6796538-1971_13_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Uhr Johannes XXIII. tickt noch immer

Werbung
Werbung
Werbung

In der „Zürcher Weltwoche” wurde vor kurzem der bisher stärkste Angriff auf Kardinal König unter dem Titel „Die Uhr des Johannes tickt nicht mehr” und dem Untertitel „Österreichs Kirche im Krebsgang” veröffentlicht. Es ist dies der bereits dritte Angriff innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit, der gegen den Wiener Oberhirten abgefeuert wurde, der ansonst in der Welt nach wie vor ein außerordentlich hohes Ansehen genießt.

Den ersten Angriff startete eine Wiener Hochschülerzeitschrift, die dem Kardinal vorwarf, daß er jeden freundlich empfange, aber keinerlei Stellungnahme einnehme. Man konnte herauslesen: er äußere sich nicht immer so, wie es die Progressiven in der Kirche wünschen. Der zweite inrirekte erschien in der New Yorker „Times”, die ein unverbindliches Gespräch des Kardinals in ein Interview umfunktionierte, aus dem herauszulesen war, daß der Wiener Kardinal an einen relativ baldigen Rücktritt Paul VI. glaube und die Wahl eines Nicht-Italieners zum nächsten Papst als für durchaus möglich halte. Ein nicht mit der Materie Vertrauter konnte herauslesen, daß Kardinal König den

Rücktritt des jetzigen Papstes wünsche, um selbst bald Papst zu werden.

Katholiken in der Welt mußten betrübt werden bei dem Gedanken, daß ein Kardinal keine anderen Gedanken habe als Karrierewünsche, und insofern stellte dieser Artikel einen Angriff gegen den Wiener Oberhirten dar. Aber wer den Wiener Kardinal kennt, der weiß, daß er der letzte ist, der nach diesem hohen Amt strebt und der sicherlich alles in seiner Macht Stehende tun würde, um zu verhindern, Nachfolger des heiligen Petrus zu werden. Die Zeiten, da Kardinale alle möglichen Bemühungen unternahmen, um in einem Konklave die nötigen Stimmen zu erhalten, sind längst vorbei. Das Papsttum war für den Träger der Tiara zu allen Zeiten eine Last und ein Kreuz. Heute ist diese Last ins Unermessene gestiegen. Und so dürfte es wohl im heutigen Kardinalskollegium überhaupt kein Mitglied geben, das sich wünschen würde. Pavst zu werden.

Der Artikel in der „Weltwoche” sollte vor allem den Beweis erbringen. daß der Wiener Kardinal den Weg Papst Johannes XXIII., den

Weg der Toleranz und Großzügigkeit verlassen habe, um in ein engstirniges und reaktionäres Verhalten überzugehen.

Der Titel dieses „Weltwochen”-Aufsatzes bezieht sich auf eine Uhr, die angeblich einmal Papst Johannes XXIII. Kardinal König als einen besonderen Gunstbeweis geschenkt haben soll. Nun wäre an einem solchen Geschenk gar nichts auszusetzen, aber der Kardinal hat diese Uhr niemals erhalten. Sie tickt wahrscheinlich noch immer recht munter im Vatikan. Aber diese Szene zeigt, was sich Journalisten manchmal aus den Fingern saugen. Was aber war der eigentliche Anlaß zu diesem Artikel? Ein an sich für die Welt nicht sehr bedeutendes Ereignis: Vor einiger Zeit fand im Wiener Fernsehen eine Diskussion statt, an der sich ein Wiener Religionslehrer ungarischer Abstammung mit einem Religionsinspektor über das österreichische Kirchenbeitragssystem unterhielt. Der Religionslehrer äußerte sich sehr abfällig über dieses und machte das System für die vielen Kirchenaustritte verantwortlich.

Gewiß sind für so manche Angehörige der Kirche diese Kirchenbeiträge und die Art ihrer Einhebung der letzte Anstoß, die Kirche zu verlassen. Aber es darf nicht übersehen werden, daß ein nicht unerheblicher Prozentsatz von Österreichern, die am kirchlichen Leben in gar keiner Weise oder nur sehr entfernt teilnehmen, dennoch diese Kirchenbeiträge bezahlen, wenn auch seufzend, denn ein Österreicher zahlt alle Steuern ungern.

Dem Österreicher wurde durch die josephinische Gesetzgebung in Religionssachen die materielle Sorge für die Kirche abgenommen. Der Nationalsozialismus führte diese Kirchenbeiträge ein, um die Österreicher aus der Kirche zu treiben. Aber die Österreicher zahlten gerne die Beiträge, um das NS-Regime zu ärgern. Nach dem Wegfall des Regimes nahm die Zahlungsfreudigkeit ab, und so mancher trat wegen dieser Beiträge aus der Kirche aus. Es ist ein später Sieg des NS-Regimes.

Der Wiener Kardinal, der diese Sendung gehört hatte, fand, daß der Religionslehrer nicht den richtigen Ton in dieser Sendung gefunden hatte und beschwerte sich telephonisch heftig bei dem Religionslehrer. Nun ist es sicherlich das gute Recht eines kirchlichen Obern,

Kritik an den Äußerungen eines Geistlichen zu üben, der in der betreffenden Diözese tätig ist und selbst wieder Kritik an den Maßnahmen der Kirche getroffen hat. Was für den einen billig ist, kann dem anderen nicht verwehrt werden. Das Ganze wäre eine völlig interne disziplinäre Angelegenheit der Wiener Diözese geblieben, wäre es nicht durch die Indiskretion eines Geistlichen, der ansonst vom Kardinal immer mit Glacėhandschuhen behandelt wurde, in die Hände einer Journalistin gefallen, die um diesen Vorfall einen vehementen Angriff gegen den Wiener Kardinal konstruierte, indem sie ihm vorwarf, daß er die Straße Johannes XXIII. verlasse.

Alle drei Angriffe wurden selbstverständlich nicht vereinbart. Das würden höchstens nur Journalisten kombinieren, die oft aus Ereignissen mehr herauslesen als in ihnen steckt. Aber diese Angriffe zeigen doch wieder eines: daß so manche Kreise mit dem Weg des Kardinals nicht einverstanden sind und sich ärgern, weil sie sich nicht für ihren Weg auf den Wiener Kardinal berufen können. Gewiß ist der Wiener Oberhirte ein sehr großzügiger und toleranter Kirchenfürst. Aber natürlich wird diese Haltung ihre Grenzen finden, wenn die Substanz des Glaubens verlassen wird. Aber den Progressiven aller Schattierungen geht es eben oft nicht um die Bewahrung des Glaubens, sondern um dessen Zerstörung.

Und es war naiv von ihnen, zu glauben, der Wiener Kardinal werde sich hier mißbrauchen lassen. Anders als der Kardinal hätte auch Johannes XXIII. nicht gehandelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung