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Am 31. Juli spricht der Papst in Guadalupe Juan Diego heilig. Mexikos Indios hoffen auf Anerkennung, die Regierung macht aus Diego dagegen einen Europäer.

"Nichts soll dich erschrecken, nichts dich betrüben; ... bin ich denn nicht hier? Ich, deine Mutter?"

Zehn Jahre nach der Eroberung Mexikos erschien - so erzählt die Legende - eine wunderschöne junge Frau einem Indio namens Juan Diego auf dem Hügel von Tepeyac, heute längst ein Teil von Mexiko-City. "1531, zu einer Zeit, als ernsthafte Diskussionen geführt wurden, ob die (Ur-)Einwohner Amerikas als Menschen einzustufen wären und ob sie eine Seele hätten, stellt sich die Mutter des Gottes unserer Eroberer einem Indio als Mutter vor", sagt die in Österreich lebende Mexikanerin Gabriella Legaspi de Csáky-Pallavicini: "Das ist unglaublich! Und das war so ganz anders als die Missionsversuche der spanischen Konquistadoren! Mit diesen Worten wurden wir angenommen, wie wir sind. Alle Mexikaner identifizieren sich mit Juan Diego. Er repräsentiert unsere mexikanische Identität!"

Zentralfiguren des Volkes

Der Indio Juan Diego wird am 31. Juli vom Papst heilig gesprochen. Für viele der Bewohner Mexikos, dem nach Brasilien zweitgrößten katholischen Land der Erde, ist das ein Grund zu großer Freude. In dieser Freude schwingt Genugtuung über diese Anerkennung der eigenen Geschichte und Identität mit.

Juan Diego war ein Chichimeke und wurde um 1474 geboren; vor seiner Taufe hiess er Cuauhtlatoatzin. Viermal soll ihm die Gottesmutter im Dezember 1531 erschienen sein. Die Legende erzählt, dass sie Juan Diego bat, zum Bischof zu gehen und diesem auszurichten, man möge auf dem Hügel eine Kapelle errichten. Bischof Zumárraga aber schenkte dem Indio keinen Glauben. Die Gottesmutter wiederholte ihre Bitte, aber diesmal sollte der Indio mitten im Winter auf dem Hügel Rosen pflücken und sie dem Bischof mitbringen. Als nun der Indio im Hause des Geistlichen seinen Mantel, seine Tilma, öffnete, da fielen die Rosen zu Boden und auf der Innenseite des Kleidungsstückes erschien das Bild der schönen Frau, die Juan Diego auf dem Tepeyac gesehen hatte.

Die Kapelle, die der Bischof daraufhin bauen ließ, wurde längst durch größere Bauten ersetzt, die Jungfrau von Guadalupe von Papst Pius XII. zur "Königin von Mexiko und Herrscherin und Patronin von Nord- und Südamerika" ernannt. Guadalupe wurde zum größten Marienwallfahrtsort der westlichen Hemisphäre, Millionen Menschen strömen jährlich allein am Festtag, dem 12. Dezember, in die 1974 neu errichtete riesige Basilika. 1990 wurde der Indio Juan Diego von Johannes Paul II. selig gesprochen - nun folgt die Heiligsprechung.

"Alle Mexikaner sind Verehrer der Jungfrau von Guadalupe und von Juan Diego, aber nicht notwendigerweise praktizierende Katholiken", ist eine stehende Redewendung im Land. Die Jungfrau von Guadalupe und Juan Diego sind zentrale Figuren der mexikanischen Volksfrömmigkeit. Das Bildnis der Jungfrau ist allgegenwärtig: nicht nur in den Kirchen wird ihr Bild auf meist reich mit Blumen geschmückten Altären verehrt, vor denen die Gläubigen Kerzen anzünden, man findet sie auch auf Busbahnhöfen, in Pensionen und Restaurants, in Privathäusern, in Autos, Bussen und Lastwägen, als Schlüsselanhänger, Schmuckstück und Abziehbild.

Pilgerströme aus ganz Mexiko ziehen tagtäglich zum Gnadenbild der Gottesmutter in der Basilika von Guadalupe. Schwangere weihen ihr ihre Ungeborenen, neugeborene Buben werden 40 Tage, kleine Mädchen drei Monate nach der Geburt von ihren Eltern zu ihr gebracht.

Sogar Prostituierte kommen

Indios tanzen in ihren bunten Trachten, Männer im dunklen Anzug statten der Gottesmutter einen kurzen Besuch ab, bevor sie einen geschäftlichen Termin einhalten, Jugendliche kommen vor dem Unterricht hierher, und man sagt sogar Dieben und Prostituierten nach, dass sie zur "Virgén morena", zur dunkelhäutigen Jungfrau, kommen, um für einen guten "Geschäftsgang" zu beten.

An dem Ort, wo heute die Basilika steht, verehrten die Azteken vor der Ankunft der Spanier Tonantzin, ihre Erd- und Muttergottheit. Und dort, auf dem Tepeyak, sprach die schöne Frau den getauften Indio in seiner Muttersprache, dem Nahuatl, an und stellte sich als seine Mutter vor.

"Gottesmutter" und "Göttin"?

In der "Virgén de Guadalupe" verschmelzen die christliche Gottesmutter Maria und die aztekische Erd- und Muttergottheit Tonantzin. Diese "neue Göttin vom Tepeyac" verbindet die Traditionen der Alten und der Neuen Welt und wird so zum Symbol für einen gemeinsamen Neubeginn. "Wir haben eine Mutter", sagt Maria Guadalupe Moreno de Hofer. Die Mexikanerin ist seit mehr als 30 Jahren mit einem österreichischen Arzt verheiratet. "Juan Diego ist für uns etwas Besonderes, denn er ist das Zeichen, dass für und vor Gott alle Menschen gleich sind."

Die "Virgen de Guadalupe" wurde von der Patronin der Eroberer zur Fürsprecherin der Besiegten und schließlich zur "Mutter aller Mexikaner". So kommt ihr bei der Entwicklung eines nationalen Bewusstseins große Bedeutung zu.

Zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Jungfrau von Guadalupe nicht mehr nur Symbol der Eroberer, sondern schon so sehr im Glauben der Eroberten verwurzelt, dass die Virgén Morena als synkretistische Gottheit zum Symbol des Protestes gegen das Kolonialregime wurde - und dadurch eine paradoxe Situation entstand. Denn die Eroberer kämpften im Namen der christlichen Gottesmutter, doch auch die Aufständischen hatten sich das Bild der Gottesmutter auf ihre Banner geheftet und stürzten sich unter Anführung des Priesters Hidalgo mit dem Schlachtruf "Nieder mit der schlechten Regierung! ... Lang lebe die Religion! Lang lebe unsere allerheiligste Jungfrau von Guadalupe!" in die Auseinandersetzungen.

Die Jungfrau von Guadalupe wurde zum Symbol der Befreiung für alle, die sich als "Mexikaner", als Produkt der Vermischung zweier Kulturen, fühlten, wobei die Situation wirklich paradox war, da nicht nur Spanier und Kreolen, sondern auch die den Rebellen feindlich gesinnten Indios unter dem Banner der Gottesmutter kämpften.

Juan Diego, kolonialisiert

In Mexiko laufen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten anlässlich der Heiligsprechung von Juan Diego seit Monaten auf Hochtouren. Die Feier könnte zur größten Eucharistiefeier aller Zeiten werden: Manche rechnen dabei mit bis zu fünf Millionen Teilnehmern.

An der tristen Situation der heute lebenden Indios wird die Heiligsprechung Juan Diegos trotz mancher Hoffnungen allerdings kaum etwas ändern - und das offizielle Mexiko bemüht sich nach Kräften, aus dem Indio Juan Diego einen Europäer zu machen: In einem auch von der mexikanischen Botschaft in Wien verbreiteten Bulletin ist etwa zu lesen, dass die mexikoweit in Kinos und im TV gezeigten Videos den neuen Heiligen möglichst ohne erkennbares Gesicht darstellen sollen. Und wenn doch, dann müsse Juan Diego "europäische Gesichtszüge" aufweisen - "mit Bart, Schnurrbart und kastanienbraunem langem Haar".

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