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Um die „weißen Heiden“

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Das wohl kühnste Experiment der modernen Seelsorge, die Missionierung der Arbeiterschaft inmitten ihres Milieus einfach durch Priester, die selbst Arbeiter wurden, schien vor einigen Jahren endgültig gescheitert. Disziplinlosigkeiten einiger Arbeiterpriester, die vorweg Arbeiter und nur mehr in zweiter Linie Priester sein wollten, ließen das ganze Experiment als aus-

sichtslos erscheinen, um so mehr, als auch die tatsächlichen Erfolge anfänglich erheblich hinter den Erwartungen zurückblieben und d,er Einbruch der Priester in das religiöse Niemandsland der französischen Arbeiterschaft keine merkbaren, bleibenden Erfolge aufwies.

So meinte man, als vor drei Jahren die bisherige Form der Evangelisierung der Arbeiter-

Tatsächlich aber wurde im Stillen das Bemü-; hen der Missionierung der Arbeiterschaft fort-5 gesetzt. Selbst der Primas von Frankreich, Kardinal-Erzbischof G e r 1 i e r, erlaubte es seinem eigenen Weihbischof, sich an die Spitze einer Gruppe von Arbeiterpriestern zu stellen. Der Bischof zog seine Soutane aus und tat seinen Dienst „milieukonform“ in einem blauen Schlosseranzug. An Stelle des Autos benutzte er ein altes Fahrrad. Auch in der Diözese Lille gab es weiterhin ArbeiterpriesSer. Sonst jedoch schien das große Werk, das bei dem besitzbürgerlichen Teil des französischen Katholizismus, wie man es so schön ausdrückte, „Aergernis erregt hatte“, liquidiert zu sein.

Aber nichts von dem. Die französische Kirche hatte in der Stille nicht nur festgestellt, wie großartig das Wirken der Arbeiterpriester in einer Arbeiterschaft gewesen war, die, wie man behauptet, nur mehr zu 3 Prozent kirchentreu ist, sondern sich bemüht, in einer anderen Form, aber mit der gleichen Zielsetzung das großartige Werk fortzuführen. In Paris wurde, auf Grund eines Beschlusses einer Tagung der französischen Kardinale und Bischöfe, die bisher verstreut durchgeführten, auf die Mission unter den Arbeitern gerichteten Werke zu koordinieren, ein „Nationales Sekretariat für die Arbeitermi-ssion“ errichtet. Der Leiter des Sekretariates wurde Kanonikus Bonnet, bisher schon Aumonier der Arbeiteraktion und der Arbeiterjugend. Was die neue Aktion, die von der notwendigen „Präsenz der Priester" inmitten des Arbeits- ’und Lebensmilieus der Industriearbeiterschaft ausgeht, von der ursprünglichen Form des Arbeiterpriesterexperimentes unterscheidet, ist gleichsam die neue Definition der Stellung des Arbeiterpriesters: Dieser soll zuerst und nicht am Rand Priester sein. Aus diesem Grund wurde die Bezeichnung „Arbeitermission“ gewählt. Aber auch die neue „Arbeitermission' soll so organisiert sein, daß ihre Mitglieder sich ihren Lebensunterhalt im Wesen durch eigene manuelle beziehungsweise Fabriksarbeit verdienen. Freilich ist die Arbeitszeit auf drei Stunden de Tag begrenzt, um die Gewichtigkeit des Priesterlichen im Wirken der Angehörigen der Mission zu betonen.

Derzeit besteht die neue Aktion der Missionierung der „weißen Heiden" bereits in sieben französischen Diözesen und verfügt über 255 Priester und 115 Seminaristen. Vielfach wurde versucht, das französische System der Inneren Mission in anderen Ländern bei den Arbeitern nachzuahmen. Ohne Erfolg. Auch das sollte beachtet werden: Der Grad der Verprole-

tarisierung der Arbeiterschaft auf der einen Seite und die versuchte Gleichsetzung von Großbürgertum mit Kirchenvolk auf der anderen Seite war kaum in einem anderen Land so offensichtlich und das Versagen der Kirche im Bereich des Sozialen kaum so arg wie in Frankreich. Das Laizismus Frankreichs war zudem so nachhaltig, daß tatsächlich bekennendes Christentum aus den Städten und aus den von einer neuen technischen Welt geschaffenen Agglomerationszentren verbannt zu sein schien. Daher war Frankreich als ein Ganzes bis zur Rehabilitierung der Kirche vorerst als intellektuelle Macht Missionsland, ln der Zwischenzeit hat die Kirche Frankreichs ihre Stellung als die Reprä sentanz des geistigen Frankreichs zu einem guten Teil zurückgewonnen. Nicht aber die Stellung als Volkskirche. Daher die fast aussichtslose Stellung der Kirche — als Kirche des Bürgers, als Denkmal einer vorrevolutionären Epoche — in der industriellen Welt des Landes.

Das System der Arbeiterpriester ist daher durchaus auf die französischen Verhältnisse angelegt und in der Art, wie es durchgeführt wird, nur in Frankreich möglich. Das sollte festgestellt werden, um nicht Illusionen aufkommen. zu lassen. Dazu noch in einer Zeit, in der die Arbeiterschaft deutlich ihren proletarischen Status aufgegeben hat und jenseits der Elendszonen sich niederlassen kann.

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