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Die Arbeiterpriester 1969

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Am 3. Juli 1959 richtete Kardinal Pizzardo, damals Vorsitzender des heiligen Offiziums, einen Brief an die französischen Bischöfe und ersuchte, die sogenannten Arbeiterpriester zurückzurufen und das mit großer Hoffnung begonnene Experiment zu beenden. In diesem Schreiben drückte der Vatikan unmißverständlich sein Urteil über diese Einrichtung aus: „Um die Werktätigen zu evangelisieren, ist es nicht notwendig, Priester als Arbeiter in die Fabriken zu entsenden. Dadurch erscheint das traditionelle Konzept des Priestertums gefährdet. Der Priester hat mit dem Wort zu wirken und nicht durch manuelle Tätigkeit. Die Arbeit in den Fabriken und auf den Baustellen hat nichts mit dem Leben und den Verpflichtungen eines Priesters zu tun. Durch das Wirken in der Fabrik würde der Priester dem Einfluß eines gewissen Milieus unterliegen. Es bestände die Gefahr, in einer materialistischen Atmosphäre unterzugehen, das geistige Leben und dię Keuschheit einzubüßen. Wäre er nicht gezwungen, an Klassenkämpfen teilzunehmen?“

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Am 3. Juli 1959 richtete Kardinal Pizzardo, damals Vorsitzender des heiligen Offiziums, einen Brief an die französischen Bischöfe und ersuchte, die sogenannten Arbeiterpriester zurückzurufen und das mit großer Hoffnung begonnene Experiment zu beenden. In diesem Schreiben drückte der Vatikan unmißverständlich sein Urteil über diese Einrichtung aus: „Um die Werktätigen zu evangelisieren, ist es nicht notwendig, Priester als Arbeiter in die Fabriken zu entsenden. Dadurch erscheint das traditionelle Konzept des Priestertums gefährdet. Der Priester hat mit dem Wort zu wirken und nicht durch manuelle Tätigkeit. Die Arbeit in den Fabriken und auf den Baustellen hat nichts mit dem Leben und den Verpflichtungen eines Priesters zu tun. Durch das Wirken in der Fabrik würde der Priester dem Einfluß eines gewissen Milieus unterliegen. Es bestände die Gefahr, in einer materialistischen Atmosphäre unterzugehen, das geistige Leben und dię Keuschheit einzubüßen. Wäre er nicht gezwungen, an Klassenkämpfen teilzunehmen?“

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Die meisten Arbeiterpriester beugten sich damals dem Wunsche der Hierarchie und stellten sich ails Seelsorger spezialisierter katholischer Aktionen oder als Vikare den Pfarre'ien zur Verfügung. Einige lehnten trotzig die Vorschläge der Bischöfe ab und fanden meistens Stellungen in den Gewerkschaf tsorganisationen oder blieben weiterhin in den Betrieben. In der ersten Sitzungsperiode des Vatikanischen Konzils wurde die Idee von der französischen Bischofskonferenz im vollen Einvernehmen mit dem Vatikan wiederauf genommen und diskret fortgesetzt. Die Bischofskonferenz gab sich eine Probezeit von drei Jahren, um die Erfolge dieses Unternehmens zu begutachten und die Fortführung oder den eventuellen Abbruch zu entscheiden. Die Öffentlichkeit blieb uninformiert, und die Hierarchie erwartete von den „Priestern an der Arbeit“, daß sie weder vorwitzigen Journalisten Interviews gewähren noch eine politische Tätigkeit entfalten. Während die erste Periode entsprechend kommentiert und analysiert wurde, die Arbeiterpriester zu Romanhelden aufstiegen, Film und Fernsehen sichdamit beschäftigten, ist die gegenwärtige Entwicklung mit keiner Publizität verbunden.

Das Experiment „Priester an der Arbeit“ wurde von der Bischofskonferenz im November 1968 als positiv gewertet und ihr Einsatz in den Betrieben gutgeheißen. Diese Missionare der Industriegesellschaft haben sich ein eigenes Zentrum geschaffen: „La Mission Ouvriėre“, das den Diözesen bei Verwendung von Priestern an der Arbeit beratend zur Verfügung steht. Die Tätigkeit dieses Büros ist beachtlich. Regionale und nationale Studientagungen werden abgehalten, auf denen Erfahrungen ausgetauscht werden und Studienmaterial verteilt wird. Nach Angaben der Zentralorganisation arbeiten gegenwärtig 180 Priester ganztägig und 300 halbtägig in Fabriken. Meistens wird als Arbeitsplatz die Metallindustrie gewählt, manchmal Minen und Docks. Es zeigt sich fast unmöglich, in Dienstleistungsbetrieben wie Bahn und Post Kandidaten einzusetzen, da das Statut der Beamten selten Außenseiter zuläßt. In den fünfziger Jahren war der Arbeiterpriester auf sich allein gestellt und vermied denKontakt mit der zuständigen Pfarrei, die er als bürgerlich ablehnte. Zu dieser Zeit hatte die katholische Arbeiterbewegung ACO einen geringeren zahlenmäßigen und moralischen Einfluß als in den Jahren 1967 bis 1969. Gegenwärtig besteht fast in jedem namhaften Betrieb eine Zelle der ACO. Der Priester an der Arbeit ist vom ersten Tag seines Eintritts in die Fabrik in eine, wenn auch kleine Gesellschaft integriert. Es ist ihm untersagt, allein zu leben. In der Regel schließen sich zumindest drei Priester an der Arbeit zusammen, die entweder eine gemeinsame Wohnung beziehen oder ein Zimmer im selben Bezirk mieten. Eine der Behausungen wird dann zum Zentrum auserkoren, in dem sich die Brüder nach der Arbeit treffen, gemeinsam meditieren, die Erlebnisse des Tages austauschen und einander geistig stützen. Gerade diese Begegnungen werden als unerläßlich und ermutigend bezeichnet. Mitglieder der ACO, die Seelsorger der JOC und der Pfarrherr oder seine Kapläne nehmen an der abendlichen Gemeinschaft teil.

Die Kandidaten für dieses Amt sind sorgfältig ausgewählt und keine romantischen Kleriker, die einstens hilflos der Dialektik einer heidnischen und marxistischen Umwelt ausgeliefert waren. Vor dem 29. oder 30. Lebensjahr wird es einem Priester lediglich im Ausnahmefall gestattet, sich als Arbeiter zu verdingen. Die Bischöfe legen darauf Wert, daß der Aspirant für dieses Apostolat eine mehrjährige pastorale Erfahrung nachweist. In eigenen Seminaren werden sie mit den sozialen Thesen der Kirche, den Theorien des Marxismus und der Methode des Kommunismus vertraut gemacht.

Den Priestern an der Arbeit ist es erlaubt, in die Gewerkschaften, einschließlich der CGT, einzutreten. Meistens wird die frühere christliche Gewerkschaft CFDT bevorzugt, die seit Mai Juni 1968 politisch der PSU nahesteht. Gewisse gewerkschaftliche Funktionen können zusätzlich übernommen werden. In den letzten Monaten wurden mehrfach solche Geistliche in Betriebsräte gewählt.

Priester als Betriebsräte

Die Priester an der Arbeit sind durch eine autonome Kasse sozialversichert (L’ėpargne nationale des pretres au travail) und bestimmen ihre Delegierten, die in den Diözesen unabhängig von der Pariser Zentrale den Dialog mit den Bischöfen fortführen. Einer von ihnen erklärte mir: „Es ist mir unwichtig, wie viele Seelen ich gewonnen habe. Das zählt überhaupt nicht für mich. Ich möchte eine bescheidene Brücke sein zwischen der Welt der Arbeit und der Kirche. Meine Überlegungen gehen dahin, die Menschen in den Fabriken wieder zu Gott zu geleiten. Früher standen wir Priester in feierlichen Gewändern vor dem Altar. Zwischen uns und den Gläubigen schob sich ein Schleier aus Weihrauch. Jetzt erst weiß ich, wie die Menschen wirklich leben, und erkenne die Bedürfnisse der Arbeiter. Wie sieht es in den Familien aus, wenn sechs bis acht Personen in zwei winzigen Räumen hausen? Nun erst habe ich entdeckt, daß es Kinder gibt, die niemals Ferien genossen haben. Wer von uns beschreibt die Not der portugiesischen und nordafrikanischen Fremdarbeiter? Das ist eine Kultur- schände des 20 Jahrhunderts. Ich erforschte die Qual der Alten und die Schwierigkeiten eines Arbeiters,wenn er Wochen hindurch krank ist. Die Kirche war zu lange von diesem Milieu abwesend. Die bestehende Gesellschaftsordnung hat wunderbare Wohnpaläste und Residenzen geschaffen, aber wo sind die kulturellen und sportlichen Einrichtungen in der Bannmeile von Paris? Es kam mir zum Bewußtsein, daß Christus Seinen Aposteln eine Aufgabe gestellt hatte. Wir wollen nicht die Kommandos der Kirche sein, die von den Bischöfen gelegentlich nach einer geschickten Strategie in die Arbeiterklasse entsandt sind. Wir wollen in, Disziplin unserer Pflicht nachgehen und, mit entsprechender psychologischer Reife ausgestattet, die Umwelt von der Festigkeit unseres Glaubens überzeugen.

Es ist nicht Mitleid, das einer dem anderen entgegenbringt, sondern erlebte Brüderlichkeit. Glauben Sie, daß ein Bürger bereit ist, für seine Mitmenschen Zeit zu opfern, sein Familienbudget zu beschneiden oder gar einen beruflichen Aufstieg zu riskieren? Es herrscht unter den Arbeitern eine Großzügigkeit, die wirklich einmalig ist. In der Welt der Arbeit schenkt man, ohne an materielle Konsequenzen zu denken. Der Arbeiter zeigt einen gesteigerten •Sitin'für Gerechtigkeit. Er entwik- kelt eine beinahe mystische Hoffnung, daß eine kollektive Aktion die Arbeitsbedingungen verbessern werde. Ein Paradies auf Erden wird nie existieren, aber wir erwarten zumindest, daß man uns menschliche Würde zubilligt."

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