"Indios waren erste Landbesitzer"

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Mit "Kultur des Todes" meinte der Papst in Mexiko nicht nur Abtreibung und Euthanasie, sondern auch Todesstrafe und Ausbeutung.

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Mit "Kultur des Todes" meinte der Papst in Mexiko nicht nur Abtreibung und Euthanasie, sondern auch Todesstrafe und Ausbeutung.

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Journalisten-Smalltalk im Flugzeug von Rom nach Mexico City. Mit zwei Antworten sorgte der Papst für Schlagzeilen, lang bevor die Maschine in Mexiko landete. Eine bezog sich auf den Konflikt im südmexikanischen Chiapas. Die andere auf die sogenannte "Indio-Theologie". Beide Themen haben viel miteinander zu tun.

Es war die vierte Mexikoreise Karol WojtyÚlas. Die Zeitungen erinnerten stolz daran, daß seine erste Pastoralreise 1979 ebenfalls nach Mexiko geführt hatte. Damals, in der Begegnung mit Indios und den Begeisterungsstürmen der Mexikaner, sei der Entschluß Johannes Pauls II. gereift, ein Reisepapst zu werden. Das Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat hat sich seit damals von Grund auf gewandelt. 1992 gab die alles beherrschende Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) ihre antiklerikale Grundhaltung weitgehend auf und befreite die Kirche von einer fast josefinistisch anmutenden Gängelung.

Thema Chiapas: 1994 vermummten die verarmten Bauern von Chiapas ihre Gesichter und wagten den Aufstand. Sie erinnerten sich an die Losung des legendären Bauernführers in der Revolution, Emiliano Zapata: "Tierra y libertad", "Land und Freiheit". Die Regierung antwortete mit militärischer Gewalt. Seither ist ein latenter Bürgerkrieg im Gang. Das Massaker von Acteal, dem im Dezember 1997 45 Bauern zum Opfer fielen, ist bisher trauriger Höhepunkt einer dramatischen Entwicklung. Auf Chiapas angesprochen, empfahl der Papst im Flugzeug-Interview den Dialog und erinnerte daran, daß die Indios die ersten Besitzer des Landes gewesen seien.

"Land und Freiheit!"

Noch eine Diskussion entfachte der Papst bereits im Flugzeug: Genüßlich zitierten regierungsnahe Medien, er habe sowohl die Theologie der Befreiung als auch die sogenannte "Indio-Theologie" des Marxismus bezichtigt. Dieser Eindruck sei durch eine etwas unglückliche spanische Ausdrucksweise sowie durch unvollständige Zitation entstanden, hielten bald Experten dagegen. Soziallehre-Experte German Araujo Mata zum Beispiel sah es als gutes Recht des Papstes an, Ideologien von der Theologie fernzuhalten. Aber die Theologie der Befreiung sei heute kein einheitliches Gebilde mehr und habe in vielen ihrer Spielformen auf den Marxismus längst verzichtet. Der Theologe Eleazar Lopez wiederum, selbst Zapoteke, verwies darauf, daß eine Indio-Theologie Jahrtausende der Tradition der amerikanischen Ureinwohner und nicht den Marxismus im Blick habe. Es gehe darum, die Lebens- und Glaubenserfahrung der Indios für ein Gespräch mit dem katholischen Glauben fruchtbar zu machen. Eleazar Lopez ortet in ganz Amerika ein neues Selbstbewußtsein der indigenen Völker - nicht zuletzt als Folge früherer Papstbesuche. Daß die Indios ihre vorkoloniale Glaubensgeschichte nicht mehr mit Begriffen wie "Polytheismus" und "Vorstufe" abtun wollen, sondern ihre naturverbundene Transzendenz der Nomadenzeit mit christlichen Vorstellungen in einen echten Dialog bringen wollen, ist die eine Seite.

Aber Lopez sieht dieses neue Selbstbewußtsein auch in Chiapas am Werk. Der Zapatisten-Aufstand geht aus seiner Sicht in seiner Bedeutung weit über Mexiko hinaus. Hier verweigere sich ein Volk dem neoliberalen Wirtschaftsprojekt der Globalisierung, deutet Lopez. 26 Millionen Mexikaner leben schätzungsweise unter der Armutsgrenze. Der Freihandelsvertrag NAFTA mit den USA und Kanada hat unter anderem zur Folge, daß die USA billige mexikanische Arbeitskräfte in ausgelagerten Betrieben (Maquilas) heranziehen und ein Heer von rechtlosen working poor erzeugen. Genau zu diesem Zeitpunkt, so Lopez, appellieren die Indios von Chiapas an die Nation, ihre Identität nicht zu verlieren. Zu dieser Identität aber gehöre notwendig zweierlei: Land und Freiheit, tierra y libertad.

Trotz Krankheit wirkte der Papst kräftig und überzeugend. Der Jubel, der ihn auf Schritt und Tritt begleitete, kannte keine Grenzen. "Wir wollen den Papst sehen", skandieren die Menschen, " oder: "Jan Pablo / segundo/ te quiere todo el mundo!" (" ... dich will die ganze Welt!"). 3000 Journalisten verfolgen das Ereignis.

Jubel auch bei der Jungfrau von Guadalupe. Die "dunkle" Muttergottes, die bei ihrer Erscheinung das Indio-Idiom Nahuatl verwendete, trägt Züge einer aztekischen Fruchtbarkeitsgöttin. Erst diese doppelte Identität hat den Einheimischen den Weg zum Katholizismus geebnet. Ein gut gewählter Ort für einen Appell an die Kirche ganz Amerikas. In Guadalupe promulgierte der Papst das Schlußdokument der gesamtamerikanischen Bischofssynode von 1997 "Ecclesia in America". Es ist ein Dokument mit Sprengkraft. Neben theologischen Grundsatzerwägungen nennt er "soziale Sünden, die zum Himmel schreien" beim Namen. Es beklagt die negativen Folgen der Verstädterung, der Korruption, des Drogenhandels, der Naturzerstörung oder der drückenden Auslandsverschuldung.

Der Papst drängt auf Versöhnung der indigenen Völker mit den Gesellschaften, in denen sie leben. Er identifiziert die Globalisierung als Wurzel vieler Übel, mahnt statt dessen zu einer "Globalisierung der Solidarität" und fordert Maßnahmen gegen die Verschuldung. Zur "Kultur des Todes" zählt er nicht nur Abtreibung und Euthanasie, sondern auch die Todesstrafe. Mit allem Nachdruck fordert er ihre Abschaffung. Manches liest sich, als hätten Indio-Theologen mitgeschrieben.

Papst und Pepsi-Cola Neben viel Applaus gibt es auch Kritik. Jesuitenpater Roberto Guevara zum Beispiel, der mehrere Initiativen für arme Leute gerufen hat, vermutet hinter dem Papstbesuch ein riesiges Geschäft, an dem vor allem die Multis verdienen würden. Tatsächlich erscheint es eigenartig, daß der Papst vor Neoliberalismus und Globalisierung warnt, sein Konterfei aber auf einem Werbeplakat für Pepsi-Cola erscheint. Slogan: "Mexiko es siempre fiel", Mexiko ist immer treu. Wem? Außerdem kritisiert P. Guevara, daß niemand von den tatsächlich Unterdrückten Zugang zum Papst erhalte. Indios aus Chiapas, aus Guerero, aus Oaxaca: "Der Papst will sie nicht hören", sagt Guevara.

Dennoch: Der Papst beeindruckte. Mit einer Million Menschen feierte er Gottesdienst. Er traf mit Staatschef Zedillo und Diplomaten zusammen, besuchte ein Krankenhaus und feierte mit Jugendlichen im Aztekenstadion. Es waren kräftige Lebenszeichen: des alternden Mannes aus Rom, der katholischen Kirche des Landes wie des Kontinents - Lebenszeichen aber auch der indigenen Völker, die einer Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen nicht mehr länger zusehen wollen. "Ecclesia in America" richtet sich auch an die "Ecclesia in Europa".

Die Mehrheit der Katholiken lebe außerhalb Europas, spekulierten am Ende einige Medien. Könnte da nicht der nächste Papst ein Lateinamerikaner sein? Miguel Angel Alba Diaz, der Weihbischof von Oaxaca, zu diesem Thema: "Wer hätte vor 20 Jahren vorhergesehen, daß ein Pole der nächste Papst sein würde? Wir stehen möglicherweise vor Überraschungen, die uns der Heilige Geist bereitet."

Der Autor ist Religionsjournalist im ORF-Fernsehen.

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