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Digital In Arbeit

Die Heiligen gehen wieder in die Hölle

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Kein Experiment der französischen Kirche löste solches internationales Interesse aus wie die Einrichtung von Arbeiterpriestern.

Der erste bekannt gewordene Fall eines „Priesterarbeiters“ (prėtre- ouvrier) ist der des Pater Loew, der sich als Docker im Hafen von Marseille betätigte und bedeutende Seelsorgeerfolge hatte. Aber erst, als Abbe Godin mit Unterstützung des Kardinals Suhard von Paris in Lisieux, später in Limoges ein Spezialseminar für die „Mission de France“ errichtete, in dem junge Priester mit den Problemen der Arbeiterschaft vertraut gemacht und für die Arbeitermission vorbereitet werden konnten, nahm das Experiment Formen an.

Die Begegnung mit dem Marxismus

Es war selbstverständlich, daß die Arbeiterpriester von Beginn ihrer Tätigkeit an mit jener geistigen Kraft in Berührung kamen, die dem Großteil der Arbeiter als der einzige Ersatz für ein geistiges Leben erscheint, nämlich den Marxismus.

In dieser Begegnung liegt die Wurzel gewisser Mißverständnisse und Fehler. Die Arbeiterpriester sprachen „Religion“, ihre Partner „Politik“, und die sehr jungen Priester, die zutiefst von der geistigen und materiellen Not, die sie umgab, erschüttert waren, ließen sich, mangels eingehender Kenntnis der marxistischen Dialektik und der Politik überhaupt, auf ein Gebiet führen, das mit ihrer eigentlichen Berufung nichts zu tun hatte.

Das Wirken der Arbeiterpriester strahlte aber noch in andere Richtungen aus: Es hat die Kirche und den priesterlichen Nachwuchs auf die Tragödie des modernen Menschen ohne Gott hingewiesen.

1951 schaltete sich der Vatikan ein und empfahl, von der Rekrutierung weiterer Arbeiterpriester Abstand zu nehmen. 1953 ergingen sehr verbindliche Richtlinien, die das Bestehen der Arbeiterpriester umschrieben.

Strenge Richtlinien aus Rom

Im folgenden Jahr wurden die Arbeiterpriester von den Bischöfen zurückgerufen. Einigen gestattete man aus besonderen Gründen die Weiterarbeit. 60 Priestern in kleinen Betrieben und Werkstätten genehmigten die Bischöfe ebenfalls die bisherige Form ihrer Tätigkeit. Von diesen Maßnahmen unberührt blieben die Priester, die sich als Heimarbeiter betätigten. Die Hälfte der Zurückberufenen folgte den Weisungen ihrer Oberen.

In sehr vorsichtigen Versuchen wurde die Idee weitergeführt. In der westlichen Bannmeile von Paris entstanden besondere Missionen, aus Arbeiterpriestern, Pfarrern und Mitgliedern der katholischen Arbeiterbewegung gebildet. Es durfte angenommen werden, daß Johannes XXIII., der als Nuntius in Paris sehr eingehend diese Problematik studiert hatte, das Experiment in gewisser Form wieder aufnehmen werde. Ein Brief des Kardinals Piz- zardo, zu dieser Zeit Sekretär des Heiligen Offiziums, an die französischen Bischöfe 1959 — von der Pari ser Presse stark kommentiert — beendete jedoch vorläufig die Einrichtung von Arbeiterpriestern.

„Priester an der Arbeit“

Diese Haltung des Vatikans fand erst durch das Konzil eine Auflockerung. Am 23. Oktober 1965 wurde plötzlich verkündet, daß die französischen Bischöfe im vollsten Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl autorisiert seien, „Priester an der Arbeit“ in Fabriken oder sonstige Arbeitsstätten zu entsenden, und zwar ganztägig.

Zwei Bischöfe unternahmen neben einer eigens gegründeten Bischofskonferenz die Verantwortung für die neuen „Priester an der Arbeit“, wie jetzt der offizielle Titel lautet: Kardinal Lefėbre und Monsignore Veuil- lot. Allerdings unterscheidet sich die Art dieses Auftrags sehr wesentlich von jenem, der im idealistischen Schwung einer Neuentdeckung vielfach die Grenzen überschritten hatte. Die Priester an der Arbeit wirken künftighin in einer Gemeinschaft, in der Union mit den Laien und gewissen Priestern, die auf Fragen einer derartigen Mission vorbereitet wurden, ohne selbst in die praktische Arbeit einzutreten. Eine enge Bindung zu den Vertretern der katholischen Arbeiterschaft wird organisch hergestellt. Die Priester an der Arbeit mögen die geistigen Bedürfnisse der Arbeiter erkennen, sie dürfen in gewerkschaftlichen Organisationen mitarbeiten, Mitglieder werden, es ist ihnen aber verboten, Ämter zu übernehmen oder an politischen Manifestationen teilzunehmen.

Diesmal wurde die Rolle der Priester sehr scharf umschrieben. Sie sollen bescheiden wirken, brüderliche Dienste erweisen und sind beauftragt, die kollektiven Probleme des arbeitenden Menschen zu erkennen.

Früher wurden die Arbeiterpriester von den Pfarreien ausgeschlossen. Sie begingen die Fehler, die Mitglieder dieser Pfarreien zu beurteilen, zu kritisieren, denn jeder Christ lebte in seinem Milieu. Jetzt wird den Priestern aufgetragen, die Gemeinschaft mit der Umgebung zu verstärken. Eine Trennung von Pfarre und Hierarchie wird ausgeschlossen. Es wurden Bindungen eingebaut, die Ausbildung der Kandidaten erfolgt während mehrerer Jahre in zahlreichen philosophischen und volkswirtschaftlichen Kursen unter der besonderen Berücksichtigung der Soziallehren der Kirche.

Wird der zweite Versuch Früchte tragen? Die Hierarchie gewährte für diesen Versuch eine Probezeit von drei Jahren, um darnach ernste und endgültige Schlußfolgerungen zu ziehen.

Wer die Begegnung mit Arbeiterpriestern in Erinnerung hat, ihr persönliches Drama verfolgte, folgt mit großer Aufmerksamkeit den weiteren Weg der 60 Kleriker, die eine besondere und einmalige Aufgabe übernehmen.

In der nächsten Folge: Die Bauern und die Studenten.

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