenhof. Die Schönheit der Schöpfung läßt sich nicht nur in der naturgeschützten Landschaft des Grebenzengebietes, in dem das Kloster liegt, sondern auch in der ausgewogenen Architektur finden.

Aus weißem Stein, mit einem idyllisch pittoresk verwachsenen Klostergarten, der barocken Ahnengalerie voller steinerner Heiliger gegenüber dem Eingang, den Sammlungen sakraler Kunst und entsteht nie der Eindruck, ein unbedeutender, kleiner Mensch zu sein, wie ihn Kaiserpaläste und die prunkvollen Anlagen späterer Zeit oft hervorrufen.

Freundliche Kirche Das Stift St. Lambrecht ist bergend, freundlich, aber nicht beängstigend. Kirchliche Macht ist hier nicht zu Hause, viel eher läßt sich aus dem bröckelnden Putz ablesen, daß die finanzielle Lage schon einmal besser war. Im heute kraß überdimensionierten Refektorium der Mönche sitzen an manchen Tagen gerade zwei Personen am Kopfende der meterlangen Tafel, die übrigen Sitze bleiben leer. Die Sorge um den Nachwuchs ist genauso zu spüren wie die drückende Last der zu groß gewordenen Bausubstanz. Eine demütige Haltung gegenüber dem Ratschluß Gottes läßt allerdings keine Angst aufkommen.

Für aus einem bisweilen hektischen beruflichen Alltag oder einer problematischen privaten Situation kommende Besucher ist diese Erkenntnis beruhigend. Die Diener Gottes, die hier die Liturgien feiern und vor zwei bis drei treuen Bauersfrauen verläßlich die tägliche Vesper als Abendmesse in der barocken Stiftskirche zelebrieren, schweben nicht abgehoben irgendwo in himmlichen Sphären. Sie haben einen Alltag zu bewältigen, wie alle anderen auch. Profane Sorgen und Ängste sind ihnen nicht fremd, sie haben Verantwortung zu tragen für ihr Erbe, sie müssen sich mit materiellem Ballast herumschlagen wie alle.

Der Klosterladen im Stift, Konzerte, CDs, Meditationskassetten mit Gedanken des Abtes, sowie die Veranstaltungsreihe "Lambart", die junge Künstler einlädt, drei Wochen im Stift zu verbringen und die Erfahrungen daraus künstlerisch umzusetzen, sind einige der Initiativen, die das Kloster St. Lambrecht gesetzt hat, um eine Brücke zwischen Himmel und Erde zu schlagen.

Die kleine Gemeinschaft von Benediktinern, die hier im Winter frierend nach wie vor das alte Gemäuer am Leben erhält, bemüht sich vorbildlich, der bereits 1500 Jahre alten benediktinischen Regel treu zu bleiben, und sich den neuen Zeiten ohne Gesichtsverlust und Ausverkauf in ehrwürdiger Form anzupassen. Machtfaktor ist dieses Kloster keiner mehr, auch auf riesige Latifundien kann man nicht mehr blicken.

Im Klosterladen findet man daher - neben selbstgebrautem Kräuterlikör - vor allem geistige Nahrung: Gebetswürfel, die zum Morgen-, Mittags- und Abendgebet motivieren wollen, sowie einige Bücher, darunter sogar eine Publikation über die Zeit des zweiten Weltkriegs, als das Stift ein Arbeitslager war. Verdrängung und Schönfärbung entspricht nicht dem Geist Gottes, der immer auch die bisweilen bittere Wahrheit ist. St. Lambrecht ist ein spiritueller Ort, der dieser Wahrheit ins Auge sieht: Eine besondere Oase für Sinnsuchende.

Das ist freilich eine Qualität mit sehr begrenzter Breitenwirkung.

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