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Satter Wolf und ganze Ziege

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Von Chruschtschow zu Gomulka führt ein vertraulicher Weg. Sie treffen einander häufig bei den mannigfachen großen Parteikonferenzen. Stets tritt der polnische Erste Sekretär mit mehr als dem üblichen Eifer für den Standpunkt seines sowjetischen Genossen ein. Im Jänner war wieder eine derartige Begegnung erwartet worden, und zwar unter vier Augen in der Waldesstille eines Jagdhauses des Urwalds von Bialowieza. Zur allgemeinen Überraschung wurde die Entrevue mehrmals verschoben. Darüber begannen westliche Diplomaten und Journalisten in Warschau zu raunen, die schon vorher über eine sowjetische Verstimmung, nicht etwa gegenüber Gomulka, doch wider „unheilbare“ Westler, allerlei erzählten.

Es sind dabei zwei Dinge zu unterscheiden. Einerseits liegt Chruschtschow viel daran, daß von Polen aus Kontakte mit den angelsächsischen

Ländern, mit Frankreich und mit Skandinavien gepflegt werden. Diese Fühlung soll dem Koexistenzgedanken dienen und zugleich die eine der beiden, vom Kreml gleichzeitig oder abwechselnd betriebenen Offensiven verstärken: die gegen Bonn, das in Washington, London und Paris als Brutstätte künftiger Revanchekriege hingestellt wird und dem man zugleich die Untaten des Dritten Reiches rückschauend anlastet; dann die zweite Angriffsunternehmung, gegen die Westmächte, denen in Bonn eigennützige Ausbeutung Westdeutschlands zugunsten ihrer eigenen schwarzen Ziele vorgeworfen wird.

Gate Beziehungen und ihre Grenzen

Soweit und solange sich die polnischen Beziehungen zu den kapitalistischen Hauptländern in den von Moskau vorgeschriebenen Grenzen halten, ist alles in schönster Ordnung. Doch

die Russen, ja sogar die bestgesinnten Polen, werden nie ganz den Verdacht los, daß sie von den geschmeidigen Polen ums Ohr gehauen werden, und so wittert der Kreml hinter jedem Anzeichen zu herzlicher Annäherung an einen nichtkommunistischen Staat alsbald böse polnische Absichten.

Und das um so mehr, als die bösen Ansichten sogar polnischer Kommunisten den darob entsetzten Sowjetmenschen zu oft unter die Augen kommen. Wir denken da nicht etwa an die Begeisterung der Warschauer und Krakauer studierenden jnd nicht-studierenden Jugend für heißen Jazz, amerikanische Windjacken, amerikanische Tänze, Filme, Theaterstücke, noch an ähnliche Vorliebe des schönen Geschlechts für Moden und Modezeitungen, Romane und Chansons, die aus Frankreich importiert werden, doch an viel Bedenklicheres. Was soll man dazu sagen, wenn in einer Diskussion über die Freiheit der Wissenschaft nicht nur formal parteilose Gelehrte, die weltanschaulich sonst weit links stehen wie der Präsident der Akademie der Wissenschaften. Professor Kotarbinski, sondern auch kommunistische Parteimitglieder wie der Vizepräsident des kollektiven Staatsoberhaupts, der Rada Narodowa, Professor Oskar Lange, der Theoretiker des Marxismus, Professor Schaff, dann der aus Kanada zurückgekehrte weltberühmte Physiker Professor Infeld unverblümt heraussagen, daß sich die Wissenschaft und die Wissenschaftler bei ihren Forschungen nicht von der Partei dreinreden lassen sollen; wenn ein hochangesehener marxistischer Soziologe wörtlich in der führenden Tageszeitung ,,2ycie War-szawy“ schreibt: „In einem katholischen Land ist Toleranz gegenüber der katholischen Denkweise richtig und notwendig“? (Woraus indirekt das Zugeständnis hervorleuchtet, daß, wie der in dieser Hinsicht unverdächtige Professor Stanislaw Ehrlich zugesteht, Polen ein katholisches Land geblieben ist.)

Drei Affären mit Nachhall

Um nun Moskaus Mißbehagen und Mißtrauen zu entwaffnen, glaubt sich die Warschauer Regierung gezwungen, in einzelnen Fällen hart zuzugreifen, und sie verbrennt sich dabei zumeist die den Auftrag ungeschickt ausführenden Hände.

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