"Die Saat ist aufgegangen"

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Bischof Samuel Ruiz zählt sich zu jenen Befreiungstheologen Lateinamerikas, die nach dem Zweiten Vatikanum das zarte Pflänzchen des gewaltfreien Widerstandes gegen ungerechte politische und wirtschaftliche Strukturen gesät haben - und der mexikanische Bischof sieht Erfolge: in der Zivilgesellschaft und sogar im konservativen Klerus.

Die Furche: Können sich die indigenen Völker als moralische Instanz im Getöse der Globalisierung überhaupt noch Gehör verschaffen ?

Samuel Ruiz: Die Kosmovision der indigenen Völker ist tief in der Gemeinschaftsidee verwurzelt und steht so im grundlegenden Widerspruch zum individualistischen Globalisierungssystem. Es bedarf der Neuorientierung, denn punktuelle Hilfe ändert substanziell nichts. Entwicklungshilfe hat immer ein bewahrendes, restituierendes Element in sich, indem sie zwangsläufig historisch an die Despotie des Kolonialismus anknüpft. Entwicklungshilfe empfindet die Dritte Welt also nicht so sehr als Unterstützung an sich, als vielmehr als Akt der Gerechtigkeit. Armut in der Dritten Welt ist notwendig an die Situation in der Ersten Welt gebunden. Nur im Wahrnehmen der Gemeinschaft lässt sich diese Ungerechtigkeit aus der Welt schaffen.

Die Furche: Ein notwendiges Element zur Aufrechterhaltung einer Gruppe ist ihre Abgrenzung gegenüber anderen. Führen Zugeständnisse von außen dann nicht notwendigerweise zu Wettbewerb untereinander?

Ruiz: Die konkret solidarische Handlung ist gegen die Logik des geltenden Systems gerichtet, in dem alles einen Preis hat und an zu erwartenden Gewinnen, an Wettbewerbsvorteilen orientiert ist. Unser Weg muss sein, die Logik von der Anhäufung hin zur Umverteilung zu verändern. Der Andere muss als Partner, als Mitmensch grundsätzlich wohlwollend gesehen werden. Nächstenliebe aufzubringen ist der notwendige Schritt, dessen Logik des MiteinanderTeilens weg vom einsamen Individualismus zu einem großen Gemeinschaftsgeist führt.

Die Furche: Wäre ein gemeinsames Vorgehen der Zivilgesellschaft wünschenswert, um ein neues Konzept der Solidarität einzufordern?

Ruiz: In Lateinamerika fanden unzählige internationale Foren der Zivilgesellschaft statt, wo viele Deklarationen und Initiativen entworfen wurden, die sich gegen das neoliberale Wirtschaftssystem richten. Man hat einen Bewusstseinswandel bei den Menschen herbeigeführt. Viele haben verstanden, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle unter den negativen Konsequenzen dieses Systems zu leiden haben. Nur gemeinsam können sinnvolle Strategien dagegen entworfen werden. Hier in Europa sind die jährlich wachsenden Menschenmassen unvorstellbar, die zur Erarbeitung friedlicher Alternativen bereits aufgebrochen sind.

Die Furche: Sie haben Ihre pastorale Tätigkeit in Chiapas dem Kampf für den Frieden gewidmet. Kann dieser Kampf Erfolg haben, solange sich das wirtschaftliche System in Mexiko nicht ändert?

Ruiz: Die jüngste Geschichte des Konflikts in Chiapas ist von Massendemonstrationen gekennzeichnet, die sich immer stärker als politische Bewegung manifestieren. Die wichtigste und vielleicht größte Manifestation war jene, die sich explizit gegen den Krieg richtete. Hier wurde deutlich die Parallele zwischen dem bewaffneten Konflikt in Chiapas und dem weltweit tobenden Wirtschaftskrieg gezogen. Als Mann des Glaubens bin ich der Botschaft Jesu Christi verpflichtet, die mich anhält meinen Beitrag für die Errichtung des Königreichs Gottes auf Erden zu leisten, für Wahrheit und Gerechtigkeit einzutreten, wo auch immer ich mit Lüge und Unrecht konfrontiert werde. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil kehrten wir Bischöfe in unsere verarmten Gemeinden in Lateinamerika zurück und nichts war mehr wie früher. Die päpstliche Ermunterung, Optionen für die Armen zu entwerfen, beflügelte unser Tun, und wir verstanden, dass diese Option notwendig an eine entschiedene Zurückweisung ungerechter Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme gebunden war. Ungerecht ist jedes Verhalten, dessen Resultat die weitere Marginalisierung unserer ärmsten Mitbrüder ist und den Reichtum dieser Welt in die Hände weniger Familien führt. Wir haben die zarten Pflanzen des friedlichen Widerstandes gegen diese ungerechten Strukturen gesät, und ich meine, diese Saat ist aufgegangen.

Die Furche: Ist der Aufstand der mexikanischen Indigenas in Chiapas ein Kampf um die Macht oder gegen die Macht?

Ruiz: Die Zapatisten wenden sich gegen die Nicht-Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung im mexikanischen Staat, gegen die vernichtende Dominanz und die Dynamik eines Systems, das keinen Platz mehr für die ursprünglichen Völker Mexikos bereithält. Dieses System untergräbt nachhaltig die Lebensgrundlage dieser Völker, die auf Gemeinschaft aufbaut und den individuellen Besitz beispielsweise von Land in ihren Traditionen nicht kennt und daher aus tiefster Überzeugung ablehnt. Im Moment ist die Distanz zwischen Regierungsvertretern, Politikern und jenen, denen diese eigentlich dienen müssten, nämlich dem Volk, größer denn je. Die Krise entzündet sich an den inkompatiblen Werten der einen gegen die anderen. Die mächtigen Politiker Mexikos bringen das nationalistische Argument ins Treffen und behaupten, sie müssten den Staat schützen und gegen Angriffe von innen verteidigen. In Chiapas ziehen die Menschen mittlerweile eine politische Vertretung ihrer Interessen durch zivilgesellschaftliche Organisationen der von politischen Parteien vor.

Die Furche: Welche Rolle könnte die katholische Kirche in diesem Szenario einnehmen? Sehen Sie Möglichkeiten einer gemeinsamen kirchlichen Position oder spiegelt sich auch hier die Polarisierung der Gesellschaft wider?

Ruiz: In der Weiterführung des Zweiten Vatikanums im kolumbianischen Medellín wurde die Position der katholischem Kirche am lateinamerikanischen Kontinent klar definiert. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten, wie die Anwendung der Beschlüsse von Medellín in der Praxis aussehen könnte, aber die Richtung, die die Kirche zu gehen hat, ist klar vorgegeben und steht nicht zur Debatte. Selbst unter unseren konservativsten Brüdern wächst die Überzeugung, endlich zu einem Ende des Leids, und der teilweise katastrophalen Lebensumstände unserer Menschen zu kommen und ein Wirtschaftssystem mit menschlichem Antlitz zu entwickeln.

Die Furche: Früher haben sich zwischen Kirchenleitung und Befreiungstheologen heftige Konflikte entzündet. Ernesto Cardenal ebenso wie Leonardo Boff aus Brasilien wurden gar von der Glaubenskongregation ihres Priesteramtes enthoben.

Ruiz: Natürlich haben immer Spannungen zwischen kirchlichen Würdenträgern unterschiedlicher Auffassung bestanden, wie man konkret mit dieser Last der Verantwortung umzugehen hätte. In unzähligen Beratungen haben die lateinamerikanischen Bischöfe versucht, eine gemeinsame Linie zu erarbeiten. Ich habe dabei im Laufe der Jahre erfahren, dass die Distanz zwischen den Positionen bedeutend geringer geworden ist und Missverständnisse großteils ausgeräumt werden konnten. Es herrscht der gute Wille vor, angesichts der großen Sorgen auf unserem Kontinent einen Konsens zu erzielen, um wirklich etwas ändern zu können.

Das Gespräch führten Birgit Zehetmayer und Leo Gabriel.

Befreiungstheologe im (Un-)Ruhestand

Stetes Ärgernis der Mächtigen, verehrter Prophet im Kampf um Gerechtigkeit der indigenen Völker, hat Bischof Samuel Ruiz, jahrzehntelang Leiter der Diözese von San Cristóbal de las Casas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, eine nicht unumstrittene Rolle im Weinberg des Herrn gespielt. 1968 sah sich Samuel Ruiz durch das Zweite Vatikanische Konzil ermuntert, mit anderen lateinamerikanischen Bischöfen die "Theologie der Befreiung" ins Leben zu rufen. SeinEintreten für eine Kirche als Option für die Armen lässt ihn in vieler Augen in der Nachfolge der tief verehrten lateinamerikanischen Helden der Befreiungstheologie stehen: Sergio Mendez Arceo von Cuernavaca, Mexiko, Camilo Torres, Kolumbien und den 1980 ermordeten Erzbischof Oscar Arnulfo Romero von El Salvador.

Sein größter Verdienst liegt wohl in seinem Geschick, unmittelbar drohende Gewaltausbrüche am Verhandlungstisch abzuwenden. Altbischof Don Samuel Ruiz ist international anerkannter Mediator, der 1994 gar das Interesse des Friedensnobelpreiskomitees hervorrief, als ihm trotz widriger Umstände gelungen war, ein Abkommen mit der mexikanischen Regierung auszuhandeln, das vertriebenen indigenen Völkern in Chiapas ein Leben in Frieden ermöglichen sollte. 75jährig hat der vehemente Vertreter des gewaltlosen Widerstands den wohlverdienten Ruhestand angetreten ohne jedoch das Predigen für Gerechtigkeit zu unterlassen. In dieser Mission besuchte Bischof Samuel Ruiz kürzlich Österreich.

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