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Vergangenheit und erfüllte Gegenwart

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Als Leihgaben sind Kunstschätze aus ehemals zu Reichersberg gehörenden Klöstern und Pfarren zu sehen, ein Höhepunkt der Ausstellung sind die barocken stuckverzierten Stiftsräume selbst.

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Als Leihgaben sind Kunstschätze aus ehemals zu Reichersberg gehörenden Klöstern und Pfarren zu sehen, ein Höhepunkt der Ausstellung sind die barocken stuckverzierten Stiftsräume selbst.

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„900 Jahre Stift Reichersberg. Augustiner Chorherren zwischen Passau und Salzburg" lautet der Titel der diesjährigen oberösterreichischen Landesausstellung, die am 25. April von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger eröffnet wurde. Von den ursprünglich fünf Chorherren-Stiften des Gebietes hat nur Reichersberg überlebt, während St. Nikola bei Passau, Suben, Ranshofen und Salzbürg entweder der bayerischen Säkularisation oder der josephi-nischen Klosteraufhebung zum Opfer fielen.

Die Ausstellung dokumentiert nun einerseits die neunhundertjährige Geschichte des Reichers-berger Stiftes, andererseits das Wirken, die Leistungen und die kulturelle Ausstrahlung der aufgelösten Inn-Klöster, darüber hinaus aber auch die Stellung der Augustiner Chorherren innerhalb der Kirche.

Gegründet wurde das Kloster inmitten der beschaulich-sanften Innviertier Landschaft im Jahr 1084 vom Edlen Wernher von Reichersberg und von dessen Gattin Dietburga nach dem frühen Tod ihres einzigen Sohnes. Dietburga war die Schwester des Salzburger Erzbischofs Gebhard (1060-1088), dessen Bistum Reichersberg in der Folge unterstand, obwohl es geographisch der Diözese Passau zuzuordnen wäre. Die Neugründung war jahrzehntelang in schwere Auseinandersetzungen verwickelt, da die Verwandten Wernhers um das Erbe kämpften, die Chorherren mußten mehrmals flüchten.

Eine Reformbewegung für den gesamten Klerus führte zu immer mehr Zusammenschlüssen von Geistlichen nach den Regeln des heiligen Augustinus. So wandelte

1122 Erzbischof Konrad sein Salzburger Domkapitel trotz einigen Widerstandes in ein Augustiner-Chorherrenstift um. Seine erste Blüte erlebte Stift Reichersberg unter Propst Gerhoch, der es in 37jähriger Tätigkeit zu wirtschaftlicher und geistig-geistlicher Höhe führte.

Ein Brand im Jahr 1624 vernichtete die romanisch-gotische Klosteranlage.

Im 17. Jahrhundert entstand der barocke Neubau von Carlo Antonio Carlone, dessen Bruder Giovanni Battista Carlone den üppigen Stuck schuf. Die Fresken in der Kirche und in den Festsälen des Klosters stammen von den Münchner Malern Christian Wink, Benedikt Albrecht, Eu-stach Kendlbacher und Johann Schöpf.

Eine Kuriosität des Stiftes Reichersberg besteht seit 800 Jahren: während sich in der Nähe des Klosters nur vier inkorporierte Pfarren befinden, betreut das Stift im dreihundert Kilometer entfernten Niederösterreich acht Pfarreien. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Reichersberg ja im wittelsbachischen Bayern lag (das Innviertel kam erst 1779, mit dem Frieden von Te-schen, zu Österreich), während die zugehörigen Pfarren unter habsburgisch-österreichischer Oberhoheit lagen.

Zur Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg erlebte das Kloster eine wirtschaftliche Krise, im Zweiten Weltkrieg konnten die Chorherren ihr Ordensleben weiterführen, obwohl eine Fliegerschule einquartiert war.

In zwölfjähriger Arbeit wurde das Stift nun mit Hilfe des Landes Oberösterreich mustergültig restauriert. War zur Schwanthaler-Ausstellung im Jahr 1974 hauptsächlich Oberflächenkosmetik betrieben worden, so kann sich das Stift heute seinen Besuchern innen und außen als Schmuckstück präsentieren.

Als Landesbildungszentrum hat es seit Jahren eine bedeutende Funktion inne. Die Öffnung des Klosters für Menschen, die in ihrer Freizeit sinnvolle Betätigungen erlernen möchten oder einen Ort für Meditation und geistige Erneuerung suchen, erfüllt von neuem die Regel des Augustinus, welche die Gemeinschaft und die Seelsorge in den Mittelpunkt stellt.

In der diesjährigen Ausstellung stellt sich das Kloster auch selbst dar. Kreuzgang, Bibliothek, Sommerrefektorium und Brunnenhaus wirken durch die Architektur, beziehungsweise den prachtvollen Stuck. Die Entwicklung der Ordenstracht vom weißen Leinenhabit zum schwarzen Ta-lar mit weißem Chorhemd, das heute zu einem weißen Bändchen, dem sogenannten „Sarrokel" stilisiert ist, wird die Besucher der Landesausstellung ebenso interessieren wie der Einblick in das Zimmer eines Ordensmannes.

An gediegenen Schätzen der Sakralkunst ist die Ausstellung überaus reich. Kunstvolle Cibari-en, Monstranzen und Meßgewänder konkurrieren mit gotischen Tafelbildern und Statuen um die Aufmerksamkeit. Um nur einige herausragende Stücke zu nennen: Aus Suben ist der frühbarocke Kelch von Wagholming zu besichtigen, aus den ehemaligen Beständen des Stiftes Ranshofen sind eindrucksvolle Zeugnisse der mittelalterlichen Buchkunst vertreten. Unschätzbare Handschriftensammlungen sind leider durch die Säkularisation unter Joseph II. verlorengegangen oder in alle Winde zerstreut worden. Aus Neukirchen an der Enknach stammt das eindrucksvolle Relief „Marientod", das Salzburger Domstift ist mit Exponaten aus dem Domschatz vertreten, darunter einer Hostientaube aus Limo-ges, dem Mekka mittelalterlicher Goldschmiedekunst.

In der Bibliothek ist neben den erwähnten Handschriften eine Musiksammlung mit Autogra-phen zu besichtigen. Der übrige Aufbau der Ausstellung richtet sich nach den einzelnen Klosterstiftungen; ein Raum ist den volksbildnerischen Kursen in Kerbschnitzen, Trachtennähen, Goldhaubensticken und ähnlichen, die im Stift stattfinden, gewidmet.

Insgesamt befriedigt diese reichhaltige Schau vielerlei Interessen. Abschließend sollte noch erwähnt werden, daß auch die Umgebung von Reichersberg einen Besuch lohnt. Die Städte Ried, Schärding und Braunau mit ihren historischen Stadtkernen und schönen Pfarrkirchen sind ebenso reizvoll, wie die Landschaft des Innviertels, in die sie gebettet sind.

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