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Cristobal Colon und die Folgen

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„Tierra! Tierra!" tönte es vom Auslug der Karavelle „Pinta" in der Dämmerung des 12. Oktober 1492, und Cristobal Colon (später Christoph Columbus) wähnte sich am Ziel seiner Suche nach „las Indias". Die Bahama-Inseln und damit Amerika waren entdeckt.

Im Rückblick nach 500 Jahren erinnert das Rendezvous zweier Kulturen an den Zusammenfluß der großen Wasser bei Manaus im Urwald Nordbrasiliens, wo der hellbraune Rio Solimöes und der dunkle Rio Negro zunächst jede Vermischung verweigern: „zwei Titanen im Kampf, überrascht von ihrer plötzlichen Begegnung", wie der Dichter Alcides das Naturschauspiel der Vermählung zweier Ströme zum Amazonas in den „Poemas da Ägua e da Terra" besingt. „Später erst freundliche Umarmung, Frieden und Ballung der Energien..." ,

Ob die Entdeckung Amerikas in der Art, wie die spanische Conqui-sta und ihre Nachahmer sie betrieben, Befreiung oder Unterjochung, Evangelisierung oder Zerstörung war, wird in diesem Jubiläumsjahr härter denn je weltweit diskutiert. Bei der 16. Weltkonferenz katholischer Publizisten (UCIP) in Campos do Jordäo nahe Säo Paulo mußte eine Resolution zurückgezogen werden, weil eine Einigung unmöglich war. Stolze Spanier, aber auch Lateinamerikaner ertrugen selbst maßvolle Formulierungen über die Notwendigkeit ausgewogener Kommentierung nicht. „Hat es denn nur Schatten- und keine Lichtseiten gegeben?" fragten sie erzürnt.

Die Schattenseiten sind heute in aller Munde: Ausrottung von Millionen Indios, Einführung der Sklaverei, Ausbeutung des Landes, Zerstörung von Kulturen. Natürlich gab es auch Licht: die Indio-Verteidigung durch Bischof Bartolome de Las Casas und andere Missionare wie Fray Antonio Montesinos, Antonio Valdivieso, Martin Porres, Petrus Claver, die Verpflanzung der Frohbotschaft in eine Kultur, die (wie jene der Azteken in Mexiko) kultische Menschenopfer praktizierte.

Dennoch, 500 Jahre später ein tragisches Bild: von einem „katholischen Kontinent" keine Rede, lebendiger denn je afro-brasilianische Zauberkulte, Massenanfälligkeit für „christliche" Sekten, spektakulärer Mangel an Priestern (die im übrigen noch immer zu mehr als der Hälfte europäischer Abstammung sind), und unvorstellbares Elend.

Das Positive heute: Im Vorfeld und vielfach überhaupt allein im Kampf gegen soziales Leid steht heute die katholische Kirche. Ihre „Option für die Armen" ist unwiderruflich. Das haben katholische Journalisten von Bischöfen und Priestern in ganz Brasilien dieser Tage immer wieder versichert bekommen. Aber Grund für festliche Triumphe besteht wahrhaftig keiner - eher schon für die demütige Erkenntnis, wie schrecklich auch die amtliche Kirche jahrhundertelang irren kann. Und wie lange es noch dauern wird, bis die Begegnung der Ströme zu „freundlicher Umarmung, Frieden und Ballung der Energien" geworden sein wird.

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