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Scheel wird deutlich

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Der 46stündige offizielle Besuch des bundesdeutschen Außenministers und Vizekanzlers Walter Scheel in Madrid ist dazu angetan, das offizielle wie auch das politisch andersdenkende Spanien zu einer Neubewertung seiner Einschätzung gegenüber der Bundesrepublik zu veranlassen. Weder kann Madrid die bisherige Illusion einer tatkräftigen deutschen Unterstützung seiner Anschlußbemühungen an die EWG aufrechterhalten noch massive offizielle Wirtschaftshilfe für seine Entwicklungsprojekte erwarten. Selbst seine zähen Bemühungen, der Welt den Liberalisierungswillen des Regimes zu beweisen, dürften fehlgeschlagen sein. Aber auch der Opposition zeigte Scheel die kalte Schulter.

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Der 46stündige offizielle Besuch des bundesdeutschen Außenministers und Vizekanzlers Walter Scheel in Madrid ist dazu angetan, das offizielle wie auch das politisch andersdenkende Spanien zu einer Neubewertung seiner Einschätzung gegenüber der Bundesrepublik zu veranlassen. Weder kann Madrid die bisherige Illusion einer tatkräftigen deutschen Unterstützung seiner Anschlußbemühungen an die EWG aufrechterhalten noch massive offizielle Wirtschaftshilfe für seine Entwicklungsprojekte erwarten. Selbst seine zähen Bemühungen, der Welt den Liberalisierungswillen des Regimes zu beweisen, dürften fehlgeschlagen sein. Aber auch der Opposition zeigte Scheel die kalte Schulter.

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Die konstruktive und geradezu herzliche Atmosphäre, die Scheels Gespräche mit Staatschef Franco, Regierungsvizepräsident Admiral Carrero Blanco und Außenminister Lopez Bravo kennzeichnete, und in der völlige Ubereinstimmung über weltpolitische Fragen, wie die Ostpolitik der beiden Regierungen, das Sicherheitsproblem im Mittelmeer und den Nahostkonflikt erreicht wurde, kann kaum darüber hinwegtäuschen, daß der Besuch des deutschen Außenministers für Madrid eine herbe Enttäuschung bedeuten muß. Erstmalig hat ein offiziell eingeladener Außenminister vor der Auslands- und Inlandspresse erklärt, daß die politische Struktur Spaniens eine weitere Annäherung an die EWG — sei es in Form eines Beitritts oder einer Assoziation — unmöglich mache. Bisher wurde dieser grundlegende Punkt des Römer Vertrags, der dem spanischen Regime selbstverständlich gegenwärtig ist, stets taktvoll übergangen. Wenn Scheel erklärte, daß der Präferenzvertrag zwischen Spanien und der EWG, der im Juli mit reichlicher Verspätung zur Unterzeichnung gelangen soll, einen ersten Schritt zur europäischen Einigung darstellt, und daß Spanien durch seine strategische Schlüsselstellung im Mittelmeer für die Sicherheit Europas wichtig ist, so ist dies immerhin ein Trostpflaster. Enttäuscht dürfte Spanien über die Aufgliederung des 200-Millionen-DM-Kredits für den Tajo-Segura-Kanal sein. Denn die Bundesregierung ist nur bereit, 40 Millionen zum niedrigen Zinssatz von zwei bis drei Prozent aus bundeseigenen Mitteln aufzubringen. Eine weitere Enttäuschung bildet das bereits in der Presse als perfekt dargestellte Schützenpanzergeschäft, das die Lieferung von 200 Einheiten vom Typ „Leopard“ an Madrid vorsah. Scheel erklärte der Presse klipp und klar, daß er kein Panzerverkäufer sei und daß dieses Thema in seinen Gesprächen mit spanischen Regierungsmitgliedern überhaupt nicht berührt wurde.

Selbst das aufsehenerregendste Ereignis des Scheel-Besuches ist mit einer gewissen Enttäuschung verbunden: seine in der deutschen Botschaft durchgeführte Unterredung mit vier Vertretern der spanischen Opposition. Zu diesem Zweck hatte das Bonner Außenamt eine neun Personen umfassende Liste spanischer Oppositioneller über seine Botschaft in Madrid vorgelegt. Sie wurde von dem damaligen Unterstaatssekretär im Madrider Außenministerium und kürzlich zum Minister für öffentliche Arbeiten ernannten Gonzalo Fernandez de la Mora entschärft. Übrig blieben der Sozialist Professor Tierno Galvän, der ehemalige Erziehungsminister unter Franco und heutige Christdemokrat Ruiz-Gime'nez und die beiden liberalen Monarchisten Satrustegui und der ehemalige Botschafter Francos und Ministerpräsident des im Vorjahr aufgelösten Schattenkabinetts Don Juans von Bourbon, Areilza. Das Treffen mit ihnen diente Scheel nach seinen eigenen Worten „zur Erweiterung seiner Informationsbreite über Spanien“, und seinen Gesprächspartnern die Tatsache, daß sie mit Erlaubnis der deutschen Botschaft an deren Eingang photogra-phiert wurden, zu der Auslegung, daß die spanische Opposition damit ausdrücklich von der Bundesrepublik anerkannt worden sei. Dieses Plus für die Oppositionellen wird jedoch durch Scheels Weigerung, ein von ihnen ausgearbeitetes Dokument anzunehmen, in dem freie Wahlen, Gewerkschafts- und Parteienfreiheit und eine Amnestie für politische Häftlinge als unabdinglich für Spaniens Eingliederung in Europa gefordert werden, zur Bedeutungslosigkeit entwertet.

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