Der Franzose scheint sich noch nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme zur Frankreichreise Chruschtschows durchgerungen zu haben. Das liegt natürlich zu einem erheblichen Teil am landesüblichen „Je-m'en-feutisme“ (schonend übersetzt: Wurstigkeit) gegenüber der Politik, der sich in der Fünften Republik nach einem anfänglichen Aufschwung nur noch verstärkt hat. Aber auch' in dem Bereich, in dem sich der Franzose durch die bevorstehende Riesenshow des Chruschtschow-Besuches politisch interessieren läßt, weiß er nicht recht, wie er sich verhalten soll. Einerseits schmeichelt es
Auf das „Attentat Mitterand“ ist ein „Skandal Mitterand“ gefolgt. Es ist möglich, daß der Mann, den wir vor einer Woche als „smarten jungen Politiker“ geschildert haben, z u smart gewesen ist. Der frühere poujadistische Abgeordnete Pesquet behauptet, er habe jenes Attentat im Einvernehmen mit Mitterand selbst inszeniert; er sei darauf eingegangen, um all die Gerüchte von Mordkommandos und Komplotten als Provokation der angeblich Bedrohten zu entlarven. Mitterand bestreitet das energisch; es handle sich um ein Lügengespinst, das ihn als mißliebigen Politiker ausschalten solle.
Paris, im September Die Entwicklung Frankreichs im letzten Halbjahrzehnt hat merkwürdig angespannten Charakter. Das liegt daran, daß sie das Ergebnis zweier gegeneinander laufenden Kraftströme ist. Auf der einen Seite wird mit großem Aufwand an Energie versucht, den Status quo zu halten und die eigenartige Sonderstellung Frankreichs in der modernen Welt zu wahren. Auf der anderen Seite aber setzt sich diese „andere Welt" mit ihrem natürlichen Schwergewicht auch in Frankreich selbst auf mehr und mehr Lebensgebieten durch und verwischt die Unterschiede zum Ausland. Eines der
Der Redner de Gaulle ist ein Phänomen. Nicht daß er etwa zu Frankreichs besten Rednern zu zählen wäre — dazu ist in diesem, an rhetorischen Begabungen so reichen Lande die Konkurrenz zu groß. Er beherrscht nicht die geschmeidige Advokatenrhetorik eines Edgar Faure oder, auf der äußersten Rechten, eines Tixier- Vignancour. Gleicherweise geht ihm die Gabe eines Volkstribunen vom Schlage Poujades ab, eine Menge von hunderttausend Köpfen „zum ‘Kochen zu bringen” (womit über die sonstige politische Unfähigkeit Poujades noch nichts gesagt ist). Selbstverständlich erwartet auch
Die französische Politik gleicht seit langem schon der Echternacher Springprozession: drei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Vorwärts treiben die geschichtlichen Notwendigkeiten. Rückwärts ziehen die Affekte des französischen Durchschnittsbürgers (auf der Straße sowohl wie im Ministersessel), der glaubt, er könne diese Notwendigkeiten aus der Welt schaffen, indem er vor ihnen die Augen schließt. Die Lage eines französischen Ministerpräsidenten, der sich über die begrenzten Möglichkeiten seines Landes im klaren ist, aber weder über die äußeren Mittel noch die innere Kraft
Seit Kriegsende habe man nie mehr so viel von de Gaulle gesprochen wie heute, ist gesagt worden. Nun, zum mindesten seit dem jähen Aufstieg des Gaullismus vor zehn Jahren, der dann so rasch wieder als Strohfeuer in sich zusammensank, hat der Befreiergeneral nicht mehr so im Mittelpunkt der politischen Diskussion gestanden wie heute. Seine Anhänger reden seit Wochen mit Lautsprecherstärke, daß der General von dem ständigen Weiterabrutschen Frankreichs,-genug habe, daß er seinen Wiedereintritt in die politische Arena für seine patriotische Pflicht halte — „kein anderer außer ihm kann