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Warten auf Monsieur K.

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Der Franzose scheint sich noch nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme zur Frankreichreise Chruschtschows durchgerungen zu haben. Das liegt natürlich zu einem erheblichen Teil am landesüblichen „Je-m'en-feutisme“ (schonend übersetzt: Wurstigkeit) gegenüber der Politik, der sich in der Fünften Republik nach einem anfänglichen Aufschwung nur noch verstärkt hat. Aber auch' in dem Bereich, in dem sich der Franzose durch die bevorstehende Riesenshow des Chruschtschow-Besuches politisch interessieren läßt, weiß er nicht recht, wie er sich verhalten soll. Einerseits schmeichelt es seinem Stolz, daß einer der drei mächtigsten Männer der Welt für 14 Tage in sein Land kommt. Aber anderseits entdeckt er doch auch, je näher der Besuch rückt, dessen problematische Seiten.

Die eine davon, das Sicherheitsproblem, dürfte allerdings nur einen begrenzten Kreis von Franzosen beunruhigen — darunter den für die Reise verantwortlichen Generalsekretär des Innenministeriums, Herrn M a i r e y, der kaum noch ruhig schlafen wird, bis Chruschtschow das Land wieder verlassen hat. Nicht nur lastet auf den französischen Polizeidiensten wie ein Alpdruck die Erinnerung daran, daß in Frankreich einmal ein fremdes Staatsoberhaupt auf einer ähnlichen Besuchsreise ermordet worden ist. (1934 wurde bekanntlich König Alexanderl. von Jugoslawien nach seiner Landung in Marseille zusammen mit dem französischen Außenminister erschossen.) Frankreich ist zudem seit einigen Jahren zu einem Land geworden, in dem Attentate und Sabotageakte fast etwas Alltägliches geworden sind.

Was den Franzosen aber viel mehr interessiert, ist der Umstand, daß Chruschtschow zum ersten Male ein westliches Land besucht, das eine große kommunistische Partei besitzt. Bis vor kurzem hat jeder fünfte französische Wähler (respektive jeder vierte, wenn man die zu Hause gebliebenen nicht mitzählt) der KPF seine Stimme gegeben. Und daß der gaullistische Einbruch in das kommunistische Stimmenreservoir nur ein vorübergehender Vorgang war, wird immer deutlicher. Seit die Fünfte Republik ihren Charme verloren hat, fließen die Wähler ins rote Becken zurück. Ein Symptom unter anderen waren die Gemeindewahlen des letzten Wochenendes in der bretonischen Stadt Quim-per und ihren Vororten: In dieser traditionell katholisch-konservativen Domäne hat die kommunistische Unterstützung der Sozialisten und der Radikalen die bisherige volksrepublikanisch-gaullistische Mehrheit auf vier von insgesamt 33 Sitzen zerrieben.

Droht da der Zug Chruschtschows durch die französischen Provinzen nicht zu einem Triumph der KP zu werden, die im Gast des Staatschefs ihren eigenen obersten Chef begrüßen und so ihrem „Ghetto“ entrinnen kann? Man war auf die Reaktion des „Figaro“ auf diese Sachlage recht gespannt. Wie würde sich dieses mit Hingabe konformistische Blatt zwischen seiner traditionellen Unterwürfigkeit gegenüber dem jeweiligen Regierungschef (sofern er nicht Mendes-France heißt) und seinem ebenso traditionellen Antikommunismus entscheiden? Nun, das Blatt gab die Parole aus, der Bürger möge sich dem Gast des Staatschefs gegenüber „eisig, aber höflich“ verhalten. Ein solches Verhalten wäre schon für einen Diplomaten keine leichte Aufgabe — wieviel mehr noch für die französischen Massen, die sich ganz gern ein Schauspiel im Stil einer 14.-Juli-Parade anschauen, auch wenn diesmal auf zwei Trikoloren eine rote Fahne kommt.

Vor allem aber will die KP durch die „eisige Höflichkeit“ einen dicken Strich machen. Sie will, samt allen ihr zugewandten Tarnorganisationen, ein ihrer Traditionen würdiges Massenaufgebot auf die Beine stellen, das. die Fahrt des obersten Kommunisten durch die französischen Straßen zu einem Volksfest ersten Ranges machen soll. Und zwar dies nicht zuletzt, wie böswillige Kommentatoren raunen, weil die französische Parteiführung in Moskau in den letzten Jahren nicht besonders gut angeschrieben war und darum sich einige Pluspunkte beim Boß erwerben möchte.

Nach Schätzungen der Rechten kann die KP Massen mobilisieren, die trotz de Umstandes, daß die Mehrheit der kommunistischen Wähler dies bloß aus Widerborstigkeit, nicht aus Überzeugung sind, recht beträchtlich sein dürften.

Allein die „Association France — UdSSR“, die keineswegs nur Kommunisten umfaßt, dürfte etwa 100.000 Mitglieder zählen. Berücksichtigt man, daß die zahlreichen kommunistisch verwalteten Gemeinden der Pariser Baniieue den Aufmarsch mit ihren Transportmitteln erleichtern können, so kommen so beträchtliche Schätzungen wie diese von „Paris-Presse“ zusammen: „Der Kern der absolut sicheren Parteigenossen wird im Pariser Becken auf 25.000 geschätzt; mit dem Personal der kommunistischen Gemeinden und der Masse der übrigen Anhänger dürfte die KP ständig an die 60.000 Eckensteher' zur Verfügung haben, die überall in der Hauptstadt das .Empfangskomitee' für K bilden. Man munkelt auch von einem massiven Zustrom von Parteigenossen aus der Provinz: 200.000 und mehr sogar. Aber das würde derartige Probleme des Transportes und der Unterbringung stellen, daß dazu wohl nur die unmittelbar benachbarten Departements in Frage kommen.“

Aber nicht nur für Paris, auch für die Provinz hat die KP ihre Planung: „Für die Reiseroute von K durch die Provinz hat die KP ein Transportsystem mit Bussen, Lastwagen und Personenwagen organisiert. Die lokalen Zellen haben ihre Instruktionen für die Beherbergung dieser Eintagsgäste erhalten. Marseille, Nimes,Lyon sollen die Hauptaufmarschzentren sein. Im Innern der Fabriken jedoch, die K aufsucht, sind kaum Manifestationen vorgesehen -• mit Ausnahme vielleicht von Fives-Lille. Außerhalb der Marschroute von K werden Kundgebungen mit Filmvorführungen, Musik, Reden in allen großen Städten von der KP organisiert.“ Das sind natürlich Perspektiven, die nicht jedermann erfreuen, und manche fragen sich, ob de Gaulle sich diese Möglichkeiten vorgestellt hat, als er einen russischen Kollegen zu einer so ausgiebigen Rundreise durch das Land einlud. *

Mit ganz besonderem Interesse wird der Empfang Chruschtschows durch den Bürgermeister von Dijon, den Kanonikus Kir, MRP-Alterspräsident der Kammer, erwartet. Nicht nur, weil dieser streitbare Kleriker mit seinem Gast physiognomisch und charakterlich einige gemeinsame Züge hat — nein, vor allem auch, weil der Kanonikus mit seinem Auftreten von dem Verhalten des Klerus, der ja in seiner übergroßen Mehrheit bei den Empfängen des Kirchenvaters des gegenwärtigen dialektischen Materialismus nicht aufscheinen will, abweicht.

Kir ist um Argumente für sein Vorhaben nicht verlegen. Nichts solle unterlassen bleiben, was der weltpolitischen Entspannung dienen könne. Und im übrigen könnte man sich sehr bald mit den Russen in einer gemeinsamen Abwehrfront gegen die asiatische Flut befinden. Das sind Argumente, die aus dem Munde eines katholischen Geistlichen immerhin überraschen. Und auf die Aufforderung, zum Empfang wenigstens seine Soutane auszuziehen, antwortete Kir gemütlich, ob sich denn ein Amerikaner zum Empfang Chruschtschows als Kosak verkleidet habe.

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