"Der Kaffee sichert unser Überleben"

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In der mexikanischen Provinz Chiapas kämpfen die Kaffeebauern ums Überleben. Jetzt beginnen sie sich zu organisieren. Sie wollen einen gerechteren Preis für ihre Arbeit.

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In der mexikanischen Provinz Chiapas kämpfen die Kaffeebauern ums Überleben. Jetzt beginnen sie sich zu organisieren. Sie wollen einen gerechteren Preis für ihre Arbeit.

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Der Kaffee hilft uns nicht, reich zu werden, aber er ermöglicht es uns zu überleben. Wir sind wirklich sehr genügsam. Außer dem Kaffee gibt es hier keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Wir arbeiten hart - und müssen billig verkaufen. Und das Wenige, das wir verdienen, muss ein ganzes Jahr lang zum Leben reichen."

Joaquin Santis Lopez ist ein Maya-Tzeltal und Landwirt in Oxchuc, einer kleinen Ortschaft der mexikanischen Provinz Chiapas. Der 30-Jährige ist einer der ganz wenigen dieser Region, die gut spanisch sprechen und ist stolz darauf, ein bisschen lesen zu können. Als Sprecher der Kaffee-Kooperative "Ernesto Che Guevara" kam er nach Europa, um einen fairen Preis für die Ernte zu verhandeln.

Die Anbau- und Vermarktungsverhältnisse des Kaffees illustrieren in beredter Weise die sozio-ökonomischen Lebensbedingungen der chiapanekischen Kleinbauern. Denn die Kaffeebohne ist die einzige namhafte Handelsware tausender Kleinbauern und andererseits das einzige agrarische Produkt, dessen Welthandelswert an der New Yorker Warenbörse festgelegt wird. Dadurch ist das Schicksal unzähliger Klein- und Kleinstbauern direkt an die Schwankungen der neoliberalen Weltwirtschaft geknüpft.

Die Groß- und Zwischenhändler, aber auch die sogenannten "coyotes", die den Kaffee von den Kleinbauern direkt kaufen, verdienen im Kaffeegeschäft im Vergleich zu den eigentlichen Produzenten ein Vielfaches des Preises.

"Wir wollen doch nur einen gerechteren Preis für unsere Arbeit erzielen", sagt der junge Indio. Gemeinsam mit 26 anderen Familien hat er begonnen, sich in einer kleinen Kooperative zu organisieren, die sie "Ernesto Che Guevara" nannten. Für die Kooperative macht sich Joaquin Santiz Lopez seit einigen Jahren regelmäßig auf den Weg in die Provinzhauptstadt und auch nach Mexiko City, um die Margen der Zwischenhändler zu umgehen. "Die Anfänge meiner Verhandlungstätigkeit waren sehr schwierig", erzählt der junge Indio, "denn wir haben alle Angst, mit Mestizen oder gar mit Weißen zu sprechen."

Die Situation der Indios in Chiapas ist präkär: fast drei Viertel der Kinder sind unterernährt, knapp 80 Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zum öffentlichen Gesundheitsdienst, mehr als 60 Prozent der Bevölkerung über 30 Jahren hat die Grundschule nicht abgeschlossen. Obwohl 60 Prozent der aus Wasserkraft gewonnenen Energie Mexikos aus Chiapas stammen, haben 34 Prozent der indigenen Bevölkerung keinen Stromanschluss, 42 Prozent verfügen über kein fließendes Wasser und ebensoviele haben keine Kanalisation.

Angst bei den Indios Am 1. Jänner 1994 kam es zum Aufstand. Chiapas, der südöstlichste Bundesstaat Mexikos an der Grenze zu Guatemala, machte international Schlagzeilen, als sich die Guerillabewegung "Zapatistische Nationale Befreiungsarmee", kurz EZLN, unter ihrem legendären Führer "Subkommandante Marcos" mit Forderungen nach sozialen Reformen und mehr Rechten für die indianischen Ureinwohner gegen die Regierung erhob.

Seit dem Beginn des Aufstandes hat die Regierung ihre militärische Präsenz in der Provinz ständig verstärkt und die Anzahl der Soldaten kontinuierlich erhöht. Die indianische Bevölkerung lebt in Angst und Schrecken. Hunderte Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, kamen seit dem Beginn des Aufstandes ums Leben. Tragische Bekanntheit erreichte unter anderen der kleine Ort Acteal, in dem 45 betende Zivilisten ermordet wurden.

Bei den Präsidentenwahlen im vergangenen Juli kam es - nach 71 Jahren - zu einem historischen Machtwechsel. Anfang Dezember trat der siegreiche Kandidat der oppositionellen "Partei der Nationalen Aktion", Vincente Fox, das Präsidentenamt an. Er versprach, den Dialog mit der EZLN wieder aufzunehmen und die Lösung des Konfliktes in Chiapas zu einer der Prioritäten seiner Regierung zu machen.

Die politische Situation spiegelt sich auch im Kaffeepreis wider: 1993 beispielsweise, ein Jahr vor dem bewaffneten Aufstand der Indigenas in Chiapas, erhielt ein kleinbäuerlicher Kaffeeproduzent im Durchschnitt 1,5 Peso für ein Kilo Kaffee.

Verhandlungs-Tour 1994, im Jahr des zapatistischen Aufstandes, stieg der Preis auf bis zu 30Peso pro Kilo. Heuer, sechs Jahre nach dem Aufstand, der nicht zufällig mit dem Inkrafttreten des nordamerikanischen Wirtschaftsabkommen "NAFTA" zusammenfiel, ist der Preis auf durchschnittlich 7 Peso pro Kilo Kaffee gesunken.

"Der Kaffee ist unser Leben, unsere einzige Einnahmequelle. Deshalb bin ich hier, um einen fairen Preis zu verhandeln. Darüberhinaus habe ich die Hoffnung, dass die politischen und sozialen Probleme in Chiapas in Zukunft auf friedliche Weise gelöst werden", sagt Joaquin Santiz Lopez. Nach Österreich kam der Maya-Tzeltal über Vermittlung von "Kinoki", einem "Verein für audio-visuelle Selbstbestimmung", der seit einigen Jahren ein Wanderkino in Chiapas betreibt und gemeinsam mit den Indigenas mit dem Medium Film arbeitet. Hier in Europa möchte der junge Indio mit einigen großen Kaffeeimporteuren direkt verhandeln. Das Ziel ist ein "fair trade", ein fairer Preis und Handel, seines Produktes.

Nur ein Prozent des europäischen Kaffeeimports ist Biokaffee, der direkt von den Produzenten gekauft wird. Das macht es auch den großen Kooperativen schwierig, da dies nur einen Bruchteil ihrer Ernte ausmacht und generell keine Kaufzusagen gemacht werden. Kleinere Kooperativen wie "Ernesto Che Guevara" fallen normalerweise unter die Wahrnehmungsgrenze.

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